Die Qual der Wahl. Wen wählen Konservative?

Lange war die Antwort klar: Wen denn sonst außer eine der beiden Unionsparteien? Inzwischen stimmt das nicht mehr zwingend. Man trifft bisweilen auf (vermeintliche) Konservative, die von sich behaupten, Wählerinnen und Wähler der Union zu sein, aber ihr Kreuz künftig „woanders“ machen zu wollen.

Woanders? Die AfD behauptet, sie sei die CDU von früher, was Volker Bouffier zu der Aussage provozierte: „Wir waren nie, wie die heute sind.“ Der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, inzwischen aufgrund seiner Äußerungen selbst ein Fall für den Verfassungsschutz, behauptet trotzig, ein Konservativer zu sein und hat sich jetzt mit der Werte Union eine eigene Echokammer geschaffen und eine „rechtskonservative“ Partei gegründet. Dann gibt es aus der CDU immer wieder prominente Stimmen wie die von Volker Kauder, die Union sei keine „klassische konservative Partei“. Will die CDU gar keine konservativen Wählerinnen und Wähler? So einfach ist es natürlich nicht! Die Aussage Volker Kauders stimmt sogar, aber die CDU ist eben auch konservativ, nur nicht ausschließlich. Sonst kann sie nicht Volkspartei sein.

Man macht es sich zu leicht, wenn man pauschal behauptet, jeder der sein Kreuz nicht bei der Union macht, der könne kein Konservativer ein. Um sich der Frage zu nähern, was Konservative heute in Deutschland wählen, wo sie ihre politische Heimat finden, lohnt ein Blick in die Geschichte. Im Kaiserreich und auch in der Weimarer Republik fanden Konservative ihre politische Heimat nämlich in unterschiedlichen Parteien. Von der DNVP, den Deutschnationalen, über die DVP von Gustav Stresemann, die DDP, die BVP bis hin zum katholischen Zentrum: in all diesen Parteien gab es profilierte konservative Politiker. Dann folgte der Sündenfall des deutschen Konservatismus 1933, als sich keine der bürgerlichen Parteien der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes in den Weg stellte, die Konservativen sich selbst also zu Steigbügelhaltern Hitlers degradierten. Aber es waren wiederum vor allem Konservative rund um Claus Graf Schenk von Stauffenberg, die den einzigen Widerstand mit Aussicht auf Erfolg gegen die Nazis am 20. Juli 1944 anführten.

Vielleicht war das Versagen der Konservativen 1933 auch der Grund, warum Konrad Adenauer dem Konservatismus skeptisch gegenüber blieb, obwohl er durchaus eine konservative Politik machte. In ihren Anfängen beschrieb sich die CDU als christliche und soziale Partei. Als konservativ bezeichnete sich die CDU übrigens erst seit den späten 1960er Jahren – auch als Reaktion auf die APO und die Studentenproteste 1968. Und es gab in der CDU damals schon eine Debatte, wie sehr man den Begriff „konservativ“ für sich reklamieren solle. Gerade der junge aufstrebende Helmut Kohl sah es kritisch, den Begriff zu sehr zu betonen. Das hinderte ihn freilich nicht daran, auch konservative Positionen zu vertreten. Ihn trieb aber die Sorge um, dass die CDU bei einer Überbetonung des Konservativen „in den Ruf des Tantenhaften, des Antiquierten, des Altmodischen“ gerate, wie er es formulierte.

Unbestritten war aber auch, dass die Konservativen in der Union eine Heimat hatten. Und die große Leistung der Adenauer-Partei war: Die Konservativen hatten sich endgültig mit der Demokratie versöhnt. Sie waren nun staatstragend, anders als weite Teile des konservativen Lagers in der Weimarer Republik.

Für die CDU bedeutet das mit Blick auf sich selbst: Man muss also eigentlich nicht von drei Wurzeln der CDU, der konservativen, der christlich-sozialen und der liberalen, sprechen, sondern eher von zwei Wurzeln: Die CDU ist in ihren Anfängen eine christlich-soziale und liberale bürgerliche Sammlungsbewegung, die durchaus auch Konservative ansprach und seit den 1960ern über einen starken konservativen Ast verfügt.

Die Unionsparteien konnten in den Anfangsjahrzehnten der Bundesrepublik u.a. durch das Überwinden der Konfessionsgrenzen eine Art Alleinvertretungsanspruch im bürgerlich-konservativen Lager etablieren, nachdem die FDP sich nicht klar als nationalliberale Partei positionierte und der BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) von der politischen Bühne abtrat. Dass es CDU und CSU dabei gelang, weiterhin Arbeiter und das liberale Bürgertum zu adressieren, ließ sie zur Volkspartei eigenen Typs werden und bescherte der Union immer wieder Wahlergebnisse deutlich über 40 Prozent.

Damit verbunden war eine historische Leistung von konservativen Persönlichkeiten wie Alfred Dregger und Franz-Josef Strauß, die heute in Vergessenheit geraten ist: Männer wie Dregger und Strauß haben den in der Union beheimateten Konservatismus als pro europäisch und klar transatlantisch ausgerichtet definiert. Das war fundamental neu. Historisch war der deutsche Konservatismus eher antiamerikanisch, kulturpessimistisch und europakritisch. Rußland wurde eher als Macht gesehen, deren Nähe man suchen sollte als sich von ihr abzugrenzen.

Die AfD mag inzwischen in weiten Teilen eine rechtsextreme Partei sein, aber Teile der Partei sind es nicht. Und dieser Teil der AfD wiederholt u.U. sehenden Auges den Sündenfall der Konservativen der 1920er Jahre. Es gibt Konservative in der AfD, die die Verortung des Konservatismus als zukunftsoptimistisch, transatlantisch und proeuropäisch kritisch sehen oder gar offen ablehnen. Die „Putinversteher“ in der AfD und die Ablehnung der Europäischen Union zeigen das.

Man kann es daher auch anders formulieren: Konservative, die sich eine stärkere politische Annäherung Deutschlands an Russland wünschen und die USA sowie das vereinte Europa kritisch sehen, können in der Union keine politische Heimat finden, da die von Dregger und Strauß eingerammten Pflöcke bis heute uneingeschränkt gültig sind. Ob Konservative deshalb eine gemeinsame politische Heimat mit Rechtsextremisten wie Björn Höcke haben sollten? Wie wird sich die Werte Union in diesen Fragen positionieren?

Festzuhalten ist: Eine Entwicklung, die den Konservatismus auch außerhalb der Unionsparteien verortet, ist zumindest historisch nicht neu, sondern fast eine Rückkehr zur Normalität. Lediglich für die Union wird daraus eine Herausforderung. Bisher gab es keine rechtsextreme Partei bzw. rechtsextreme Politiker, die in der Bundesrepublik wählbar waren. Das hat sich mit der AfD geändert. Und darum ist die alte Frage der Abgrenzung wieder aktuell.

Die CDU als letzte verbliebene Volkspartei und Partei der politischen Mitte, erlebt gerade, dass die Parteien links von ihr, versuchen, sie zu diskreditieren. Manch ein Linker versucht CDU und AfD in einen Topf zu werfen. Ein billiger Versuch. Der Hass, der Christdemokraten aus der AfD oft entgegenschlägt, zeigt aber auch, dass es um die Deutungshoheit von Werten und Normen geht, die man als konservativ beschreibt. Auch deshalb hofft der Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl, Maximilian Krah, auf „die Zerstörung der Union.“

Die Herausforderung für die CDU besteht darin, dass der Konservatismus kein Programm, sondern eher eine Haltung ist, ein Blick auf die Welt. So hat es Thomas De Maizière einmal gesagt. Man kann auch schlechterdings aus gesellschaftspolitischen Vorstellungen nicht das eine verbindliche konservative Programm herleiten. Es sind eher die preußischen Tugenden, auch die Kardinaltugenden, die den Konservativen beschreiben. Der Konservative hat bisweilen gestern das bekämpft, was er heute glühend verteidigt. Der Publizist Wolfram Weimer, der in seinen Schriften immer wieder den wunderbaren Satz „Zukunft braucht Herkunft“ formuliert, gibt den Konservativen eine Anleitung an die Hand, die bei der Orientierung helfen kann. Der Konservative weiß um die Bedeutung der Geschichte für die Identität. Deswegen befremdet es die meisten Konservativen, wenn Straßennamen getilgt und damit auch eine kritische Reflexion der eigenen Geschichte unterbunden wird. Genauso wenig kann er etwas anfangen mit der Relativierung von historischer Verantwortung, wie sie aus der AfD mit Blick auf den Umgang mit Nationalsozialismus und Shoa immer wieder zu hören ist und gefordert wird.

Derzeit sieht es nicht so aus, als ob die AfD wie andere rechtspopulistische Parteien in Europa ins konservative und bürgerliche Lager anschlussfähig bleibt. Giorgia Meloni in Italien ist dafür ein Beispiel und auch Victor Orban überschreitet eine gewisse Grenze nicht. Die AfD hingegen radikalisiert sich zunehmend. Das schließt nicht aus, dass sich ihre Wählerschaft auch aus Konservativen speist. Wenn diese Entwicklung weitergeht, dann sollte die Union in Anlehnung an Franz Josef Strauß selbstbewusst formulieren: „Rechts von uns ist unter den demokratischen Parteien nur die Wand.“ Alle anderen stehen außerhalb des demokratischen Konsenses. Deswegen ist es auch so wichtig, in der politischen Sprache genau zwischen „rechts“ auf der einen und „rechtsextrem“ auf der anderen zu unterscheiden. Und Bürgerinnen und Bürger, die sich als konservativ empfinden, können dann wählen, wo sie ihre politische Heimat sehen. Sie haben dabei die Wahl zwischen der Partei, die diese Bundesrepublik „erfunden“ und stark gemacht hat, und einer Partei, bei der man nicht so richtig weiß, was sie mit Deutschland vorhat. Man ahnt: Es hat wenig zu tun, mit den konservativen Werten, die nach wie vor in der Union eine Heimat finden.

Buchtipps

Roland Koch, Konservativ. Ohne Werte und Prinzipien ist kein Staat zu machen, Freiburg im Breisgau 2010.

Martina Steber, Die Hüter der Begriffe. Politische Sprache des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945-1980, Göttingen 2017.

Wolfram Weimer, Das konservative Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit, Kulmbach 2018.

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