Eindrücke aus zwei Tagen in einer Flüchtlingseinrichtung in Offenbach I

Ich war zwei Tage freiwillig als Helfer für Flüchtlinge im Einsatz. Meine Eindrücke sind Momentaufnahmen und subjektiv. Ich erhebe nicht den Anspruch, einer allgemein gültigen und detaillierten Darstellung. Auf meinem Blog veröffentliche ich meine Erfahrungen.

Einschleusung und Dienstbeginn.

Ich schlage am Freitag früh beim Gefechtsstand der RSU-Kompanie Südhessen auf, der in der Wache der Freiwilligen Feuerwehr Rumpenheim untergebracht ist. Die über 40 Kameraden sind bereits im Einsatz. Die Kompanie stellt zwei Züge und wechselt sich in zwei Schichten mit der „Nord“ ab, wie wir die RSU-Kompanie Nordhessen kurz nennen. Derzeit sind in zwei Schulturnhallen und in einer großen Gewerbeimmobilie Flüchtlinge untergebracht. Der Auftrag für den Tag lautet: Räumung der Schulturnhalle der Anne-Frank-Schule, die ab Montag wieder dem Schulbetrieb zur Verfügung stehen soll, Verlegung der Flüchtlinge nach Kaiserlei und dort Aufbau weiterer Kapazitäten.

Die Kameraden berichten, in der Schulturnhalle sei „ein ganzes afghanisches Dorf“ mit 80 Personen untergebracht. Diese sollten zusammen bleiben. Es seien Familien und viele Kinder. Die Männer, die in der Nacht bereits Dienst getan haben, bekommen zwei Stunden Ruhe, um dann um 12.30 Uhr in die Schule aufzubrechen, um die Räumung durchzuführen. Bis dahin würden Busse die Flüchtlinge nach Kaiserlei bringen. Ein Trupp, dem ich zugeteilt bin, verlegt direkt in die Schulen, die sich in unmittelbarer Nä-he zueinander befinden. Dort sind auch Kräfte des THW, der Feuerwehr und des DRK vor Ort. Hinzu kommen Reinigungspersonal und ehrenamtliche Sprachmittler, die vom DRK koordiniert werden.

Flüchtlinge 04

Wir erhalten eine Einweisung. Aus Sicherheitsgründen wird befohlen, die Namensschilder abzunehmen. Außerdem erhält jeder zusätzliche Desinfektionsmittel, um sich regelmäßig Hände und Handschuhe zu desinfizieren. Ich habe keine entsprechende Impfung bzw. auch keinen ATN (Ausbildungs- und Tätigkeitsnachweis) für den Küchendienst und kann daher nicht bei der Essensausgabe eingesetzt werden. Der Spieß bereitet uns auf ein unklares Lagebild vor Ort vor. Man wisse nicht, woher die Flüchtlinge kommen und wann sie eintreffen. Bis zum Abend müsse aber in Kaiserlei die geforderte Aufnahmekapazität bereitstehen.

Aufsitzen. Wir verlegen an die Schulen. Die Turnhalle der Anne-Frank-Schule wird bereits geräumt. Einige verbliebene Flüchtlinge stehen mit ihren wenigen Habseligkeiten, die sie mal in einem Koffer, mal nur in einem blauen Müllsack bei sich tragen, an der Bushaltestelle und warten. Auch Schülerinnen und Schüler warten auf den Schulbus. Fast alle haben eine Einwanderungsgeschichte, manche Mädchen tragen Kopftuch. Was wissen die einheimischen Schülerinnen und Schüler über die Namensgeberin der Schule, die ja selbst ein Flüchtling war? Nur an der Kleidung und weil sie getrennt voneinander stehen und die Schülerinnen und Schüler die Flüchtlinge neugierig beäugen kann man einen Unterschied erkennen.

In der Turnhalle hängen noch von den Kindern gezeichnete Bilder an der Wand. Viele Kinder haben Deutschlandfahnen gemalt. Ich glaube kaum, dass deutsche Kinder so oft unsere Farben malen. Was denken sich diese Kinder dabei? Was verbinden sie mit Deutschland? Was haben ihre Eltern ihnen erzählt?

Wir beseitigen die Unordnung, die sich allerdings in Grenzen hält. Es sind Reste der dort ausgegebenen Hygiene-Mittel, Kleidung und Getränke so wie Lebensmittel im Kühl-wagen. Alles wird in die Schulturnhalle der Edith-Stein-Schule schräg gegenüber gebracht. Das ist der erste Auftrag. Dann kommen die Kameraden hinzu, die nur zwei Stunden Ruhe hatten. Sie tragen die Feldbetten hinaus, desinfizieren sie, reißen die Plastikplanen mit denen der Hallenboden abgeklebt war, hinaus, damit die Putzkolonne ans Werk kann. Jemand von der Berufsfeuerwehr Offenbach hat die Leitung übernommen. Die Kameraden sollen danach eigentlich noch nach Kaiserlei, um dort beim Aufbau zu unterstützen. Doch die Leitung entscheidet anders und schickt sie zurück in die Unterkunft, damit sie ausschlafen. Ein Teil unseres Zuges übernimmt. Ich werde später gemeinsam mit drei Kameraden zur Unterstützung nach Kaiserlei abrücken. Während die Männer die Halle wieder so herrichten, dass sie ihrem ursprünglichen Zweck dienen kann, bringe ich gemeinsam mit einigen Kameraden das Material und die Lebensmittel in die benachbarte Halle.

„Milch und Zucker. Dann haben wir Frieden.“

In der Turnhalle der Edith-Stein-Schule ist gerade die Ausgabe des Frühstücks beendet. Von 8 bis 10 Uhr können die Flüchtlinge frühstücken. Ich begrüße die Kameraden. Bis jetzt klappt alles ganz gut. Ich laufe „normal“ mit und es gibt keinen „Politikerstatus“. So habe ich das gewollt, und das geht in der Bundeswehr besser als anderenorts. Die Uni-form und der Dienstgrad sortieren mich ein. Außerdem merkt man schnell, dass jede Hand vor Ort gebraucht wird. Es ist keine Zeit vorhanden, um Bilder zu stellen, wie das so oft geschieht, wenn man als Politiker vor Ort die Lage „inspiziert“. Ein Offizier schimpft deswegen auch. Er habe gehört, was man alles unternommen habe, bevor Gabriel die HEAE Gießen besuchte. Ein realistisches Bild habe Gabriel auf jeden Fall nicht vermittelt bekommen. Es stellt sich die Frage, ob man das dem SPD-Vorsitzenden vor-werfen kann. Auf jeden Fall hat mir der Offizierskamerad recht deutlich zu verstehen gegeben, was er von mir erwartet: Einreihen, anpacken. Darum bin ich hier.

Vor Ort merkt man: Die Abläufe sind eingespielt. Die Ablösungen weisen sich gegenseitig ein. Es gibt auch keine „Reibereien“ zwischen den verschiedenen Hilfsorganisationen und der Bundeswehr. Im Einsatz funktioniert die Zusammenarbeit. Ich stelle fest, dass unter den Kameraden auch zwei CDU-Mitglieder aus Hessen sind. Beide dienen in der RSU-Kompanie und machen nun hier Dienst anstelle der geplanten militärischen Übung. Einen weiteren Kameraden kenne ich von der Universität. Er hat bei mir studiert. Wir freuen uns über das unerwartete Wiedersehen. Auch mit den anderen Kameraden ist es unkompliziert. Manche waren schon im Auslandseinsatz, andere sind schon lange als Reservisten engagiert und der Bundeswehr verbunden. Sie helfen also nicht nur angesichts der Not der Flüchtlinge. Sie helfen, weil die Bundeswehr sie braucht.

Die Flüchtlinge haben alle ein buntes Armband mit einer Nummer bekommen. Anhand des Armbandes wird festgestellt, wer verpflegt wurde. Das ist offensichtlich die einzige Liste, die wir führen. Eine Registrierung der Flüchtlinge erfolgt hier nicht. Ich habe zwar in den zwei Tagen in Kaiserlei auch Mitarbeiter des Regierungspräsidiums gesehen, aber ob und wann die Flüchtlinge ordnungsgemäß erfasst wurden kann, ich nicht sagen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass eine Registrierung stattfindet. Aber offensichtlich ist geplant, Kaiserlei zu einer Außenstelle der HEAE Gießen zu machen und dort dann auch Mitarbeiter des BAMF zur Registrierung der Flüchtlinge einzusetzen. So hört man es zumindest. Die Einsatzkräfte haben aber auch so schon alle Hände voll zu tun, um nur den laufenden Betrieb aufrecht zu erhalten wollen: Es geht um die Unterbringung, die Versorgung mit dem Notwendigsten.

Auch wir konzentrieren uns auch auf unseren Auftrag. So erhalten die Flüchtlinge in der Edith-Stein-Schule aus einer improvisierten Kleiderkammer bei Bedarf ein neues Paar Socken, ein Handtuch oder andere Kleidungsstücke. Wir betreuen diese Kammer, die in einem Nebenraum der Turnhalle untergebracht ist. Öffnet man dort die Tür, dann kann man sicher sein, dass sich sofort in eine Traube von Menschen bildet. Jeder fragt nach etwas anderem. Bei den Socken sind vor allem weiße Socken gefragt. Das scheint eine Geschmacksfrage zu sein. Die Flüchtlinge besitzen wirklich nur die Dinge, die sie am Leibe tragen. Manche haben einen Rucksack. Feste Schuhe haben nur die wenigsten. Viele sind mit Flipflops unterwegs. Wie sie den Weg zurückgelegt haben ist schwer vorstellbar. Bei Ankunft erhalten sie neben einem medizinischen Check, den das Rote Kreuz durchführt, auch eine „Erstausstattung“. Das ist ein Plastiksack, in dem einige wenige Dinge enthalten sind: u.a. eine Rolle Klopapier, ein Handtuch, eine dünne Decke, Hygieneartikel. Es ist nicht viel.

Tagsüber sitzen die Familien und die Gruppen beieinander. Die Kinder fragen immer wieder nach Bällen. Manche haben Stofftiere. Draußen vor der Halle spielen einige Fuß-ball. Ständig belagert sind die Steckdosen, an denen alle ihre Smartphone aufladen. Und ständig wird telefoniert. Eine Sprachmittlerin hat mir erzählt, dass die Flüchtlinge nicht nur Kontakt mit Verwandten halten, sondern es auch darum geht, herauszufinden, wo welche Unterkünfte vorhanden sind, in welchem Zustand diese sind, wie das Essen ist und – ganz wichtig – wo man registriert werden kann. Denn offensichtlich wollen viele sich ordnungsgemäß registrieren lassen. Sie haben verstanden, dass das die Grundlage für ihren Aufenthalt und geordnete Verhältnisse in Deutschland ist. Andere, die weiter wollen, verzichten genau aus diesem Grund auf eine Registrierung, bzw. versuchen, dieser aus dem Weg zu gehen.

Zwischen den festen Essenszeiten gibt es Kaffee und Tee sowie Wasser und Milch für die Flüchtlinge. Wir füllen regelmäßig auf. Würfelzucker ist besonders gefragt. Wir können gar nicht so viel Zucker nachlegen wie genommen wird. „Solange genug Milch und Zucker da sind, haben wir hier Frieden“, lacht ein Kamerad. Und in der Tat. Die Kinder kommen und werfen sich drei Stück Zucker in ihre Milch. Manche Männer nehmen auch einfach einige Zuckerwürfel und schieben sich diese grinsend in den Mund. Und wieder legen wir eine Packung nach, denn die vorherige ist nach nicht mal einer Viertelstunde leer.

 

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