Die Afghanistanpolitik ist gescheitert
Aber die Bundeswehr war erfolgreich. Wie passt das zusammen?
Es ist ein bisschen wie im Fußball oder zu Beginn der Pandemie: Auf einmal haben alle nicht nur eine Meinung zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, sondern wissen auch noch genau, warum der Einsatz gescheitert ist. Da geht’s schon los: Die Politik mag gescheitert sein, dort eine Ordnung zu etablieren, die vielleicht nicht westeuropäischen Standards entspricht, die uns aber doch in Zukunft ruhig schlafen lässt, wenn wir an das Land im Hindukusch denken. Aber der Einsatz der Bundeswehr war aus meiner Sicht ein Erfolg. Was meine ich damit? Entgegen des jetzt immer wieder zu hörenden und vorschnellen Urteils war der Einsatz von Streitkräften eben doch eine Lösung, wenn auch nur vorübergehend. Es war die Politik, die aus dem militärischen Erfolg nichts gemacht hat. Weder die Truppen der NATO noch Bundeswehr haben zu irgendeinem Zeitpunkt behauptet, den Afghanistankonflikt bewältigen zu können. Es war immer klar, dass das eine Aufgabe der Diplomatie war. Das Militär konnte nur die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Politik wieder zum Zuge kam in diesem von Krieg geschundenen Land.
Es ist falsch, den Einsatz vom Ende zu bewerten. Was war der Ausgangspunkt? Nach den Terroranschlägen des 11. Septembers war eine Reaktion unumgänglich. Glaubt jemand ernsthaft, dass Terroristen am Dialog, Austausch von Positionen und dem Ringen um einen Kompromiss interessiert sind? Die Sprache der Gewalt kann man mit nicht mit Wattebällchen und Stuhlkreisen beantworten. Deshalb war nicht nur die militärische Reaktion der USA richtig, sondern genauso richtig war es, dass die NATO den Bündnisfall erklärt hat. Keine Frage: Die Entscheidung der Bundesregierung in diesem Falle den Bündnisverpflichtungen nachzukommen war ebenfalls richtig. Trotzdem wird jetzt vorschnell gerade von links immer wieder gesagt, dass Militär eben keine Lösung sei. Deswegen sei der Einsatz falsch gewesen. Das ist mit Verlaub gesagt intellektuelle Tieffliegerei.
Richtig ist: Die Politik hat es nicht geschafft, in Afghanistan eine Ordnung zu etablieren, die dauerhaft auch ohne die Präsenz der Streitkräfte der NATO funktioniert. Insofern ist das Urteil, dass der Einsatz politisch gescheitert ist, wie gesagt nicht ganz falsch. Die eigentliche Erkenntnis traut sich aber niemand auszusprechen, weil man dann mit einer linken Lebenslüge aufräumen müsste: Eine Zivilgesellschaft kann noch so stark sein, eine ganze Generation kann mit neuen Freiheitsrechten und neuen Möglichkeiten groß werden, den Zugang zu Bildung für Männer und Frauen gleichermaßen ermöglicht werden, doch das nützt alles nichts. Am Ende braucht es eine militärische Kraft, die stark genug ist, um diese Rechte Normen zu sichern und gegen Angriffe von innen und außen zu verteidigen. In dem Moment, wo die afghanische Armee sich über Nacht faktisch aufgelöst hat, war auch die Zivilgesellschaft ohne jede Chance gegen die Taliban. Natürlich hatte die afghanische Armee nicht die Kampfkraft der NATO-Truppen. Es ist dennoch darauf hinzuweisen, dass sie es war, die in den letzten Jahren den Kampf mit den Taliban geführt hat. Die Bundeswehr hatte sich gemäß des Auftrags auf Beratung und Ausbildung zurückgezogen. Und selbst die fand durch die Pandemie nur noch sehr eingeschränkt statt. Zugespitzt formuliert könnte man sagen: Es hat gereicht, dass die Bundeswehr da war, um der afghanischen Armee die notwendige Kampfkraft zu geben, den Taliban entgegenzutreten.
Kaum waren die letzten NATO-Soldaten aus dem Land, war es, als habe man der afghanischen Armee das Rückgrat gebrochen. Und vielleicht ist das eine Erklärung für das schnelle Ende. Die afghanische Armee hat sich von ihren Ausbildern und Partner im Stich gelassen gefühlt. Es war nicht die fehlende Unterstützung im Kampf, sondern die moralische Unterstützung, die auf einmal fehlte. Und ohne Moral kann keine Armee kämpfen. Die politische Entscheidung, abzuziehen, war zumindest zu diesem Zeitpunkt falsch.
Solange die NATO-Truppen im Land waren, konnte die afghanische Regierung und die Armee den Taliban also halbwegs Paroli bieten. Solange die NATO-Truppen im Land waren, hätte die Politik an einer Lösung arbeiten können. Wir lernen also: Militär ist zwar nicht die Lösung, aber ohne Militär war keine Lösung in unserem Sinne möglich – zumindest in Afghanistan.
Fakt ist: Das vorrangige Kriegsziel der NATO ist erreicht worden. Osama bin Laden ist tot. Derzeit ist nicht absehbar, dass von Afghanistan aus wieder Terror in die Demokratien des Westens getragen wird. Mission accomplished? Zugegeben, so einfach ist es natürlich nicht. Hier war der erste Fehler der deutschen Politik. Viel zu spät hat man den Konflikt in Afghanistan und dein Einsatz der Bundeswehr als das bezeichnet was er war: Ein Kriegseinsatz. Vom alten Moltke wissen wir: „Der Fehler im Aufmarschplan zieht sich durch die ganze Schlacht.“ Hätte die deutsche Politik mal ihren Moltke gelesen. Viel zu lange hat man sich vor einer klaren Sprache und der dadurch absehbaren Debatte gedrückt. In den Krieg hat man die Soldaten trotzdem geschickt. Geredet hat man über Brunnen und Schulen.
Während man der deutschen Außenpolitik kein gutes Zeugnis ausstellen mag, so ist das mit Blick auf die Bundeswehr aber dezidiert anders. Es ist auffällig, dass gerade diejenigen, die sonst immer das Primat der Politik betonen, nun darüber reden, der Einsatz der Bundeswehr sei gescheitert. Worte sind verräterisch. Nochmal: Nicht die Bundeswehr, die Politik ist gescheitert. Der Einsatz der Bundeswehr für sich genommen war hingegen erfolgreich.
Erstens hat die Bundeswehr 20 Jahre lang diesen Einsatz „gestemmt“. Die Armee hat jeden Auftrag, den die Politik vorgegeben hat, erfolgreich umgesetzt. Den Inhalt des Auftrags schreibt sich die Armee nicht selbst. Das ist Aufgabe der Politik. Kein einziges Mal hat das Militär melden müssen: „Sorry, das können wir nicht.“ Oft ging dabei die Einsatzbereitschaft zulasten der Streitkräfte in der Heimat, aber es bleibt dabei: Die Bundeswehr hat jeden Auftrag, den Bundesregierung und Bundestag formuliert haben, erfüllt. Für eine Armee, in der deutschen Medien zufolge angeblich nichts schwimmt, fliegt und schießt, ist das ein enormer Erfolg. Da haben die Männer und Frauen im Einsatz viel geleistet. Sie können auf sich selbst stolz sein. Und wir sollten es auch.
Zweitens hat die Bundeswehr in den Anfangsjahren des Einsatzes bewiesen, was sie eben nun mal ist: Eine Streitmacht. Sie hat gekämpft, geblutet, und auch – sprechen wir es aus – wenn notwendig getötet. Dabei hat die Bundeswehr sich nicht nur behauptet, sondern war siegreich, hat Räume erobert und an die afghanische Armee übergeben, die diese bis vor kurzem gehalten hat. Die Bundeswehr hat bewiesen, dass sie einsatzbereite Spezialkräfte mit dem Kommando in Calw besitzt, die am Hindukusch ebenfalls erfolgreich im Einsatz waren. Wenn man nicht bereit ist, diesen Wesenszweck von Streitkräften klar zu benennen, dann sollte man darauf verzichten, welche zu unterhalten. Die Bundeswehr war eben nicht in diesem Land, um Brunnen zu bohren oder Schulen zu errichten. Schon Clausewitz hat richtig formuliert: „Allem wozu Streitkräfte gebraucht werden, liegt die Idee des Gefechts zu Grunde; denn sonst würde man ja keine Streitkräfte gebrauchen.“
Drittens hat die Bundeswehr für sich selbst viel gelernt. Natürlich sind Fehler gemacht worden. Das ist nicht nur aufgrund des „Nebel des Krieges“ – schon wieder Clausewitz – fast unvermeidbar. Die Armee musste sich der öffentlichen und parlamentarischen Kritik stellen und hat daraus gelernt. Und gerade im Bereich der Fürsorge ist die Bundeswehr heute so aufgestellt, dass Soldaten und Soldaten mit sowohl körperlichen als auch seelischen Verwundungen einen Beistand erfahren, der zu Beginn des Einsatzes nicht denkbar war. Für künftige Einsätze und Konflikte gehört beides untrennbar zusammen: Die Fähigkeit und Bereitschaft zum Kampf und die Fürsorge für Veteranen und Einsatzgeschädigte.
Viertens hat die Bundeswehr unserer Gesellschaft den Spiegel vorgehalten: Sie selbst hat mit dem Ehrenmal aber auch mit Initiativen aus dem Reservistenverband wie dem Marsch zum Gedenken eine Erinnerungskultur entwickelt, die dem hohen Preis, den dieser Einsatz gefordert hat, dem Tod von fast 60 Soldaten in diesem Krieg, Rechnung trägt. Es wäre wünschenswert, wenn diese Bereitschaft, seinen soldatischen Eid zu erfüllen, von uns allen mehr Anerkennung und Würdigung erfahren würde. Eine Gesellschaft, die fragt, ob dieser Tod sinnlos gewesen sei, offenbart dabei, dass sie zu einer Gesellschaft verkommen ist, in der ein Einsatz nur Sinn macht, wenn er sich sozusagen betriebswirtschaftlich rechnen lässt. Das würde ja bedeuten, dass der Tod der Soldaten nur im Falle eines politischen Erfolges in Afghanistan hinnehmbar gewesen wäre. Das finde ich zynisch. Wenn man die Sinnfrage überhaupt stellen mag, dann gilt es anzuerkennen, dass allein die Bereitschaft, das eigene Leben in den Dienst unserer Republik zu stellen, ein Wert an sich ist, den man nicht hinterfragen kann. Denn wir verlangen genau das auch künftig vor allem von unseren Soldatinnen und Soldaten. Auch deswegen ist ihr Andenken zu ehren und ihr Tod nicht umsonst.
Nutzen wir also die Chancen und beschäftigen wir uns endlich einmal intensiver nicht nur mit dem Land Afghanistan und seinen komplexen Gesellschaftsstrukturen, sondern schauen wir dabei auch auf uns selbst. Machen wir es uns nicht so leicht mit dem Stempel „gescheitert“, sondern analysieren wir ehrlich, damit wir künftig alle Optionen – die militärische ist nur eine – klug nutzen. Wenn die von Abgeordneten des Deutschen Bundestages geforderte Evaluation des Einsatzes mehr ist als das Zusammentragen der ja in Wahrheit längst vorliegenden Statistiken, Übersichten, Zahlenwerke und Analysen der letzten 20 Jahre sein soll, wenn es um Schlussfolgerungen für die Zukunft geht, dann ist diese Forderung nach einer Evaluation jetzt berechtigt. Was haben wir gelernt? Was war erfolgreich? Und vor allem: Bewahren wir die Erkenntnis, dass unsere Bundeswehr in der Lage ist, auch schwierige Aufträge zu erfüllen. Das ist eine gute Botschaft an unsere Freunde und Verbündeten für künftige Krisen und eine gute Nachricht für unser Land.