Ja wo sitzen sie denn?

Frei nach Loriot könnte man fragen: „Ja wo sitzen sie denn?“ In der Tat ist das eine der am häufigsten gestellten Fragen von Besuchern im Reichstag. Warum ist der Bundestag so „leer“? Wo sind die Abgeordneten während der Debatten im Plenum? Die Frage ist berechtigt, denn schließlich gibt es nichts schlimmeres, als wenn sich der Eindruck festsetzt, dass die gewählten Volksvertreter nicht ihrer Arbeit nachkommen.

Die Antwort ist so banal wie zunächst unbefriedigend. Sie arbeiten! Der Bundestag ist ein Parlament mit einem umfassenden Ausschusswesen. In den Ausschüssen wird ein großer Teil der Arbeit geleistet. Dort diskutieren die Fachpolitiker die jeweils entscheidenden Aspekte, gehen auf Details ein, streiten untereinander und befragen die Regierung und u.U. externe Sachverständige. Am Ende eines langen Prozesses werden dann diese Ergebnisse im Plenum, also im Plenarsaal abschließend beraten und beschlossen. So kann man das parlamentarische Verfahren grob zusammenfassen. Bei der abschließenden Beratung tragen die jeweiligen Fachpolitiker ihre Argumente noch einmal öffentlich vor, so dass die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, sich diese anzuhören, sie zu bewerten und sich eine Meinung zu bilden. Der entscheidende Aspekt ist dabei der „Fachpolitiker“. Gemeint sind damit die zuständigen Kolleginnen und Kollegen aus dem jeweiligen Ausschuss.

Wenn also sozialpolitische Fragen diskutiert werden, dann nehme ich als Mitglied im Ausschuss Arbeit und Soziales auch an den Debatten im Plenum teil. Bei verteidigungspolitischen Tagesordnungspunkten hingegen bin ich nur in Ausnahmefällen bei der Plenardebatte präsent, bspw. bei der Entscheidung über die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes.

Nach zwei Jahren im Parlament bin ich der Überzeugung, dass diese seit Bestehen der Bundesrepublik geübte Praxis begründet ist. Ich selbst könnte zu den fachspezifischen Debatten beispielsweise beim Verbraucherschutz oder Fragen zur Entwicklungshilfe wenig beitragen. Das detaillierte Fachwissen, über das die Kolleginnen und Kollegen aus den Ausschüssen verfügen, fehlt mir, wenngleich in natürlich auch eine Meinung habe und im Idealfall einen groben Überblick über das Thema. Einen wirklichen Beitrag kann ich aber nicht leisten. Ich finde, ich werde zu gut bezahlt, um dann nur gut gelaunt in den bequemen blauen Sesseln zu sitzen und den Reden der anderen Abgeordneten zuzuhören. Darum nutze ich die Zeit, die ich nicht im Plenum bin, möglichst effizient.

Zeit ist das wertvollste Gut in der Sitzungswoche in Berlin. Fast jede Lücke während des Plenums ist mit Terminen gefüllt. Es tagen Unterausschüsse, Pressegespräche finden statt, Koordinierungsrunden mit anderen Fachkollegen und den „Haushältern“, also den Abgeordneten, die im Haushaltsausschuss die einzelnen Fachausschüsse begleiten und natürlich kommen wieder immer Besuchergruppen hinzu, für die ich mir gerne Zeit nehme, um ihnen hautnah den Parlamentsbetrieb zu erklären und für Fragen zur Verfügung zu stehen. Ganz klar: in dieser Zeit kann ich nicht im Plenum sein.

Die wichtigsten Termine, die rund um das Plenum, sozusagen in der Lobby, stattfinden, sind aber Gespräche mit Fachleuten von Verbänden und Organisationen. Als Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend spreche ich derzeit beispielsweise oft mit Jugendverbänden wie dem BDKJ, der evangelischen Jugend oder auch den Organisationen die Freiwilligendienste für Jugendliche anbieten. Wir sprechen über aktuelle Entwicklungen und Probleme. Ich erkläre unsere Entscheidungen und bin dankbar für Rückmeldungen aus der Praxis und hilfreiche Hinweise. Im Zuge der Haushaltsberatungen steht z.B. der Kinder- und Jugendplan, in dem Zuwendungen für die Kinder- und Jugendpolitik fixiert sind, im Focus. Gibt es Kürzungen? Wenn ja, wer ist betroffen? Kann man für das notwendige Verständnis werben? Gibt es vielleicht gemeinsame Ideen, bei denen lediglich Verwaltungsausgaben reduziert werden ohne die Einrichtungen zu belasten? Puh. Auf jeden Fall ist der Kalender gut gefüllt. Meistens hetzt man von einer Rücksprache zum nächsten Gespräch.

So werden die Stunden im Plenum fast zu einer Art „Ruhephase“. Dort folgt man der Debatte und kann „nebenher“ noch einige SMS beantworten oder Briefe unterschreiben. Auch wenn es nicht den Anschein hat: man ist im wahrsten Sinne des Wortes Multitaskingfähig. Sonst wäre es auch nicht zu erklären, warum jemand, der auf den ersten Blick mit seinem Handy beschäftigt ist, im nächsten Moment zu einem empörten Zwischenruf ansetzt und vielleicht sogar einen Ordnungsruf kassiert.

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