Riskiert Scholz mit einer Inszenierung als Friedenskanzler den Krieg mit Russland?

Die SPD und die Riege um Olaf Scholz legen sich gerade still und leise eine neue Taktik zu Recht, von der sie hoffen, die Europawahl und die Landtagswahlen im Osten zu überstehen, vielleicht sogar die Chancen von Olaf Scholz bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr deutlich zu verbessern. Anders kann man sein „Nein“ zur Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine nicht erklären, denn seine Begründung ist in der Sache falsch. Es braucht keine deutschen Soldaten in der Ukraine zur Bedienung des Waffensystems. Andere Nationen zeigen, wie es geht. Außerdem haben wir auch keine deutschen Soldaten nach Südkorea geschickt, als wir dem Land eben jene Marschflugkörper geliefert haben. Nicht nur Großbritannien hat dem Kanzler inzwischen auch öffentlich widersprochen.

Die SPD suggeriert, sie sei die politische Kraft, die verhindert, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine weiter eskaliert. Die SPD schickt sich an, sich als Friedenspartei zu inszenieren. Dabei droht diese Politik der SPD genau das auszulösen, was sie angeblich zu verhindern trachtet: Ein Krieg Russlands gegen weitere Staaten Osteuropas.

Um die Wahlchancen der SPD kurzfristig zu verbessern, gibt die Regierungspartei die einzige Strategie auf, die eine Chance bietet, den Frieden für uns und Europa in naher Zukunft zu schützen: Putin mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen, in die Schranken zu verweisen.

Helmut Schmidt rotiert im Grab. Scholz riskiert ein Ausgreifen des Krieges auf andere osteuropäische Staaten und damit den Bündnisfall der NATO. Deutschland stünde dann im Krieg mit Russland.

Drei Fakten muss man sich vor Augen führen:

  1. Russland hat nicht vor zwei Jahren, sondern vor zehn Jahren die Ukraine überfallen und die Krim annektiert. Die damalige Strategie, den Konflikt einzudämmen, ist gescheitert. Was führt die SPD zu der Annahme, dass bei einer Wiederholung dieser Strategie das Ergebnis diesmal anders lautet, wenn es zu einem temporären Waffenstillstand mit Russland kommt?
  • Es ist nicht „Putins Krieg“, sondern weite Teile der russischen Bevölkerung unterstützen diesen Krieg. Die Ermordung Nawalnys hat gezeigt, wie sicher sich Putin seiner Machtbasis im eigenen Land sein kann, dass die Ermordung des führenden Oppositionspolitikers folgenlos geblieben ist.
  • Putin braucht keinen „Grund“, um den Krieg auf andere Staaten Europas auszuweiten, außer seine eigenen Expansionsgelüste. NATO-Expertin Stefanie Babst hat darauf hingewiesen, dass wir mit unserer Unterstützung den Punkt längst überschritten haben, um glaubwürdig zu sagen, wir seien keine Kriegspartei. Wir sind es. Und wir stehen auf der Seite der Ukraine.

Womit rechnet Scholz?

Er weiß, dass Teile der SPD immer noch den falschen Träumen eines Ausgleichs oder gar Miteinanders mit Russland nachhängen. Mützenich und Co. haben nicht verstanden, dass Putin jedes Entgegenkommen als Schwäche auslegt und eine Niederlage oder Appeasement in der Ukraine bedeuten wird, dass Russland den Krieg über kurz oder lang ausweitet und dann die NATO und damit Deutschland Krieg gegen Russland werden führen müssen. Sozialdemokraten wie Ralf Stegner haben immer noch nicht verstanden, dass Putin keinen Grund braucht, um Deutschland oder andere Staaten Europas zur Kriegspartei zu erklären. Wenn dem Mann im Kreml danach ist, dann erfindet er sich einfach einen Grund. Das Problem von Olaf Scholz ist: Ohne diese linken Truppen in der SPD kann er sich nicht im Kanzleramt halten. Sein Vorteil ist, dass die Linken in der SPD die einzige Alternative zu Olaf Scholz noch weniger schätzen.

Pistorius oder Scholz: Wer wird Kanzlerkandidat?

Sollte die SPD bei der Europawahl und den Wahlen im Osten Deutschlands dramatisch schlecht abschneiden, dann wird die SPD ihn zwar nicht aus dem Kanzleramt verjagen, aber notgedrungen mit einem anderen Kanzlerkandidaten im Jahr 2025 ins Rennen gehen müssen. Das kann nach dem Stand der Dinge nur Boris Pistorius sein, wenn die SPD den Hauch einer Chance haben will, das Kanzleramt zu verteidigen.

Wenn Pistorius jedoch nur annähernd glaubwürdig bleiben will, dann kann er keinen „Friedenswahlkampf“ machen. Dazu weiß der Mann aus dem Bendlerblock zu viel über die wahren Absichten Putins, ist zu eng im Austausch mit Verbündeten und Freunden und würde zudem auf einen Schlag jeden Rückhalt in der Truppe verlieren.

Scholz will verständlicherweise verhindern, dass seine Partei ihm um des Machterhalts Willen nahelegt, auf eine erneute Kanzlerkandidatur zu verzichten. Er will die SPD in die nächste Bundestagswahl führen. Und er glaubt, mit dem Narrativ, dass er der Friedenskanzler sei, könne ihm das gelingen. Dabei denkt er an Gerhard Schröder und den Wahlkampf 2002. Damals hatte die SPD suggeriert, ein Wahlsieg der CDU würde bedeuten, dass Deutschland Kriegspartei im Irak werden würde. Diese billige und durchsichtige Argumentation verfing beim Wahlvolk.

Der damals angerichtete außenpolitische Schaden war der SPD weitgehend egal – so wie die SPD heute fast gleichgültig die Beschädigung der deutsch-französischen Beziehungen oder das zunehmende Misstrauen unserer osteuropäischen Bündnispartner Deutschland gegenüber in Kauf nimmt. Damals erklärte sich Deutschland als Kompensation bereit, eine führende Rolle beim beginnenden Einsatz in Afghanistan zu übernehmen. Die Folgen sind bekannt und beschäftigen heute noch den Bundestag intensiv. Was Deutschland diesmal für eine solche Strategie der SPD als Preis wird bezahlen müssen, ist gleichwohl noch offen. Es könnte deutlich teurer werden.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich bisweilen: Die SPD macht ungeniert einen Friedenswahlkampf, wird still und leise die Unterstützung der Ukraine reduzieren, die Zeitenwende wird eingedampft. Das erhöht das Risiko, dass die Ukraine den Krieg verliert. Die Folgen werden verheerend sein:

  1. Viele Millionen Flüchtlinge werden im Falle einer Niederlage die Ukraine verlassen. Russland wird nach dem Holodomor erneut versuchen, das ukrainische Volk zu dezimieren oder zu vernichten: Diesmal nicht durch Hunger, sondern durch Vertreibung.

  2. Man muss damit rechnen, dass Russland nicht Jahre wartet, um sich zu erholen und aufzurüsten, sondern den Moment des Sieges, der zu einer tiefen Verunsicherung und zu Streit in der Europäischen Union und der NATO führen kann, nutzt, um im Baltikum oder sogar in Polen anzugreifen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist weder die deutsche Brigade im Baltikum stationiert und kampfbereit noch die Bundeswehr kriegstüchtig. Ohne die USA wird sich Europa nicht verteidigen können. Je nach Ausgang der Wahlen in den USA in diesem Herbst kann das Putins Angriffslust noch befeuern.

  3. Deutschland verliert weiter an Ansehen und Vertrauen und büßt seine Führungsrolle in Europa endgültig ein, wenn der Eindruck entsteht, wir schleichen uns im wahrsten Sinne des Wortes vom Schlachtfeld. Die Folgen an Unruhe und Wohlstandsverlusten sind kaum zu beziffern. Radikale politische Kräfte werden weiter Zulauf finden. Der Kraftakt, dann die Kriegsbereitschaft Deutschlands herzustellen, wird die Bundesrepublik an die Grenzen des Machbaren führen und nur mit tiefen Einschnitten im Bereich der Daseinsvorsorge und im Sozialstaat machbar sein, wenn man die Freiheit Deutschlands, Demokratie und Rechtstaat verteidigen.

Es steht zu viel auf dem Spiel für wahltaktische Überlegungen im Kanzleramt. Olaf Scholz kann doch noch als souveräner und weitsichtiger Kanzler in die Geschichte der Republik eingehen, wenn er ohne Rücksicht auf seine Wahlchancen alles tut, damit Deutschland seinen Beitrag leistet, um ein imperialistisches und despotisches Russland in seine Schranken zu weisen. Der Kampf gegen den Imperialismus und den Despotismus war eine der Hauptziele der Sozialdemokraten seit der Gründung der Partei, ein Hauptziel der Arbeiterbewegung. Es wäre zu wünschen, jemand erinnert Olaf Scholz daran.

1 Kommentar zu “Riskiert Scholz mit einer Inszenierung als Friedenskanzler den Krieg mit Russland?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert