Rede beim Abschlussappell der Offizierschule des Heeres

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, Soldatinnen und Soldaten!
Männer und Frauen des ruhmreichen deutschen Heeres!

Einer der größten Soldaten der deutschen Geschichte, Helmuth von Moltke, hat einmal gesagt: „Will man angreifen, so muss es mit Entschiedenheit geschehen.“

Sie haben sich entschieden „anzugreifen“. Sie tauschen nun den Hörsaal endgültig mit dem Truppenalltag. „Endlich“ wird manch einer von Ihnen hinzufügen. Gut so! Für die vor Ihnen liegende „Verwendung“ – auch so ein Bundeswehrwort – wünsche ich Ihnen Gottes Segen und allzeit Soldatenglück.

Hier in Dresden auf dem Theaterplatz sind heute fast 700 junge Offiziere, Männer und Frauen, angetreten. Voll Hoffnung und Vorfreude. Voll Tatendrang, so wünsche ich es Ihnen.

Und die Bundeswehr braucht sie dringend: Mit ihren Fragen, ihrer Bereitschaft, mehr zu tun als das, was die Vorschriften und die Soldatenarbeitszeitverordnung verlangen.

„Das Wissen muss ein Können werden“, hat Clausewitz gesagt. Nun sollen Sie also zeigen, was sie können.

Dabei werden Sie auf Hürden treffen. Unbesetzte Dienstposten, fehlendes Material und Gerät, ungeeignete Vorgesetzte. Vielleicht auch den Unwillen, etwas zu ändern. Sie kennen die Sprüche: „Kameradschaft ist, wenn der Kamerad schafft.“ Oder „Begründung beim Bund mit vier Buchstaben: ISSO!“ Lassen Sie sich davon nicht den Angriffsschwung nehmen.

Es gibt darüber hinaus ein grundsätzliches Problem, dass die Einsatzbereitschaft, die Kriegsbereitschaft der Bundeswehr, wie es der Generalinspekteur formuliert, seit vielen Jahren hemmt.

In den letzten 30 Jahren gab es die Idee, man könne eine Armee wie ein Unternehmen organisieren und führen. Wenn man ehrlich ist, dann ist dieser Ansatz gescheitert. Dies auch, weil die Annahme schlicht falsch war: Eine Armee ist kein Unternehmen. Eine Armee ist was sie ist: Eine Streitkraft.

Das beginnt mit der Sprache. Wir reden statt von Rekrutierung von Karriere. Wir reden inzwischen oft von Arbeit statt von Dienst. Haben wir vergessen, wie wichtig Sprache ist, um sich einer Sache bewusst zu werden? Wie lange haben wir gebraucht, um in Afghanistan von Krieg zu sprechen oder die dort im Gefecht getöteten Männer als Gefallene zu benennen? Warum sind wir so inkonsequent. Wenn wir kriegsbereit sein wollen, dann sollten wir die Dinge wieder beim Namen nennen.

Clausewitz hat es auf den Punkt gebracht: „Allem wozu Streitkräfte gebraucht werden, liegt die Idee des Gefechts zugrunde. Sonst würde man ja keine Streitkräfte gebrauchen.“

Amtshilfe in der Pandemie oder beim Hochwasser. Das ist alles gut und schön. Aber strenggenommen, braucht es sie dafür nicht. Es braucht sie, damit wir kriegsbereite Streitkräfte haben. Das verlangt der Generalinspekteur von Ihnen. Seien sie kriegsbereit. Um es einmal auszusprechen: Wenn in einem Offiziercasino in Deutschland wieder mit Rubel bezahlt wird, dann ist die Freiheit verloren. Und der Frieden auch. Das zu verhindern, dafür sind sie da.

Sie dienen also in einer herausfordernden Zeit. Die Armee verändert sich. Mal wieder. Man könnte auch sagen: „Nichts ist so beständig wie die Lageänderung.“

Deshalb: Beobachten Sie die Entscheidungen ihrer Führer aufmerksam. Hinterfragen Sie. Und aus meiner Sicht gilt es nur eine Frage zu stellen: „Dient das, was wir tun, der Kriegsbereitschaft?“ Sie werden feststellen, dass die Antwort manchmal „Nein!“ lautet. Und trotzdem wird weitergemacht wie bisher. Gerade da sind sie gefordert.

Ich denke dieser Tage oft an das Bonmot eines Generals, der auf die Frage, was die Zeitenwende für dieTruppe bedeutet, geantwortet hat: „Ja. Die einen sind froh darüber, wieder Soldatendinge zu tun. Alarmübungen, Druck, Drall, Geschwindigkeit.“ „Und die anderen?“ habe ich gefragt. „Naja, die anderen haben sich nach ein paar Wochen wieder hingelegt“, war die Antwort.

Diese Geschichte erzähle ich in vielen Diskussionen. Neulich ergänzte ein General: „Der Kamerad hat leider diejenigen vergessen, die gar nicht erst aufgestanden sind.“

Seien Sie diejenigen, die Freude haben, Soldatendinge zu tun. Bleiben Sie nicht liegen. Stehen Sie auf!

Es ist Zeit, Probleme beim Namen zu nennen. Schonungslos. Es geht ja nicht darum zu glänzen. Es geht darum etwas auszustrahlen. Glanz ist eine Äußerlichkeit. Das Strahlen kommt von innen. Und die Kriegsbereitschaft, die unser Minister zurecht fordert, die kann nur von innen kommen und nicht durch den äußeren Glanz.

Nur wer etwas ausstrahlt, der verändert etwas, der handelt wahrhaftig. Und wir brauchen mehr Ehrlichkeit und Klarheit – überall in unserem Land. Ich würde mir wünschen, dass die belohnt und befördert werden, die Probleme ansprechen und Mängel abstellen und nicht die, die einfach nur im bestehenden System funktionieren.

Es gilt der alte Satz: „Erstklassige Führer generieren erstklassigen Führernachwuchs, zweitklassige Führer generieren drittklassigen Führernachwuchs.“

Ich hoffe, Sie begegnen solchen erstklassigen Führern. Und sie haben nun die Möglichkeit selbst, erstklassige Führer zu werden. Befähigen sie diejenigen, die sie führen, über sich hinauszuwachsen. Besser zu werden. Vielleicht sogar besser als sie selbst es sind. Das macht einen guten militärischen Führer aus.

Männer und Frauen des deutschen Heeres! Ihnen soll bewusst sein, dass wir viel von Ihnen verlangen. Mehr als von anderen Soldaten in der deutschen Geschichte.

Sie müssen einem Dreiklang gerecht werden, den es so selten gibt: Sie verteidigen das Staatsgebiet, das Volk, aber eben auch die Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland, wie sie im Grundgesetz festgeschrieben steht. Das bedeutet, sie müssen aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten. Und übrigens nicht erst mit der Waffe in der Hand im Einsatz oder im Verteidigungsfall.

Ihr Eid verpflichtet Sie dazu, aufzustehen und zu widersprechen, wenn jemand diese Bundesrepublik verächtlich macht. Die Verteidigung unserer Freiheit beginnt mit Worten. Mit Widerspruch gegenüber den Feinden der Republik.

Ihnen muss klar sein: Niemand kann Deutschland wirklich dienen, wenn er nicht erkennt, für welche Werte die schönsten Farben der Welt, Schwarz-Rot-Gold, stehen. Es sind die Werte, wie sie die Mütter und Väter des Grundgesetzes in unsere Verfassung geschrieben haben. Und unsere Nationalhymne fasst sie mit den Worten „Einigkeit und Recht und Freiheit“ wunderbar zusammen.

Falsche Patrioten, die sich nicht nur in der Farbenlehre, sondern auch in den Symbolen und Werten verirrt haben, haben in unseren Streitkräften nichts verloren.

Auch deshalb ist eine richtig verstandene Innere Führung wichtig. Sie dient nicht, wie manche glauben, dem „well being“. Die von unserem Bundeskanzler ausgerufene „Zeitenwende“ ist eine gute Gelegenheit, sich bewusst zu machen, was die Innere Führung eigentlich will:

Innere Führung will Soldaten befähigen, in einer freien Gesellschaft, in einer Demokratie „kampfbereit und siegesfähig“ zu sein.

Innere Führung meint Körper und Geist, meint sich selbst zu führen. Das Ideal in der Bundeswehr ist deshalb nicht der „hart erzogene Soldat“, sondern der „sich selbst hart erziehende Soldat“, wie es Wolf Graf von Baudissin, einer der Väter der Inneren Führung formuliert hat. Sie selbst sind es, die sich erziehen müssen. Sich die notwendige Härte abverlangen.

Aber Innere Führung mahnt nicht nur zur Disziplin und militärischen Härte. Sie erzieht uns auch zur Kameradschaft und Mitmenschlichkeit. Vertrauen gehört auch dazu. „Soldaten vertrauen einander, sonst sind sie keine Armee“, hat Captain America einmal gesagt.

Härte und Empathie, Freiheit und Pflicht, schließen sich, wenn man die Werte preußischen Soldatentums zugrunde legt, nicht aus! Das Gegenteil ist der Fall.

Denken Sie deshalb immer daran: „[…] der Soldat, der keine Achtung vor den Mitmenschen hat – und auch der Feind ist ein Mitmensch -, ist weder als Vorgesetzter noch als Kamerad noch als Mitbürger erträglich.“ Dieser Satz, ebenfalls von Baudissin, gilt heute mehr denn je.

Unsere Bundeswehr verlangt von Ihnen viel, traut Ihnen jedoch eine Menge zu! Ihr Beruf ist ein Beruf sui generis. Und Sie haben als Offiziere eine Verantwortung, die über den Dienst hinausgeht.

Manche fragen sich, was uns der 20. Juli 1944 heute noch sagen will. Denn es stimmt ja: Sie sind Soldaten in einem Rechtsstaat, in einer Demokratie.

Das deutsche Offizierkorps ist nach dem überlieferten Verständnis, dass auch die Männer am 20. Juli 1944 zur Tat gegen Hitler trieb, verantwortlich für das große Ganze des Staates. Die Offiziere im Widerstand wollten sich nicht auf die Rolle einer militärischen Funktionselite reduzieren lassen.

Generaloberst Ludwig Beck, einer der Köpfe des Widerstands am 20. Juli 1944, hat den Aufstand des Gewissens gegen die nationalsozialistische Terrorherrschaft so begründet: „Es ist ein Mangel an Größe und an Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat (…) seine Pflicht (…) nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufträge sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volke bewusst zu werden.“

Ich habe den Eindruck, die Deutschen vertrauen ihrer Armee wie lange nicht mehr. Deshalb kann ich ihnen sagen: Das Wort vom „freundlichen Desinteresse“ an der Bundeswehr stimmt nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Die Deutschen interessieren sich für ihre Armee. Sie nur wenig über die Bundeswehr. Vielleicht haben Sie das schon erlebt, wenn Sie mit dem Zug vom Dienst nach Hause gefahren sind und von Mitreisenden ausgefragt wurden.

Keine Frage, die Politiker müssen den Deutschen erklären, dass Zeitenwende meint, dass wir künftig auf das eine oder andere werden verzichten müssen, wenn wir kriegsbereite Streitkräfte wollen – weil wir sie brauchen.

Aber das Vertrauen in die Armee wächst in der Begegnung zwischen Soldat und Bürger. Und es werden hoffentlich viele Momente kommen, an denen die Menschen, die Ihnen nahe sind, einen Einblick in Ihren Dienst nehmen können. Beim Tag der Bundeswehr, bei öffentlichen Gelöbnissen, bei Beförderungen oder über das, was sie in sozialen Netzwerken aus ihrem Dienstalltag teilen.  

Mich ärgert das übrigens, dass wir aus einem völlig falschen Verständnis heraus unsere Soldatinnen und Soldaten oft genug noch verstecken. Sowohl in den Kasernen als auch in sozialen Netzwerken. All unsere Verbündeten machen das anders. Da werden die Soldaten befähigt, handlungssicher und im Sinne des Auftrags in der Öffentlichkeit, auch in der digitalen Öffentlichkeit aufzutreten.

Sie erfahren eine umfangreiche Ausbildung. Es gibt wenige Berufe, in denen so viel Zeit in Ausbildung, Bildung und Erziehung investiert wird, wie in den Beruf des Offiziers. Ich finde deshalb: Sie haben unser aller Vertrauen verdient. Wer treu dient, der hat Anspruch auf Anerkennung und Wertschätzung durch die Menschen in unserem Land.

Was ich Ihnen heute also eigentlich sagen wollte: Vielen Dank für Ihren Dienst. Und denken Sie an Moltke: Greifen Sie weiter entschieden an!

2 Kommentare zu “Rede beim Abschlussappell der Offizierschule des Heeres

  1. Sehr geehrter Herr Dr. Tauber, lieber Kamerad,
    treffende, bewegende Worte, die ich am Ende meiner Offiziersausbildung auch gerne gehört hätte.
    Mit kameradfschaftlichen Grüßen,
    Glück ab,
    Hans-Peter Limburg
    Oberstleutnant d.R.

  2. Lieber Peter,
    Vielen Dank und Chapeau und wie bei Goethe und nur im Positiven: Der Worte sind genug gewechselt, auf laßt uns endlich Taten sehen!
    Glück Ab

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert