Rede anlässlich der Kasernenumbenennung der ‚Lent-Kaserne‘ in ‚Von-Düring-Kaserne‘ in Rotenburg
Liebe Familie von Düring,
Sehr geehrter Herr Generalmajor von Sandrart,
lieber Oberst Dr. Freuding,
sehr geehrter Herr Kapitän zur See Burwitz,
sehr geehrter Herr Oberstleutnant Münzner,
sehr geehrter Herr Abgeordneter Holsten,
liebe Gäste, Kameradinnen und Kameraden,
Es ist eine große Ehre für mich, heute anlässlich der Umbenennung der „Lent-Kaserne“ hier in Rotenburg beim Jägerbataillon 91 zu sein.
Namen stiften Traditionen. Mit Namen sind Bekenntnisse, Werte und Normen verbunden. Sie haben sich für den Freikorpsoffizier Johann Christian von Düring als neuen Namensgeber entschieden. Zweifelsfrei ist er eine beeindruckende Persönlichkeit und ein herausragender Offizier aus der Zeit der Befreiungskriege.
Doch stellt sich die Frage, warum eine Person – zwar in der Region historisch verwurzelt – aber doch in den Stürmen der Zeit noch weiter von uns entfernt als der vorherige Namensgeber, der Jagdflieger Helmut Lent, der jungen Soldatinnen und Soldaten heute kein Begriff ist und nach dem neuen Traditionserlass kein Namensgeber mehr sein kann?
Warum kein aktueller Name? Ein Name aus dem Widerstand? Einer der Gründerväter der Bundeswehr vielleicht? Oder ein Name, der auf einen der Auslandseinsätze Bezug nimmt, in die auch die Rotenburger Soldatinnen und Soldaten immer wieder gehen? Warum kein geographischer Name?
Ich finde, Sie haben sich richtig entschieden! Eine Kaserne im Schwarzwald, die Schwarzwald-Kaserne heißt: Das hilft nicht bei der Orientierung. Weder geographisch, noch politisch. Namen prägen. Namen stellen Bezüge her, schaffen Assoziationen und stiften im besten Falle Tradition.
Welches Vorbild aber kann Johann Christian von Düring den Angehörigen unserer Streitkräfte heute sein? Zweifellos war von Düring Patriot. Es war ihm nicht gleich, dass seine Heimat unter der französischen Fremdherrschaft litt.
Gemeinsam mit 50 lauenburgischen Jägern meldete Düring sich freiwillig und wurde Leutnant im nach General Friedrich Otto Gebhard von Kielmannsegg benannten Jäger-Corps.
Als Napoleon aus der Verbannung zurückkehrte und erneut nach der Macht in Europa griff, eilte auch von Düring wieder zu den Fahnen. Er kämpfte nun als Hauptmann und Kompaniechef, u.a. auch in der Schlacht von Waterloo, in der die europäischen Verbündeten Napoleon endgültig bezwangen.
Später war Düring als Hauptmann von zweihundert Jägern in Göttingen stationiert. Und auch dort tat er sich mit vorbildlichem Handeln hervor.
Als er 1820 einen Aufstand rebellischer Studenten unterbinden sollte, die revolutionäre Ideen von politischem Wandel, Freiheit und Nationalstaat verbreiteten, bewies Düring einen kühlen Kopf und bewahrte das rechte Maß, wohl auch weil er den Forderungen der Studenten gewisse Sympathien entgegenbrachte. Ohne Gewalt wurde er der Situation in Göttingen Herr.
Nun gibt es in einer schillernden Biographie einen bemerkenswerten Punkt: Er fiel durch die Forderung auf, die Laufbahn der Forstbeamten künftig nicht mehr dem Adel vorzubehalten, sondern all denjenigen zu öffnen, die sich durch Leistung und Bildung hervortaten.
Für uns ist das ein selbstverständliches Prinzip, aber es war zur damaligen Zeit bemerkenswert. Und wir schlagen damit den Bogen, warum von Düring neben seiner militärischen Tapferkeit und Leistung auch heute für unsere Bundeswehr traditionsbildend ist. Denn diese Idee begegnet uns auch im Militär in den Befreiungskriegen. Dazu später noch mehr.
Die Befreiungskriege liegen inzwischen über 200 Jahre zurück. Und doch gibt es einige Ereignisse und Entscheidungen, die nicht nur die Historiker faszinieren, sondern die auch für uns heute sinnstiftend sein können oder sollten.
Das Symbol des Freiheitskampfes der Deutschen wurde das Eiserne Kreuz. Es ist heute das Hoheitszeichen der Bundeswehr. Welche Bedeutung legte Schinkel in den von ihm gestalteten Orden, den der preußische König zu Erinnerung an die legendäre und jung gestorbene Königin Luise stiftete?
Es war ein schlichtes Zeichen aus Eisen. Jeder konnte sich diesen Orden verdienen. Das ist ein egalitärer und demokratischer Gedanke. Er ist eng verknüpft mit der Frage, was in unserer Gesellschaft Anerkennung findet: Entscheidend für Auszeichnungen darf nicht Rang, Dienstdauer oder gar Herkunft sein. Entscheidend ist die Leistung. Wer würde heute diesem Prinzip widersprechen?
Das Eiserne Kreuz wurde als Auszeichnung für treue Pflichterfüllung und Tapferkeit sowie für herausragende Leistungen verliehen. Es war die allererste Auszeichnung für treue Pflichterfüllung, die jedermann vom General bis zum Gefreiten erhalten konnte. Das stiftete Zusammenhalt in einer zweifelnden und geschwächten Nation. Man wünscht sich manchmal die Strahlkraft dieses Gedankens zurück.
Der Orden fiel auch aufgrund des gewählten Materials aus dem Rahmen. Da war nicht nur das schlichte Eisen, dass für die harte und entbehrungsreiche Zeit stand. Das geschwärzte Eisen wurde mit einem weiteren Metall, dem Silber verbunden. Das Silber ist aber deshalb schon eine interessante Wahl, weil es damals gemeinhin symbolisch für Empfindsamkeit und Schwäche stand. Keine Schwäche im Sinne von Kraftlosigkeit, sondern in der Bedeutung, mitfühlend zu sein. Was für ein revolutionärer Anspruch für eine militärische Auszeichnung!
Eine Symbolik die doch auch für uns heute nicht falsch ist. Mitfühlend wünschen wir uns unsere Gesellschaft. Und wir wollen gemeinsam bereit sein, auch schwierige Zeiten solidarisch zu überstehen. Dafür steht das Eiserne Kreuz.
Der neue Namensgeber hat wohl nicht nur weil er eine gewisse Sympathie für die Göttinger Studenten hegte, sondern weil ihm Mitgefühl, Empathie und Maß und Mitte – Werte, die wir von deutschen Soldaten erwarten – nicht fremd waren so gehandelt. Wolf Graf von Baudissin hat es so formuliert: „Menschlichkeit ist nicht teilbar. Soll sie nur noch bestimmten Gruppen vorbehalten bleiben, so wird sie ganz und gar verloren gehen. Der Soldat, der keine Achtung vor dem Mitmenschen hat, – und auch der Feind ist sein Mitmensch – ist weder als Vorgesetzter, noch als Kamerad oder als Mitbürger erträglich.“
Auch unsere Nationalfarben schwarz-rot-gold haben übrigens ihren Ursprung in den Befreiungskriegen als Farben des Lützow’schen Freikorps. Und die Weise vom guten Kameraden, mit der wir heute noch der deutschen Gefallenen gedenken, stammt von Ludwig Uhland, einem der Dichter dieser Zeit. Die Befreiungskriege sind uns also viel näher als wir denken.
Bemerkenswert ist außerdem, dass gerade in Preußen diejenigen, die das am Boden liegende Land wiederaufrichteten, die die berühmten preußischen Reformen initiierten, gar keine Preußen waren. Sie taten es, weil es notwendig war. Sie taten es, weil sie sich dem Land verbunden fühlten. Sie taten es, weil sie dieses Land zu ihrem eigenen gemacht hatten.
Erlauben Sie mir einen aktuellen Einschub, der zeigt, warum dieser Aspekt für uns heute noch wichtig ist: Mir schrieb neulich ein Soldat mit dunkler Hautfarbe, er müsse sich immer wieder anhören, er könne eh kein richtiger deutscher Soldat sein. Nicht von Kameraden, sondern wenn er in Uniform außerhalb der Kaserne unterwegs sei. Ich bin mir sicher, er trägt die Uniform wie viele seiner Kameraden mit einer Einwanderungsgeschichte mit besonders viel Stolz. Und er hat allen Grund stolz zu sein. Er tut mehr für Deutschland als viele andere, die nur Ansprüche gegenüber Staat und Gesellschaft formulieren. Er hat sich unserem Land und seinen Werten verpflichtet – so wie die Männer, die in den Befreiungskriegen für die Freiheit und einer Fahne kämpften, die erst zu ihrer wurde.
Und dann sind da noch die Frauen. Keine Frage: Eine moderne Armee kann nicht funktionieren ohne Frauen. Diversität, Vielfalt beginnt mit der Frage der Gleichberechtigung. Ich kenne viele Frauen in der Bundeswehr, die ihren männlichen Kameraden nicht nur ebenbürtig, sondern die ihnen in der Pflichterfüllung und der Profession deutlich voraus sind. Doch gehört zur Wahrheit, dass auch hier noch viel zu tun bleibt. Deswegen ist die Funktion der militärischen Gleichstellungsbeauftragten übrigens auch nicht „überflüssig“, sondern notwendig.
Was hat das mit den Befreiungskriegen zu tun? Damals gab es einige wenige mutige Frauen, die sich nicht mit dem Beten für ihre Männer und Söhne im Feld zufriedengeben wollten. So kämpften beispielsweise Friederike Krüger und Eleonore Prochaska unerkannt in Freikorps und regulärer Truppe – wohl manch ein Kamerad wird gewusst haben, wer da neben ihm focht –, weil sie patriotisch fühlten.
Ihr Mut und ihre Motivation strahlen ganz sicher aus dieser Zeit herüber zu uns. Sie sind Vorbilder für die Frauen, die heute in der Bundeswehr dienen. Es wäre an der Zeit, auch Ihnen mit einer Namensgebung zu gedenken.
Diese drei Punkte, die Freiwilligkeit, das Annehmen und Bekennen zu einem Land, das Beitreten einer Schicksalsgemeinschaft und die Frauen, die an wichtiger Stelle Verantwortung ganz vorne übernehmen wollen, sie sind sinnstiftend bis heute.
Freiwillige, wie die Jäger von Dürings und er selbst. Männer, die unter eine fremde Fahnen traten und sie zu der ihren machten. Und Frauen. Diejenigen, die für Deutschlands Freiheit und mehr in den Befreiungskriegen kämpften erfüllen das, was der Militärreformer und General Scharnhorst treffend formulierte: „Alle Bürger des Staates sind geborene Verteidiger desselben“
Ein Satz, der seit den Befreiungskriegen bis heute gilt. Deswegen ist die Wehrpflicht ausgesetzt, aber nicht abgeschafft.
So ist denn die Namenswahl für die Kaserne in Rotenburg sicher eine gute Wahl mit Blick auf die Geschichte der Region und würdigt einen tapferen und klugen Mann, der auch neben seinem militärischen Handeln für Werte eintrat, denen wir uns heute verpflichtet fühlen sollten.
Die künftige „Von Düring-Kaserne“ erinnert uns aber auch an die Zeit der Befreiungskriege, die doch so viele Dinge hervorbrachte, die uns bis heute prägen – auch als Bundeswehr. Es ist gut, dass der neue Traditionserlass uns den Raum gibt, diese Zeit vielleicht auch wieder neu zu entdecken und uns zu fragen, was uns heute leiten kann.
Wer sich tiefer mit der Ideengeschichte der Inneren Führung beschäftigt, der wird feststellen: Die Väter der Inneren Führung – allen voran Baudissin – griffen auf Werte zurück, die weit vor den unseligen, unheilvollen Jahren des Nationalsozialismus gegründet sind.
Johann Christian von Düring verkörperte im besten Sinne, den Anspruch, den die Innere Führung an die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr stellt: Er war „freier Mensch, guter Staatsbürger und vollwertiger Soldat zugleich“.
Machen Sie dem Namensgeber Ihrer militärischen Heimat Ehre! Vielen Dank, Horrido und allzeit Soldatenglück!
Rede anlässlich der Kasernenumbenennung der ‚Lent-Kaserne‘ in ‚Von-Düring-Kaserne‘ in Rotenburg am 8. Juni 2020 – Es gilt das gesprochene Wort.
schöner Artikel
Volle Zustimmung zur Namenswahl v. Window.
Es handelt sich aber nicht um einen Neubau , sondern um eine Umbenennung
der Rotenburger Kaserne, die seit 1964 den Namen Lent trug.
Weshalb ging Herr Sts. Dr. Tauber weder auf die Person Lent noch auf die Umstände und Gründe für die jetzige Namens-Umwidmung ein?