„Alles nur ein Spiel“ – zum Geschichtsbild in Computerspielen zwei Lektürehinweise
Alles nur ein Spiel
Computerspiele sind längst nicht mehr nur Unterhaltung. Computerspiele sind ein Kulturgut (sagen zumindest viele, darunter auch ich), und Computerspiele sind vor allem ein Wirtschaftsgut. Der Branchenverband BIU hat Zahlen vorgelegt, nachdem in der Computerspieleindustrie im letzten Jahr insgesamt über 1,9 Milliarden Euro umgesetzt worden sind. Allein in Deutschland arbeiten in der Branche über 10.000 Menschen. Da ist es erlaubt, sich näher mit dem Einfluss von Games auf unsere Gesellschaft allgemein zu beschäftigen. Ich habe über die Bedeutung von Computerspielen ja bereits einmal geschrieben.
In zwei lesenswerten Büchern haben sich die Historiker Steffen Bender und Carl Heinze der Frage nach der Darstellung von Geschichte in Computerspielen und den daraus resultierenden Folgen für unsere Erinnerungskultur genähert. Ausgehend von der Annahme, dass – wie es Steffen Bender formuliert – „eine symbolträchtige, erinnerungskulturelle Funktion denjenigen Medien“ zukommt, „die eine bestimmte soziale Gruppe als mediale Erinnerungsorte bestimmt und auserkoren hat“, ist die Untersuchung von Computerspielen gesellschaftspolitisch eine spannende Aufgabe.
Während die Popkultur längst Gegenstand wissenschaftlicher Studien ist und das Aufgreifen und Verarbeiten von tradierten Geschichtsbildern dort gang und gäbe ist, fehlt eine solche Analyse von Games bisher leider weitgehend. Beide Bücher leisten also echte Pionierarbeit. Wenn Computerspiele das kulturelle Gedächtnis prägen, dann ist es an der Zeit, dass auch die Wissenschaft sich mit der Spielebranche als Teil der Kulturwirtschaft auseinandersetzt. Die Stiftung Digitale Spielekultur ist hier ein guter Ansatz. Das Computerspielemuseum in Berlin, dass völlig ohne öffentliche Zuwendungen auskommt, ist ein weiterer Beleg für die Attraktivität des digitalen Spielens.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es verschiedene Spieltypen gibt, die sich eines historischen Hintergrundes bedienen. Klassisch sind dies Strategiespiele, Fahrzeugsimulationen und so genannte „Ego-Shooter“. Während bei Simulationen eine möglichst authentische Darstellung des Panzers, Flugzeugs oder Unterseeboots das Ziel ist und auch hier der „Effekt des Authentischen“ ein zentrales Element des Spiels, gehen Strategiespiele und Shooter darüber hinaus. Hinzukommt, dass bei Fahrzeugsimulatoren praktisch eine Entmenschlichung stattfindet. In beiden anderen Spieletypen handelt primär der Spieler und es geht nicht um die effektive Steuerung oder den Einsatz eines Fahrzeugs. Darum sie diese Form hier erwähnt, aber nicht näher betrachtet.
Bis auf wenige Ausnahmen bleibt auch im Shooter der historische Kontext „Beiwerk“. Ein pädagogischer Aspekt ist daher nicht zu erkennen, durch die Hersteller in der Regel wohl auch nicht beabsichtigt. Der historische Hintergrund dient vielmehr dazu, die Basis für eine fiktive Geschichte zu liefern, wenngleich auch hier ein größtmögliches Augenmerk auf die Schaffung einer „Authentizitätsfiktion“ gelegt wird. Der Spieler soll das Gefühl haben, dem historischen Geschehen so nah wie möglich zu kommen. Soundgeräusche von historischen Fahrzeugen oder Waffen werden in das Spiel integriert und damit auch geworben, obwohl der Spieler im Zweifel den Klang eines deutschen oder sowjetischen Maschinengewehrs (zum Glück) aus eigenem Erleben gar nicht kennt und im Zweifel gar keinen Vergleich anstellen könnte. Spiele liefern daher trotz des Bemühens um eine authentische Abbildung des Hintergrunds eine eigene Version geschichtlicher Wirklichkeit, erlauben das Durchleben alternativer geschichtlicher Verläufe oder dienen sogar als virtuelle „Gedenkorte“. Der britische Historiker Niall Ferguson berichtet, dass er selbst spielt, um „alternative“ Geschichtsverläufe „zu prüfen“. Spiele mit einer derartigen Sinnhaftigkeit – genannt wird u.a. das Spiel „Black Hawk Down“, dass an den Einsatz von US-Truppen in Somalia erinnert und innerhalb des Spiels Raum zur Pflege einer eigenen Erinnerungskultur bietet – sind aber auch für diejenigen Gamer spielbar und attraktiv, für die ein solcher Moment uninteressant oder zu vernachlässigen ist.
Eine der wenigen Ausnahmen für einen Shooter, der sich in besonderem Maße historischer Authentizität verpflichtet fühlt und dabei auch einen pädagogischen Anspruch für sich reklamiert, ist das Spiel 1378(km). Es verbindet den Charakter eines Serious Games mit einem klassischen Shooter und thematisiert den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze in den Jahren der Teilung. Gerade ob dieser Authentizität geriet das Spiel aber in die Kritik. Eine solche Form der Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Ereignissen scheint für Computerspiele aufgrund der aktiven Rolle des Spielers noch nicht allgemein gesellschaftlich akzeptiert. (Computerspielen und vor allem Shootern fehlt ja allgemein in manchen Bereichen noch eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz.) Das ist gerade in diesem Fall bedauerlich, verweist auf die große Unkenntnis der jungen Generation zur deutsch-deutschen Geschichte und den immensen Möglichkeiten, mittels Games historische Kontexte zu vermitteln.
Noch problematischer ist die Darstellung der Zeit des Nationalsozialismus im Computerspiel. Eine „authentische“ Abbildung scheitert in Deutschland nicht nur an den deutschen Rechtsvorgaben was die Verwendung nationalsozialistischer Symbole betrifft – aus gutem Grunde. Schwierig ist vor allem die regelmäßig erkennbare Trennung militärischer Abläufe vom Hintergrund des NS-Weltanschauungskrieges, dort wo der Spielverlauf erkennbar in der Zeit des Zweiten Weltkrieges spielt. Spannend sind hier die oft für den deutschen Markt in Abweichung gestalteten Spiele. Das Kapitel fand ich besonders spannend.
Spannend und in beiden Büchern nicht bearbeitet sind die so genannten „Aufbausimulationen“. Neben kriegerischen Auseinandersetzungen, die sehr oft militärische Konflikte des 20. Jahrhunderts zur Grundlage haben, durchlaufen Aufbausimulationen im Schnelldurchlauf die Menschheitsgeschichte – denkt man an den großen Erfolg von Sid Meiers Civilization – oder knüpfen an einem idealisierten Bild des Mittelalters an. Die erfolgreiche Spielereihe „Die Siedler“ ist hierfür ein gutes Beispiel. Zur Auswahl stehen große Kulturvölker oder eine stilisierte Mittelalterwelt, in der man seine Siedlung aufbaut, entscheidet, ob man jagen geht oder Fische fängt und welches Metall man abbauen lässt.
Die Frage, inwieweit Computerspiele das Geschichtsbild der Spieler prägen, können beide Bücher nicht abschließend beantworten, aber sie sensibilisieren für ein spannendes Thema, dass bisher weder von der Pädagogik noch von der Geschichtswissenschaft geschweige denn von der Computerspieleindustrie hinreichend Beachtung gefunden hat. Wird Zeit, dass sich das ändert.
Als Lesetipp empfehle ich daher:
Steffen Bender,Virtuelles Erinnern. Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen, Bielefeld 2012.
Carl Heinze, Mittelater Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel, Bielefeld 2012.