Eindrücke aus zwei Tagen in einer Flüchtlingseinrichtung in Offenbach III
Ich war zwei Tage freiwillig als Helfer für Flüchtlinge im Einsatz. Meine Eindrücke sind Momentaufnahmen und subjektiv. Ich erhebe nicht den Anspruch, einer allgemein gültigen und detaillierten Darstellung. Auf meinem Blog veröffentliche ich meine Erfahrungen.
So viel Hilfsbereitschaft.
Besonders beeindruckt hat mich nicht nur die Professionalität, die Improvisationsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft, sondern auch die Hilfsbereitschaft, die man überall erleben konnte.
Die Spendenbereitschaft der Bevölkerung in Offenbach ist so groß, dass die Hilfsorganisationen die Spenden nicht mehr annehmen können, weil keine Lagermöglichkeiten vorhanden sind. Die Stadt Offenbach, die für diesen Zweck eine Kraft abgestellt hat, registriert daher die Spender namentlich inklusive der bereitgestellten Spenden und telefoniert dann im Bedarfsfall. Als ich vor der Turnhalle der Edith-Stein-Schule warte, kommt ein Ehepaar und will mehrere Kisten Kleidung abgeben. Ich verweise sie auf den angeschlagenen Aushang der Stadt Offenbach. Sie wollen sich an die Stadt wenden. Kein böses Wort, keine Enttäuschung. Und die getroffene Regelung macht Sinn. Sicherlich waren in den Säcken auch Dinge, die für die Flüchtlinge in der Edith-Stein-Schule gut geeignet gewesen wären, aber angesichts des großen Bedarfs müssen alle Ressourcen sinnvoll eingesetzt.
Am zweiten Tag reduziert sich die Kleiderauswahl in der Kleiderkammer in Kaiserlei. Die neu angekommenen Flüchtlinge brauchen Schuhe und hier und da auch Handtücher oder einen Pullover. Wir holen in Dietzenbach und in Offenbach im Kleiderladen des DRK bereitgestellte Kleidung ab. In Dietzenbach schließt uns eine ältere Frau den Laden auf, in Offenbach steht ein Paar, beide schwerstens tätowiert, im Laden und erwartet uns. Sonst haben sie wahrscheinlich mit der Bundeswehr nicht viel am Hut. Aber wir verstehen uns ohne Probleme. Alles geht reibungslos vonstatten, und wir sind nach zwei Stunden zurück in Kaiserlei.
Ein echtes Problem scheint mir die Gesundheitskontrolle. Am zweiten Tag nehmen wir noch einmal über 20 Flüchtlinge, die mit dem Bus gebracht werden in der Turnhalle der Edith-Stein-Schule auf. Es stellt sich schnell heraus, dass einige krank sind. Es ist nicht möglich, zu klären, was genau sie haben. Aufgrund dessen müsste eigentlich der ganze Bus in Quarantäne. Ich kann nicht verfolgen, was mit ihnen geschieht, denn ich muss zurück nach Kaiserlei. Dort deponieren wir die geholte Kleidung im Zentrallager.
Zwischendurch gehe ich vor die Tür. Frische Luft schnappen. Direkt vor der Tür stehen auch die Raucher. Neben dem Aschenbecher liegen die weggeschmissenen Armbänder, mit deren Hilfe die Flüchtlinge gezählt werden. Registrierung kann man das – wie gesagt – nicht nennen. Die Flüchtlinge schmeißen sie weg, wenn sie weiterziehen. Ich denke an die Sprachmittlerin, die mir erklärt hat, dass viele Flüchtlinge fragen, wo sie registriert werden würden. Andere wollen aber weiter – nach Nordeuropa oder in andere Einrichtungen, vielleicht auch zu Familienmitgliedern. Unterbringung, Versorgung und Registrierung miteinander zu koppeln, scheint mir die Hauptaufgabe zu sein.
Wir schaffen das.
Ich habe Helferinnen und Helfer, Einsatzkräfte an ihrer Belastungsgrenze erlebt. Und natürlich hat auch mal einer gemeckert. Aber am Ende haben alle mehr als ihre Pflicht getan. Alle wissen, dass das eine außergewöhnliche Herausforderung ist. Und manch einer will auch dabei sein, wenn etwas wirklich Historisches passiert, so mein Eindruck, und seinen Teil zum Gelingen beitragen. Viele wachsen über sich hinaus. Viele fragen, wie lange das noch gut geht. Ich hatte aber auch den Eindruck, dass trotz des Drucks und der Belastung manche diese Situation fast als befreiend empfunden haben. Ein Soldat sagte zu mir: „In einer Bundeswehr, die so überreguliert ist, dass schon das bloße Dasit-zen ein Dienstvergehen darstellen kann, habe ich endlich einmal wieder das Gefühl, et-was Sinnvolles zu tun. Das hatte ich lange nicht mehr.“
Gelobt wird allgemein der neue Ansatz, die Koordinierung der Flüchtlingspolitik aus dem Kanzleramt sicherzustellen. Parallel wird eine entsprechende fehlende Struktur auf Länderebene bemängelt. Dort würden zu oft Institutionen nur in eigenen Aufgabenbereichen denken. In den Flüchtlingsunterkünften habe ich das so nicht erlebt, aber es ist sicher demotivierend, wenn man auf der nächsthöheren Ebene solche Erfahrungen macht. „Wir spielen Normalität, obwohl es nicht die Normalität gibt“, sagt einer. Offen-sichtlich funktioniert auch der Austausch über die Landesgrenzen hinweg auf der Arbeitsebene. Man kennt sich in den Hilfsorganisationen und in der Bundeswehr und tauscht sich privat untereinander aus. In Hessen funktioniere es noch verhältnismäßig gut, obwohl auch hier ein entsprechender zentraler Lenkungsstab dringend geboten wäre, so sagen manche. „Wir brauchen auch in Hessen einen Altmaier“, heißt es. Mit Blick auf die Länder sprechen manche von „systemischem Versagen“. Die Bundeswehr übernehme teilweise Aufgaben, für die das Land zuständig sei, weil die Innenminister überfordert sind. Die Truppe zählt und meldet die Zahl der Flüchtlinge an die Behörden. Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt, aber so wird gesprochen.
Angeregt wird auch eine strukturierte Befragung in den Einrichtungen, um eine Lagebild zur Stimmung und Motivation unter den Flüchtlingen zu gewinnen. Die Instrumente dafür seien vorhanden – durch Sprachmittler, ehrenamtliche Helfer und Soldaten mit einer Einwanderungsgeschichte. Das Beispiel des Stabsunteroffiziers Abudi Akil ging durch die Presse. Der Einsatz solcher Kräfte ist nicht nur vor Ort sinnvoll. Bislang allerdings werden die dadurch gewonnenen Informationen in keiner Weise genutzt, um sie zusammenzubinden und damit zu arbeiten.
In den Pausen sitzen wir beisammen und reden. Auch mit den Kräften des Arbeiter-Samariter-Bundes, die ebenfalls in Kaiserlei eingesetzt sind. Einer sagt irgendwann, dass man hier doch merke, wie degeneriert und selbstbezogen unser Land sei. Das ist zumindest mit Blick auf die Einsatzkräfte vor Ort ein ungerechtes Urteil. Denn die helfen ja und packen mit an. Aber ich verstehe, was er meint. Was wir gerade erleben ist nicht nur eine Herausforderung für unser Land von außen. Es ist auch eine Herausforderung an uns selbst. Sind wir bereit, die Veränderungen in der Welt anzunehmen? Schaffen wir es, Probleme anzugehen und nicht nur zu beschreiben? Entwickeln wir den notwendigen Gemeinsinn und sind bereit zurückzustehen für andere und für unser Land? Nur wenn wir diese Fragen mit „Ja“ beantworten, dann ist der Satz von Angela Merkel richtig: „Wir schaffen das.“ Genügend Ressourcen haben wir. Die Frage ist, ob wir wollen.
Ein anderer seufzt: „Wann verstehen wir endlich, dass wir die Probleme der Welt nicht mit der hessischen Gemeindeordnung lösen können.“
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