Enter the Matrix.

Der Cyber-Informationsraum als neue Domäne der Konfliktaustragung im 21. Jahrhundert.

Ich will gleich mit einer Annahme aufräumen, zu der man kommen könnte, wenn man die Überschrift wörtlich nimmt: Konflikte werden künftig nicht ausschließlich digital ausgetragen. Kriege, Katastrophen und Gewalt werden auch künftig anders als Computerspiele im wahrsten Sinne des Wortes handfeste Folgen für Menschen und ihr Leben, ihr Überleben haben.

Wenn wir also die Matrix betreten, wie die Überschrift suggeriert, dann beschreiben wir eine Welt, in der Maschinen und Menschen um die Vorherrschaft kämpfen. Allerdings unter anderen Voraussetzungen, denn die Maschinen haben die Oberhand – zumindest im Film. Wir hingegen nutzen heute Maschinen und Künstliche Intelligenz, um als Menschen gegeneinander zu kämpfen.

Den Titel des Vortrags hat Professor Carlo Masala formuliert. Ob es das Ziel war, neugierig zu machen, ob der Bezug auf die drei Filme ein Synonym für eine bedrohliche digitale Zukunft sein sollen, das habe ich nicht hinterfragt. Aber ich gebe zu: Die Filme mag ich. Neo, der Auserwählte. Trinity, die an ihn glaubt, Morpheus, der ihn wie ein Vater begleitet. Und natürlich der für eine gute Geschichte obligatorische Verräter Cypher sowie der Kampf für das Überleben von Zion. Eine gut gemacht Science-Fiction Geschichte. Oder vielleicht mehr als das? Wir kommen darauf noch zurück.

Die Digitalisierung beschäftigt mich in meiner politischen Arbeit seitdem ich dem Deutschen Bundestag angehöre. Im Jahre 2009 war ich Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, gemeinsam mit anderen habe ich dafür gestritten, dass wir seit 2013 einen eigenen Fachausschuss im Bundestag für Fragen der Digitalisierung haben. Und seit 2017 gibt es eine Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt. Eine Forderung der damaligen Enquete-Kommission.

Es tut sich also etwas in der deutschen Politik, wenngleich der israelische Historiker Yuval Harari nicht völlig falsch liegt: „Die Regierungsschildkröte kann mit den technologischen Hasen nicht mithalten.“ Wir dürfen also keineswegs zufrieden sein und stehenbleiben.

Vor einigen Tagen habe ich die Schrift „Digital Mensch bleiben“ von Volker Jung gelesen. Er ist kein ausgewiesener Digitalexperte, sondern der Präsident der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau. Ein Kirchenmann, der über Digitalisierung schreibt? Das soll uns weiterbringen? Es reicht, wenn die Kirche sich um die Seelsorge und die Feldgottesdienste kümmert, möchte man dazwischenrufen. Das digitale Kampffeld ist eine Aufgabe der Streitkräfte und Nerds. Ob das stimmt, darüber will ich mit Ihnen diskutieren.

Worum soll es heute gehen?

Erstens: Ich will Sie sensibilisieren für einen in der Menschheitsgeschichte nicht nur in seiner Geschwindigkeit einmaligen und fortdauernden Veränderungsprozess, zu dem wir uns verhalten müssen.

Zweitens: Ich will Ihnen einen Überblick geben über das, was Deutschland, Europa und die NATO tun, um auf die digitale Revolution unter sicherheitspolitischen Aspekten zu reagieren.

Drittens: Ich will mit Ihnen die entscheidende Frage in den Mittelpunkt stellen. Wie verhalten wir uns als Menschen? Was meint Resilienz in diesem Kontext?

Die digitale Revolution findet statt.

Im Jahr 2005 wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. Das erste iPhone kam erst 2007 auf den Markt. Heute verändert die Digitalisierung die Welt: 8,4 Milliarden Geräte sind derzeit weltweit mit dem Internet der Dinge verbunden, bald sollen 50 Milliarden Geräte miteinander vernetzt sein. Staat, Industrie und Gesellschaft sind von einem ungehinderten Zugang zum Netz abhängig. Cloud Computing, Big Data, Industrie 4.0 sind die Stichworte. Und längst sind Energie-, Wasser-, Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung ohne das Internet undenkbar. Eine fundamentale Veränderung in nicht mal einem Menschenalter!

Machen wir uns bewusst: Um 50 Millionen Nutzer zu erreichen, brauchte das Radio 38 Jahre, das Fernsehen 13 Jahre, das Internet 4 Jahre und Facebook 3,5 Jahre! Prognosen sind deshalb schwierig. Die Geschwindigkeit und der damit einhergehende kulturelle Wandel – denn es bleibt nicht bei der technischen Innovation – sind dabei wesentliche Aspekte! Die OECD meldet dieser Tage, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland wegfallen oder sich verändern wird.

Meine erste Begegnung mit der Digitalisierung war die elektrische Schreibmaschine im Büro meiner Mutter. Eine ganze Zeile konnte man dort speichern und korrigieren. Der digitale Höhepunkt meiner Teenagerzeit waren ein Spiel namens Frogger, bei dem man einen gepixelten Frosch über eine viel befahrene Straße steuern musste. Meistens wurde er überfahren.

Wie sehr sich unser Verhalten in nicht einmal einer Generation verändert hat, sieht man im Alltag. Wie wir einkaufen, wie wir uns verabreden, wie wir uns im öffentlichen Raum bewegen, wie sich die körperliche Belastbarkeit verändert.

Wenn Sie mich fragen, was das Schlimmste in meiner Grundausbildung war, dann kann ich nicht von drei Tagen BIWAK bei Dauerregen sprechen oder den fünf Kilo extra, die man im Kampfrucksack mit sich trug, weil man unerlaubterweise ein Snickers als „Zusatzverpflegung“ eingepackt hatte.

Das schlimmste in der Grundausbildung war die lange Schlange vor der Telefonzelle. Und wenn man direkt davorstand und es noch 20 Minuten bis zum Zapfenstreich waren und der „Kamerad“, der gerade seiner Freundin ausgiebig von seinen Heldentaten berichtete, noch ein Fünfmarkstück einwarf. Kein Kontakt nach Hause. Und am Wochenende Streit: „Warum hast du nicht wie versprochen angerufen?“

Es sind nicht nur diese „Kleinigkeiten“, die sich verändern. Die Folgen der Digitalisierung sind weitreichender. Der israelische Historiker Yuval Harari glaubt, dass mit der Digitalisierung das Ende der Religionen gekommen sei. Der Mensch werde mittels der Digitalisierung selbst in göttliche Sphären vorstoßen. Der Dataismus, eine Art Datenreligion, werde an die Stelle der Religion treten, denn diese hätten keine Antworten auf die entstehenden neuen Fragen der Menschheit.

Wenn wir über die Matrix und – menschliche – Konflikte reden, dann müssen wir deshalb grundsätzlich werden. Dann geht es um mehr, als um die Entwicklung neuer Technologie und deren Anwendung zur Generierung von Sicherheit. Für uns gilt daher allgemein die Frage zu klären: Was bedeutet der Wandel der Welt, die digitale Revolution für uns als Streitkräfte?

Auf den nächsten Krieg bereitet man sich immer ausgehend von den Erfahrungen des letzten Krieges vor. Wenn wir nicht mit dieser „Regel“ brechen, dann wird das fatale Folgen haben. Kriege und Konflikte werden längst nicht mehr nur am Boden, in der Luft und auf dem Wasser geführt, sondern auch im Netz.

Auftrag unserer Bundeswehr ist es also, zur Resilienz von Staat und Gesellschaft gegen äußere Bedrohungen unter neuen Voraussetzungen beizutragen. Cyber-Resilienz ist dabei nur ein Aspekt und meint technisch die Fähigkeit unserer Systeme und Strukturen, nach einem externen Schock in den Ursprungszustand zurückzukehren oder sich an die durch den Schock verursachte Veränderung anzupassen und ihre Kernaufgaben weiterhin zu erfüllen.

Die Digitalisierung und die Streitkräfte

Mit der Aufstellung des Kommandos Cyber- und Informationsraum im April 2017 haben wir gehandelt. Die Digitalisierung eröffnet der Bundeswehr neue Fähigkeiten und Chancen – sowohl physisch als auch virtuell.

Mit welchen Herausforderungen sind wir konfrontiert? Es beginnt mit dem Ausspähen von Informationen und Datendiebstahl, geht über Manipulation von Informationen oder Denial of Service und reicht bis hin zur physischen Zerstörung von Infrastrukturen.

Und selbst wenn es sich nicht unmittelbar um kinetische Aktivitäten handelt, kann Gefahr für Leib und Leben entstehen, bspw. durch einen Angriff auf die Krankenhausinfrastruktur. Die Verwundbarkeit von Staat und Gesellschaft durch Cyber-Angriffe hat sich in den letzten Jahren immer wieder gezeigt.

Allein die Bundeswehr verzeichnet am Tag 4.500 sicherheitsrelevante Angriffe auf unsere Systeme.

Konflikte in der realen Welt übertragen sich auf den Cyberraum. Sichtbar ist das hier bei uns in Europa! Russland nutzt Cyberangriffe nicht nur zur Informationsbeschaffung. Unsere baltischen Verbündeten, aber auch unsere Soldaten in Litauen können aus eigener Erfahrung beschreiben, dass im Netz täglich „gekämpft“ wird. Dabei bleibt es aber nicht. Russland finanziert überall in Europa Parteien, deren Programm darauf angelegt ist, die Einheit Europas zu zerstören – auch in Deutschland.

Zwei Beispiele digitaler Propaganda seien hier genannt: Die Meldung, deutsche Behörden hätten tschechische Prostituierte für Flüchtlinge angeworben, die dann mit Geschlechtskrankheiten zurück in ihre Heimat gegangen seien und dort Freier angesteckt hätten, ist zwar blanker Unsinn, hat aber in Tschechien für eine breite Diskussion in sozialen Netzwerken gesorgt.

Noch bekannter ist der vielfältige Versuch, die Schuld Russlands am Abschuss des malaysischen Flugzeugs zu verschleiern, oder gar der Ukraine zuzuschieben. Nicht nur soziale Netzwerke transportieren die russische Propaganda, sondern auch „gekaufte“ Journalisten oder Propagandasender wie RT.

Laut Erkenntnissen des französischen Außenministeriums kommen 80 Prozent aller Desinformationen aus Russland. Die Transatlantic Comission on Election Integrity unter Beteiligung des ehemaligen NATO-Generalsekretärs Anders Rasmussen hat festgestellt, dass bis zu 20 Prozent der wahlbezogenen online-Kommunikation von Trollen oder Bots stammt.

Im Darknet finden Sie „Dienstleister“ für gesteuerte Desinformation. Die Beeinflussung einer Wahl kostet 400.000 Dollar. Für 200.000 Dollar werden öffentliche Proteste provoziert. Auch China nutzt langfristig und strategisch angelegt Cyberangriffe mit dem Ziel der Aufklärung außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischer Standpunkte und Handlungsoptionen.  

Der EAD (Europäische Auswärtige Dienst) hat, um auf diese Entwicklungen zu reagieren, die East StratCom Task Force ins Leben gerufen. Allein für das Jahr 2017 konnten über 3.500 auf russische Desinformation zurückgehende Falschmeldungen in den Medien identifiziert werden. Längst werden außen- und sicherheitspolitische Absichten durch Cyber-Operationen flankiert. Ein drittes Beispiel war und ist übrigens die Propaganda des so genannten Islamischen Staates.

Wie tun wir, um uns schützen?

Fakt ist: Bedrohungen im Cyber-Raum durch Hacker und Kriminelle sowie staatliche Akteure werden sich nie vollständig verhindern lassen! Es geht um Resilienz und eine effektive Abwehr von bzw. einen adäquaten Umgang mit Cyber-Bedrohungen.

Die Verbesserung der Resilienz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und keine technische Frage.

Es beginnt bei uns selbst! Bürgerinnen und Bürger müssen einen Beitrag leisten, zum Beispiel durch ein erhöhtes Augenmerk auf die Sicherheit unserer eigenen Geräte.

Die Wirtschaft ist gefordert: IT-Sicherheit muss bei der Entwicklung eines Produktes von Beginn an mitgedacht werden. Produkte müssen mit sicheren Grundeinstellungen ausgeliefert werden („Security by Design“ und „Security by Default“).

Die Politik muss handeln. Die Bundesregierung agiert ressortabgestimmt in drei Bereichen: Cyber-Abwehr (BMI), Cyber-Außenpolitik (AA) und Cyber-Verteidigung (BMVg). Das sind wir.

Die Cyber-Abwehr umfasst die zivilen Maßnahmen zum Schutz von Informationen und IT-Systemen, zur Bekämpfung und Strafverfolgung von Cyber-Kriminalität sowie zur Spionageabwehr im Cyber-Raum.

In der Cyber-Außenpolitik koordiniert das AA deutsche Interessen und Vorstellungen in Bezug auf Cyber-Sicherheit in UN, OSZE, EU und NATO. Die Festlegung internationaler Normen gestaltet sich schwierig: Während westliche Staaten die Anwendbarkeit des Völkerrechts im Cyber-Raum betonen, pochen Russland und China auf Staatensouveränität im Internet.

Die Hauptaufgabe unserer Bundeswehr ist die Cyber-Verteidigung. Dazu zählen Fähigkeiten zu Aufklärung und Wirkung im Cyber-Raum und Fähigkeiten zur Abwehr von Cyber-Angriffen und damit zum Schutz eigener Informationen, IT, sowie Waffen- und Wirksysteme. Machen wir uns bewusst: Unsere Waffensysteme sind künftig nichts anderes als hochkomplexe fahrende, schwimmende und fliegende IT-Systeme.

Spätestens der Panzer der nächsten Generation ist ein digital vernetzter Computer mit Kanone.

Es wird immer wieder die Frage diskutiert, ob es eine erweiterte oder neue Rechtsgrundlage braucht, um der Bundeswehr im Cyberkrieg eine sichere Handlungsgrundlage zu geben. Wir sind der Auffassung, dass mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz und der verfassungsmäßigen Grundlage für die Landes- und Bündnisverteidigung Rahmenbedingungen vorliegen, die uns handlungsfähig machen. Von zentraler Bedeutung für die Stärkung unserer Cyber-Resilienz sind insbesondere die präventiven und reaktiven Maßnahmen zum Schutz der IT-Infrastruktur.

Ein ganz wesentliches Element ist das Zentrum für Cyber-Sicherheit der Bundewehr mit dem Cyber Security Operations Centre. Die Soldatinnen und Soldaten der Dienststelle stellen die Sicherheit der IT-Infrastruktur von Bundeswehr und BMVg 24/7 sicher. Sie beteiligen sich beispielsweise am nationalen Computer Emergency Response Team (CERT).

Eine Nebenbemerkung sei gestattet: Die Männer und Frauen, die wir für diese Aufgabe gewinnen wollen – auch als Quereinsteiger – zwingen uns, in der Rekrutierung neu zu denken. Nicht jeder Nerd, den ich zur Abwehr eines Hackerangriffs gerne einsetzen möchte, bringt die körperliche Robustheit mit, die wir normalerweise von Soldaten erwarten sollten. Über Berufs- und Universitätsabschlüsse will ich da gar nicht sprechen. Und zugleich müssen wir dem Anspruch manch eines Soldaten in diesem Bereich gerecht werden, der gerade das Militärische, den Dienst in Uniform als erstrebenswert und reizvoll empfindet. Wir müssen also generell stärker fragen, was können Männer und Frauen mit ihren individuellen Fähigkeiten leisten und einbringen.

Zusammenarbeit zwischen Streitkräften, Industrie und Wissenschaft

Unsere Cyber-Spezialistinnen und -Spezialisten stehen nicht nur im engen fachlichen Austausch mit Behörden im In- und Ausland, sondern auch mit der Industrie und der Wissenschaft.

Mit dem Forschungsinstitut CODE wollen wir mithilfe aktueller und unabhängiger Forschung innovative technische Neuerungen und Konzepte zum Schutz von Daten, Software und Systemen untersuchen. Durch die enge Kooperation mit Behörden und Industriepartnern ermöglichen wir den Studierenden und Mitarbeitern am Forschungsinstitut, beste Studien-, Forschungs- und Qualifikationsmöglichkeiten.

Auch für mich sind übrigens die laufenden Projekte spannend für meine tägliche Arbeit, wenn ich nur an das Projekt „IT-Trendbeobachtung und Analyse für das BAAINBw aus universitärer Sicht“ denke.

Zusätzlich wird in der Region Halle/Leipzig eine neue Bundesbehörde, die Agentur für Innovation in der Cyber-Sicherheit, entstehen. Hier konzentrieren wir uns auf die Vergabe von Forschungsaufträgen sowie die Koordination, wenn es um Sicherheitstechnologien geht.

Erwähnt werden muss an dieser Stelle noch das Cyber Innovation Hub in Berlin sowie die zunehmende Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten und Partnern im Bereich Defensive Cyber-Space Operations, beispielsweise bei der deutsch-niederländischen Kooperation Digitalisierung landbasierter Operationen oder mit Israel beim Stichwort „Cyber Dome“.

Instrumente auf nationaler, EU- oder NATO-Ebene, um Cyber-Resilienz zu gewährleisten?

Die von mir beschriebene Aufgabenteilung klingt so, als ob BMI, AA und BMVg isoliert voneinander handeln. So war es in der Vergangenheit tatsächlich auch. Die Bearbeitung von Cyber-Vorfällen fand in jeder Behörde im Rahmen der eigenen Zuständigkeit statt.

Bei komplexen Cyber-Vorfällen ist Koordination unabdingbar, denn ein Cyber-Angriff kann sich an unterschiedlichen Orten gleichzeitig auswirken. Es ist zunächst oft nicht feststellbar, ob es sich um technische Probleme, kriminelle Cyber-Aktivitäten oder einen staatlich gesteuerter Cyber-Angriff handelt.

Die Bundesregierung hat deswegen die Weiterentwicklung der bestehenden Strukturen hin zu einem Cyber-Abwehrzentrum Plus beschlossen. Dadurch schaffen wir ein klares Cyber-Lagebild, zu dem alle Ressorts die Ihnen vorliegenden Informationen und Fähigkeiten beitragen.

In folgenden Schritten werden wir die Stakeholder in der Cyber-Sicherheit zusammenführen (Bundeswehr, Polizeibehörden, Nachrichtendienste, BSI und CERTs, Internet Service Provider, Betreiber kritischer Infrastrukturen) und Strukturen für die Koordination bei der Bearbeitung von komplexen Cyber-Vorfällen etablieren.

Es geht nicht nur national: Die EU ist von enormer Bedeutung. Ein Beispiel ist die PESCO: Dort haben wir Projekte zur Stärkung der Cyber-Verteidigungsfähigkeiten der Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht. Und mit der Cyber Diplomacy Toolbox gibt es eine Umsetzungsrichtlinien für gemeinsame diplomatische Reaktion der EU auf feindliche Cyberaktivitäten von vorbeugenden Maßnahmen bis hin zu Sanktionen.

Die NATO entwickelt ihre Cyber-Fähigkeiten ebenfalls weiter. So bietet das NATO Crisis Management System einen Rahmen für vorabgestimmte Maßnahmen, die im Falle eines Cyberangriffs ergriffen werden können.

In der NATO besteht Einigkeit darüber, dass ein Cyber-Angriff den Bündnisfall auslösen kann, wenn seine Auswirkungen einem bewaffneten Angriff gleichkommen.

Aktuell fand im NATO-Zentrum für Cyberabwehr in Estland die jährliche Übung Locked Shields statt. Rund 1.200 Experten – Soldaten und Zivilisten – aus 30 Ländern übten dort den digitalen Ernstfall.

Wie steht es um unsere Resilienz?

Wir beschäftigen uns mit russischen Trollfabriken, der vollständigen digitalen Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern, dem Zugriff auf deutsche IT-Infrastruktur durch chinesische Konzerne. All das sind hoch aktuelle Fragen, und wir müssen uns dazu verhalten. Aber das wird nicht reichen.

Aus meiner Sicht geht es noch um weit mehr als um technische Fragen. Es geht um unser Denken, woran wir glauben, was wir für wahr halten, wem wir vertrauen, was uns eint! Die Kernfrage, wie wir uns als Menschen im Verhältnis zur KI sehen, zur Maschine, werden wir beantworten müssen.

Tritt an die Stelle der Religionen der von Harari beschriebene und bereits erwähnte Dataismus? Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Religionen in der Welt – Deutschland ist da lediglich eine Ausnahme – und der Suche nach Sinn und Spiritualität bin ich skeptisch, ob Harari richtig liegt. Nun bin ich selbst ein religiöser Mensch. Den drei großen abrahamitischen Religionen, dem Judentum, dem Christentum und dem Islam, ist gemein, dass in den Heiligen Schriften der Frage, was den Menschen ausmacht, was der Mensch ist, die zentrale Bedeutung zukommt. Das Suchen nach Antworten auf diese Frage nimmt aus meiner Sicht eher zu – auch bei Menschen, die keiner dieser Religionen angehören. Den drei großen Weltreligionen ist dabei gemein, dass sie im Menschen zugleich das Göttliche und seine Schwächen identifizieren.

Kennen Sie die biblische Geschichte von Kain und Abel? Beide waren Brüder. Der eine tötete den anderen aus Neid und Eifersucht. Aber es steht in der Bibel nicht wie. Vielleicht mittels eines Virus? Oder mittels moderner Drohnentechnologie? Oder in der Matrix? Ich sage das, weil ich nicht sicher bin, ob sich die grundlegenden Fragen der Menschheit wirklich ändern. Unabhängig von der Technik. Wir sind Menschen und wollen das Menschliche bewahren. Die Suche nach Sinn ist es, die Menschen antreibt.

Sie erinnern sich. Wir befinden uns noch immer in der Matrix. Und sicherlich liegt eine Faszination der Filme auch in den aufgezeigten technischen Möglichkeiten. Doch das ist nicht das Wesentliche. Der Sieg Neos liegt in der Besinnung auf das Menschsein.

Die Filme sind, wem das noch nicht klar geworden ist, eine Allegorie auf das Neue Testament. Thomas A. Anderson lautet der Name Neos zunächst. Rudimentäre Griechisch-Kenntnisse vorausgesetzt fällt sofort auf, dass dieser Name „Menschensohn“ bedeutet. So wie auch Jesus genannt wird. Und Neo ist schlicht ein Anagramm für One, der Eine, der Auserwählte. Deutlich wird das gleich zu Beginn des Filmes, als Neo die gecrackte Software verkauft und die Person zu ihm sagt: „Du hast mich gerettet, Mann. Du bist mein Erlöser!“

Die weiteren Analogien alle aufzuzählen, sprengt den Rahmen. Trinity ist die Trinität Gottes zwischen Gottvater, symbolisiert in der Person des Morpheus und Neo, dem Sohn. Zwei Beispiele seien noch erwähnt: Wo leben die freien, die befreiten Menschen? Im Mittelpunkt der Erde gibt es in Matrix die Stadt Zion – biblisch: die Stadt Gottes – der einzige Ort, an dem Freiheit herrscht, an dem die Matrix keine Macht hat. Und ist die Stadt Zion, die Stadt Gottes, in der Bibel nicht der Ort, an dem wahre Freiheit herrscht?

Tod und Auferstehung Neos finden ihr Spiegelbild in Jesus Christus. Neo opfert sich und nimmt seinen eigenen Tod in Kauf, um die Menschheit zu retten.

Was führt zur Auferstehung, zum neuen Leben Neos? Es ist die Liebe! Die Liebe von Trinity. Trinity beugt sich über Neo und gibt ihm den Kuss des Lebens – oder besser ihren Odem. Als Neo erwacht ist sein Aussehen verändert. Der Zuschauer erfährt schnell, was er nun kann. Er fliegt, beherrscht feindliche Pistolenkugeln durch ein Wort aus seinem Mund: „Nein!“ Und Jesus hat seinen Jüngern nach seiner Auferstehung gesagt: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden.“ (Mt. 28,18) Die Macht der Matrix hingegen ist am Ende. Im Programmcode der Matrix taucht plötzlich eine Fehlermeldung auf:

… SYSTEM FAILURE …

Neos Himmelfahrt beginnt am Schluss des Films, indem er die Augen zum Himmel hebt und in die Wolken fliegt. Jetzt ist es an den Menschen etwas daraus zu machen. Der Weg ist bereitet.

Damit sind wir wieder beim Thema. Was machen wir aus den Chancen der Digitalisierung? Welchen Gestaltungsspielraum gibt sie uns? Nutzen wir diesen oder lassen wir uns gefangen nehmen?

Fragen Sie sich selbst, ob Sie Ihr Smartphone effektiv nutzen oder das Smartphone Sie führt und, wie es der Internetphilosoph Jaron Lanier formuliert hat, Ihre sozialen Netzwerke eine gigantische „Zeitvernichtungsmaschine“ sind.

Ihre Generation wird als „digital native“ beschrieben. Sie wähnen sich im Vorteil gegenüber ihren Eltern oder gar Großeltern, die offensichtlich mit diesem Wandel schlechter zurechtkommen. Und das ist ja auch nicht ganz falsch. In Wahrheit ist es aber so, dass gerade ihre Generation Probleme damit hat, Desinformationen als solche zu erkennen. Sie hat das kritische Denken nicht gelernt, das ist zumindest das Ergebnis einer Studie des Stanford-Wissenschaftlers Sam Wineburg. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass jemand RT oder Sputnik für ernstzunehmende Quellen hält, deren Artikel man in sozialen Netzwerken teilen kann. Das ist ungefähr so, als wenn wir früher die DDR-Zeitung Neues Deutschland oder die sowjetische PRAWDA in Bundeswehr-Kasernen zum Lesen ausgelegt hätten.

Resilienz für die Freiheit bilden

Wenn wir über Resilienz reden, dann reden wir über die Fähigkeit der Menschen, sich der Manipulation durch diejenigen, die unsere Art zu leben zerstören wollen, zu entziehen und dem etwas entgegen zu setzen. Gemäß dem Motto von Google „Don’t be evil!“ müssen wir uns für das Gute und Richtige entscheiden. Wir müssen uns wieder bekennen. Zur Freiheit, zur Demokratie, zum Recht. Diese Prinzipien haben es ermöglicht, dass die Menschen in Deutschland und Europa ein noch nie gekanntes Maß an Wohlstand und individueller Freiheit ein Leben lang, ein langes Leben, genießen können.

Wir leben im besten Deutschland, dass es je gab. Einigkeit und Recht und Freiheit sind Grundlagen und Voraussetzungen, um den neuen Herausforderungen zu begegnen.

Diese Werten und Normen werden angegriffen und infrage gestellt. Resilienz bedeutet, dass wir diese Prinzipien gegen alle Angriffe verteidigen. Das setzt die Bereitschaft voraus, dafür einen Preis zu zahlen. Es wird uns etwas kosten. Dazu müssen wir bereit sein. Fragen Sie sich selbst, ob Sie das sind? Und haben wir verstanden, dass es sein kann, dass wir alles verlieren, wenn wir nicht bereit sind, einen Preis zu bezahlen?

Ein Blick in die Geschichte lehrt uns, dass größere Umstellungsphasen häufig mit Kriegen verbunden sind. Menschen haben – vielleicht sogar zurecht aus ihrer individuellen Perspektive – Angst vor dem Wandel. Wir haben es gehört: Jeder zweite Job in Deutschland wird laut der OECD wegfallen oder sich stark verändern. Das damit einhergehende „Kränkungspotential“ für das Individuum ist eine Gefahr für den sozialen Frieden.

Das bedeutet, Bürgerinnen und Bürger müssen nicht nur selbst einen Beitrag zur Resilienz unserer Gesellschaft leisten, sie müssen durch die Politik dazu befähigt werden. Ein entsprechend strukturiertes Bildungssystem und ein aktivierender Sozialstaat sind unverzichtbar. Ich glaube, dass wir angesichts einer zunehmenden Ökonomisierung des Bildungssystems hier die größte Baustelle haben. Werte und Normen, die zur Resilienz befähigen, bilden im Erziehungskanon keine hervorgehobene Rolle mehr. Es sind Werte, wie Soldaten sie lernen: Disziplin, Pflichtbewusstsein, Kameradschaft. Die Bundeswehr kann also im besten Sinne Schule der Nation sein.

Resilienz im Sinne der äußeren Sicherheit kann deshalb in der digitalisierten Welt eben nicht an die Streitkräfte „ausgesourct“ werden. Trotz der Aussetzung, nicht Abschaffung der Wehrpflicht ist der Satz von Gerhard von Scharnhorst aktueller und richtiger denn je. Wir sollten uns wieder bewusst machen, dass jeder Bürger – und heute auch jede Bürgerin – eines Staates die geborenen Verteidiger desselben sind. Dazu müssen Sie in der digitalen Welt nicht zwingend eine Uniform tragen. In sozialen Netzwerken die Werte der Freiheit hochhalten, das kann jeder!

Resilienz ist eine Aufgabe für alle und nicht nur für die Streitkräfte!

Resilienz hat deshalb mit den Menschen zu tun, nicht mit Technik. Und zur Wahrheit gehört, dass selbst bei technischer Überlegenheit ein Sieg der Freiheit und des Westens nicht ausgemachte Sache ist. Freie Gesellschaften brauchen mehr Kraft als totalitäre Systeme, um in Konflikten zu bestehen, wie die Geschichte des Kalten Krieges uns lehrt. Die gute Nachricht: Die Freiheit setzt Ressourcen und Kräfte frei, über die nur freie Gesellschaften verfügen. Deswegen ist die entscheidende Frage, was mir Menschen mitgeben, damit sie in der Matrix bestehen können.

Jack Ma, der chinesische Gründer von Alibaba, hat sich zehnmal in Harvard beworben und wurde immer abgelehnt. Auf die Frage, was er für wichtig hält, gibt er eine erstaunliche Antwort: Die Menschen müssten zuvorderst Sport, Kunst und Musik lernen. Die Schule solle vor allem Kreativität fördern. Also sollen Menschen das lernen, was Computer nicht können. Werte, Überzeugungen und Nächstenliebe! Das mache den Menschen aus. Daraus kann in der Tat auch Resilienz erwachsen.

Und in der Matrix? Marvin Minsky, einer der Pioniere der Künstlichen Intelligenz hat auf die Frage, wie schlaue Maschinen die Welt verändern würden, geantwortet: „Wenn wir Glück haben, werden sie uns als Haustiere behalten.“ Und das hat er ernst gemeint.

Er ist damit nicht alleine: Wolfram Henn, Professor für Humangenetik und Mitglied im Deutschen Ethikrat fordert: „Wir sollten uns (…) mit Szenarien einer Cyber-Revolution aus dem Innern von Rechnersystemen befassen.“

Aber das ist dann erst das nächste Kapitel in der Matrix. Bis dahin müssen wir darauf achten, dass der Mensch innerlich frei bleibt, dass Einigkeit und Recht und Freiheit die Grundlage für unser Zusammenleben und unsere Ordnung in Deutschland und Europa bleiben.

Dazu braucht es die Resilienz unserer Gesellschaft, aber vor allem Streitkräfte, die in ihrem Innern das Leben, was sie verteidigen sollen, wie es Wolf Graf von Baudissin formuliert hat. Nur dann werden wir abwehrbereit und kampffähig sein und am Ende bestehen. Danke für Ihre Bereitschaft als junge Offiziere, sich in den Dienst dieses Kampfes für die Freiheit zu stellen.

Vortrag gehalten an der Universität der Bundeswehr in München am 2. Mai 2019 auf Einladung von Professor Carlo Masala.

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