Die Bundeswehr und Hamburg
Rede anläßlich der Eröffnung der Regionalausstellung der Bundeswehr in Hamburg, 13. März 2024
Rede Regionalausstellung Hamburg, 13. März 2024
Sehr geehrte Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten, werte Ehrengäste,
vielen Dank für die Gelegenheit, heut zu Ihnen zu sprechen. Die Bundeswehr in Hamburg tritt mit der Regionalausstellung in den Austausch mit den Menschen in der Hansestadt. Das passt nicht nur zur Zeitenwende, sondern ist ein Auftrag von Streitkräften.
Wir haben es in der Begrüßung eben schon gehört: Die Geschichte der Bundeswehr in Hamburg ist vielfältig und reduziert sich nicht auf die Leistung im Rahmen der Amtshilfe während der berühmten Sturmflut. Doch die Leistung der Bundeswehr und die Entscheidungen Helmut Schmidts damals sind trotzdem in vielfacher Hinsicht bemerkenswert und lohnen einer eingehenderen Betrachtung.
Das Handeln Schmidts legte den Grundstein für seinen Ruf als Entscheider, Macher, als krisenfest. Vielleicht prägte es ihn auch. Sein Verhalten als späterer Kanzler im Umgang mit dem Terror, seine Kompromisslosigkeit gegenüber den Feinden unserer Republik, seine Klarheit in der Sprache: All das sind ja durchaus Dinge, die wir bisweilen heute vermissen, die den Deutschen damals Orientierung gegeben haben. Man könnte auch sagen: Das Agieren Helmut Schmidts ist ein Beispiel guter Führung.
Wir haben als Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren erfahren, dass auf die Bundeswehr in der Krise Verlass ist. Die Amtshilfe während der Hamburger Flut ist bis heute die Folie für die Amtshilfe dieser Tage – vom Oderhochwasser über die Pandemie bis hin zum Waldbrand. Viele Soldatinnen und Soldaten freuen sich über die dabei erfahrene Wertschätzung und den Kontakt zu den Menschen in unserem Land.
Was kennzeichnet die Bundeswehr in der Hansestadt noch? Hamburg hat ein Bundeswehrkrankenhaus. Eine der beiden Universitäten der Bundeswehr, die den Namen Helmut Schmidts trägt, steht in dieser Stadt. Aber beide Einrichtungen dienen wiederum „nur“ der Ausbildung und Versorgung unserer Streitkräfte. Hinzu kommt die Führungsakademie der Bundeswehr. Und nicht zu vergessen natürlich das Landeskommando. Was fehlt, ist Truppe! Das mag sich ändern, wenn künftig auch in Hamburg ein Heimatschutzregiment aufgestellt werden wird. Und muss. Wie gut, dass inzwischen eine zweite Kompanie in Dienst gestellt worden ist.
Damit sind wir beim Kernauftrag der Bundeswehr, der dankenswerterweise hier in der Regionalausstellung auch betont wird, wenn wir an die Geschichte der Panzergrenadiertruppe in der Hansestadt erinnern.
Man denkt sofort an Clausewitz: „Allem wozu Streitkräfte gebraucht werden, liegt die Idee des Gefechts zugrunde, sonst würde man ja keine Streitkräfte gebrauchen.“
Das, wofür man die Bundeswehr in Hamburg erinnert, ist also nicht das, was sie ausmacht. Aber es zeigt eine Facette, die in der Geschichte wichtig ist. Angesichts der aktuellen Lage dürfen aber wieder die Frage stellen, ob es darauf ankommt.
Brigadegeneral Heinz Karst, einer der Väter der Inneren Führung, hat einmal gesagt: „An dem mehr oder minder gelungenen Ausmaß der Integration der Soldaten in unsere Gesellschaft misst man seltsamerweise bis heute Wert und Unwert der Bundeswehr und nicht an ihrer Schlagkraft und Einsatzbereitschaft.“
Der Hinweis ist mehr als berechtigt. Allerdings stimmt auch die Feststellung von Oberst i.G. Hans Heinrich Driftmann, dem späteren Präsidenten des DIHK. Er hat formuliert:
„Die Bereitschaft des Soldaten zu dienen und im Kriege sogar sein Leben einzusetzen, steht in enger Wechselbeziehung zum Willen des ganzen Volkes, den Bestand seines Staates und seiner freiheitlichen Demokratischen Grundordnung zu verteidigen. Ohne die spürbare Wehrmotivation der Bevölkerung insgesamt ist eine ausreichende Kampfmotivation des Soldaten nicht zu erwarten. Die Gültigkeit gemeinsam anerkannte Werte und Normen ist eine der Grundbedingungen für das Durchstehen im Krieg. Der Soldat muss wissen, dass von ihm erwartet wird, dass er sein Land tapfer verteidigt.“
Eine Regionalausstellung ist also mehr als nur Öffentlichkeitsarbeit. Es ist eine wichtige Säule der Strategischen Kommunikation und damit nicht, wie manch einer vielleicht glaubt, „Schmuck am Nachthemd“. Darum wünsche ich der Regionalausstellung viele Besucherinnen und Besucher, Bürgerinnen und Bürger, Reservisten und Veteranen, aber auch Schülerinnen und Schüler und viele junge Menschen.
Und ich freue mich deshalb auch darauf, mit Ihnen nachher durch die Ausstellung zu gehen. Und wie gesagt: Natürlich ist dabei die Schilderung der Sturmflut und des Einsatzes der Bundeswehr besonders spannend. Was ist damals eigentlich passiert?
Hamburg war 1962 noch geprägt von Trümmern des Krieges aber auch das Wirtschaftswunder war inzwischen sichtbar. Der zunehmende Automobilverkehr, Leuchtreklamen. Hamburg war auf dem Weg zur Medienmetropole in der Bundesrepublik.
Als im Rundfunk vor einem drohenden Unwetter gewarnt wurde, blieb es in hier in der Hansestadt auffällig ruhig, während in Bremen und Bremerhaven die Einwohner mittels Lautsprecherwagen gewarnt wurden und auch dort Bundeswehr, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk alarmiert wurden.
Als die Deiche in Cuxhaven brachen wurde in Hamburg über das Radio gewarnt, aber in einer technischen Sprache, die dem Ernst der Lage kaum gerecht wurde. Die im Fernsehen so beliebte Serie „Die Hesselbachs“ wollte man nicht unterbrechen. Das ist auch für mich als Hesse kaum zu verstehen: „Ei horsche se mal!“
Apropos horchen: Die Warnsysteme stammten aus einem anderen Zeitalter. Mittels Alarmböller wollte man den „Blanken Hans“, wie man die tobende Nordsee bei Sturmfluten nennt, ankündigen.
In Stade feuerte der Hafenmeister das Geschütz zweimal ab, dann wurde es von der Flut fortgerissen. Kurz nach Mitternacht brachen die ersten Deiche. Eine moderne Großstadt wurde auf Zustände zurückgeworfen, die die Menschen noch kannten als sie als Pfahlbauern an der See gelebt hatten: Kein Strom, Gast und Telefon. Hamburg wurde dunkel. 315 Menschen sollten ihr Leben verlieren. Was für eine Katastrophe.
Polizeisenator – so hieß das damals – Helmut Schmidt nahm das Heft des Handels in die Hand. Seine guten Kontakte zur Bundeswehr halfen dem ehemaligen Hauptmann der Wehrmacht, und er forderte ohne Umschweife Unterstützung der Bundeswehr und alliierter Streitkräfte an. Die Hubschrauberpiloten vollbrachten bei stark böigem Wind fliegerische Glanzleistungen und holten frierende, verängstigte und traumatisieret Menschen aus Baumkronen, von Dächern und aus unwirtlichen Zufluchtsorten.
Ein Historiker formuliert es so: „Schmidt strahlte eine natürliche Autorität aus, deren es in Hamburg in jenen Tagen dringend bedurfte. Später erinnerte er sich – mit erkennbarem Stolz – an seine Leitung des Krisenstabes. ‚Wer den Laden aufhielt, dem habe ich einfach das Wort entzogen.‘“
Wie ist das heute, wenn ein Vorgesetzter klare Worte findet? Da muss unter Umständen schon bei einem zu strengen Blick sofort das psychosoziale Netzwerk aktiviert werden, wenn man jemandem, der dummes Zeug redet, das Wort entzieht. Vielleicht würde uns die Klarheit Helmut Schmidts im Umgang ganz gut tun in Zeiten wie diesen. Klare Worte in der Kritik wie im Lob helfen zumindest mehr bei der Orientierung und Entscheidungsfindung als noch ein Beteiligungsgremium mehr. Davon haben wir zu viele und nicht zu wenige.
Doch schauen wir lieber noch einmal zurück in die Geschichte: Wir können nicht über die Bundeswehr in Hamburg sprechen, ohne die Panzergrenadierbrigade 17 Hamburg zu erwähnen. Aufgestellt am 2. Februar 1959 und im März 1993 aufgelöst ist sie Sinnbild für die Geschichte unserer Armee im Kalten Krieg.
Die Brigade wurde aus bereits existierenden Truppenteilen in einem neuen Kampfverband zusammengeführt. Auf den Übungsplätzen der Umgebung bereiteten sich die Soldaten auf einen Krieg vor, der Gott sei Dank ein Kalter Krieg blieb. Das Prinzip der Abschreckung funktionierte.
Gelöbnisse und Großer Zapfenstreich auf dem Rathausmarkt oder auch weitere Maßnahmen im Rahmen der Amtshilfe wie bei der Hitzekatastrophe im Sommer 1976, bei der die Soldaten der Brigade zum Einsatz kamen, versinnbildlichen die Rolle der Bundeswehr in diesen Jahrzehnten der bundesrepublikanischen Geschichte.
Mit einem festlichen Brigadebiwak in der Boehn-Kaserne hatte die Panzergrenadierbrigade 17 am 29. September 1979 ihr zwanzigjähriges Bestehen gefeiert. Über 600 zivile Gäste waren erschienen, um bei Erbsensuppe und Grillwürstchen diesen Tag zu verbringen.
Doch natürlich musste sich die Bundeswehr auch in Hamburg einer kritischen Öffentlichkeit stellen und stieß bisweilen dabei auf Ablehnung. Im Zuge der Debatte um den NATO-Doppelbeschluss kam es in der Hansestadt zur Blockade von Kasernen. So standen beispielsweise am Sonntag, 19. Juni 1983, statt der erwarteten 1.000 Demonstranten zwar nur etwa 300 überwiegend junge Leute vor der Boehn-Kaserne, aber das zeigt: Damals mussten sich die Streitkräfte ganz anders rechtfertigen als heute. Zumindest habe ich keine Proteste im Vorfeld zur Eröffnung dieser Ausstellung wahrgenommen. Damals war das erklärte Ziel: Niemand dürfe hinein in die Kaserne oder heraus aus der Kaserne. Sitzblockaden sind nicht erst von „Fridays for Future“ erfunden worden. Doch der damalige Aufruf löste auch Gegenreaktionen aus. So fand sich eine ganze Anzahl von Bürgern ein, die den Sonntagnachmittag bei den Soldaten in der eingeschlossenen Boehn-Kaserne zubrachten. Politiker von CDU und SPD waren darunter, Vertreter der Bürgervereine von Oldenfelde, Rahlstedt und Farmsen, führende Mitglieder von Sportvereinen, der Freiwilligen Feuerwehren.
Ob manch einer ahnte, dass die Unterstützung der Bundeswehr für die zahlreichen Flüchtlinge aus der DDR und die bald folgende Deutsche Einheit dazu führen würden, dass sich das Gesicht der Bundeswehr fundamental verändern würde? Am 22. März 1993 – also vor fast 30 Jahren – fand in der Stadt an der Elbe wie anderenorts auch der Abschiedsappell der in Hamburg verankerten Brigade statt.
Die Panzergrenadierbrigade 17 führte auf dem Exerzierplatz der Boehn-Kaserne ihren Abschiedsappell von Hamburg. Die Truppenfahnen der Bataillone wurden an die neuen Heimatstandorte der na-Bataillone abgegeben. Der Appell glich einer Parade, ein Großer Zapfenstreich folgte. Der letzte Kasernenfeldwebel war Stabsfeldwebel Bruno Reich. Er schloss im September 1993 die Kaserne, die heute ein Wohngebiet ist, ab.
Wenn man die vielen anderen Institutionen der Bundeswehr näher beleuchten würde, dann sprengt das hier heute den Rahmen. Dafür ist ja nun aber auch die Ausstellung da. Und das Gute ist: Das Bundeswehrkrankenhaus, die Führungsakademie und nicht zuletzt die Helmut-Schmidt-Universität sind nicht nur Teil der Geschichte Hamburgs. Sie sind ein Teil von Hamburgs Zukunft. Auch in Zukunft wird die Bundeswehr in der Hansestadt präsent sein.
Ein Gedanke sei noch erlaubt: Führungsakademie und Universität sind eins ganz klar: Unverzichtbare Bildungsinstitutionen unserer Streitkräfte. Wir wollen den gebildeten Offizier – nicht nur, weil das der Idee der Inneren Führung entspricht. Im Selbstbild des deutschen Offiziers spielt ein Verständnis für das große Ganze eine wichtige Rolle. Er ist eben nicht wie das in anderen Streitkräften sein mag, ein „Fachidiot“ des militärischen Handwerks.
Generaloberst Ludwig Beck, einer der geistigen Ideengeber des Aufstands des Gewissens gegen die nationalsozialistische Herrschaft und exzellenter Militär hat es einmal so formuliert: „Es ist ein Mangel an Größe und an Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung seine Pflicht und Aufgabe nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufträge sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volke bewußt zu sein.“
Ich würde mir wünschen, wenn unsere jungen Frauen und Männer für ihre künftigen Führungsaufgaben in unserem Staate in diesem Geiste geprägt und erzogen werden. Ich halte das außerdem für notwendig: Erstmals seit langer Zeit wird die Ordnung, die sich die Deutschen nach dem Krieg gegeben haben und die ihnen ein nie gekanntes Maß an Wohlstand, Frieden und Freiheit ermöglicht hat, angegriffen – und zwar von außen, aber auch von innen. Deutsche Offiziere sind verantwortlich, für diese Ordnung einzutreten. Nicht erst auf dem Gefechtsfeld, sondern bereits im Alltag.
Die Regionalausstellung der Bundeswehr hier in Hamburg lädt nicht nur ein zu einem Blick in die Geschichte und beschreibt, was unsere Streitkräfte mit Hamburg verbindet. Sie erlaubt auch eine Auseinandersetzung damit, was Zeitenwende bedeutet. Es ist eben nicht damit getan, kriegsbereite Streitkräfte auf den Hof zu stellen. Unsere Gesellschaft muss sich jeden Tag fragen, was sie bereit zu tun ist, um Frieden und Freiheit zu bewahren. Zu dieser sicher nicht immer leichten und auch nicht konfliktfreien Diskussion lädt die Regionalausstellung ein. Auch deshalb sage ich ein Dankeschön an diejenigen, die sie erarbeitet und ermöglicht haben.
Ich wünsche der Regionalausstellung viele neugierige Besucherinnen und Besucher. Den Männern und Frauen der Bundeswehr in Hamburg ein Dank für Ihren Dienst und allzeit Soldatenglück!