Nachts laufen, viele Kilometer, wunderbar. #lauflos
Manchmal ist es draußen zu kalt oder eine Verletzung plagt einen. Manchmal braucht man einfach eine Pause. Wer dennoch nicht vom Laufen lassen will, der greift dann zum Buch. Keine schlechte Idee. Auch ich habe das getan und möchte hier wieder vier Bücher, die sich mit dem Laufen beschäftigen, empfehlen.
Wigald Boning, Bekenntnisse eines Nachtsportlers, Hamburg 4. Auflage 2012.
Nein, die Bekenntnisse von Wigald Boning sind sicher kein erst gemeinter Ratgeber in Sachen Sport oder Laufen. Aber da ich selbst schon zu den unmöglichsten Zeiten die Laufschuhe geschnürt habe, hat mich der Titel schon angesprochen, und er hält, was er verspricht! Anschaulich schildert Boning nicht nur die Ausreden, die einen zunächst daran hindern, regelmäßig Sport zu machen. Und wunderbar zu lesen ist auch der Übergang hin zum Suchtfaktor Laufen. Irgendwann geht es nur noch um die Frage, wie man den täglichen Lauf in den Tagesablauf integrieren kann, wie gut das Gefühl tut, wenn man früh morgens, wenn andere erst wach werden, schon seine erste Runde absolviert hat. Doch Boning belässt es nicht beim Laufen. Es reicht ihm nicht, mitten in der Nacht aus dem Haus zu schleichen, um sowohl das Laufen als auch den Job und die Familie unter einen Hut bringen zu können. Es muss ein Marathon sein. Er bekennt sich: „Ich bin ein Suchtmensch.“ Und er schafft es, seinen Weg zum erfolgreichen Marathon unterhaltsam und humorvoll zu erzählen, egal ob ihn deutsche Schlager als Ohrwurm quälen oder er beim ersten Nachtlauf nicht nur die stolz erworbene Stirnlampe zerlegt, sondern auch noch im Schneematsch völlig durchnässt deren Reste vom Boden aufsammelt. Doch der erfolgreich absolvierte Marathon reicht dem Suchtmenschen nicht. Das kennen viele Läufer, die immer wieder den nächsten Marathon ins Auge fassen, obwohl das ursprüngliche Ziel ja nur war, einmal im Leben einen Marathon zu laufen. Und manchen reicht ja selbst das nicht: Es muss ein Ultramarathon sein. Boning stürmt in völlig unzureichender Kleidung den Berg hinauf und bringt sich dabei ernsthaft in Gefahr. Er fährt 24 Stunden am Stück mit dem Rad und am Ende durchpflügt er zur Belustigung der Berliner schwimmend die Spree. Alles in allem ein wunderbar kurzweiliges Buch, für alle, die das Laufen und den Sport lieben.
Matthias Politycki, 42,195. Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken, Hamburg 2015.
Matthias Politycki? Das ist doch der „Abenteurer der deutschen Gegenwartsliteratur“, der vor allem eins kann: „gut schreiben“, wie es Hajo Steinert vom Tages-Anzeiger formuliert hat. Und der hat ein Buch übers Laufen geschrieben? Genauer gesagt ein Buch über das Marathonlaufen? Ja, hat er. Schon die Gliederung macht Lust auf mehr. Die Einleitung ist mit „Starterbreich“ überschrieben. Er bekennt: „Nein, ich lebe nicht fürs Laugen. Aber ohne Laufen wäre mein Leben nicht mein Leben, das schon.“ Das unterschreiben sicher viele passionierte Läufer. Jedes weitere Kapitel stellt einen Kilometer eines Marathons dar. Und neben den Gefühlen, die den oder die Läuferin da beschleichen, präsentiert Politycki Interessantes und Anekdotisches rund um das Thema Laufen. Vom Color Run, bei dem man jeden Kilometer mit einer anderen Farbe besprüht wird, hatte ich bis dato noch nie etwas gehört. Er warnt vor den Fallstricken des intensiveren Laufens. Denn für manche wird das Laufen vom lieb gewonnenen Hobby zur Passion. „Männer entwickeln als Läufer ein Ernährungsbewusstsein wie ansonsten allenfalls Frauen mit einer Essstörung.“ Da kann ich zum Glück nicht mitreden. Für mich ist und bleibt Kuchen ein Hauptgrund, um die Laufschuhe anzuziehen. Jeder gute 10 Kilometerlauf rechtfertigt ein Stück Frankfurter Kranz. Der These seines Laufkumpanen Seb zufolge, nach der „eine schöne Mitläuferin (…) mindestens so leistungssteigernd wie ein Gel“ sei, kann ich allerdings schon eher etwas abgewinnen. Diese bei Kilometer 11 formulierte These wird bei Kilometer 35 mit einer britischen Studie untermauert, nach der Männern das Laufen angeblich leichter fällt, sobald Frauen zusehen. Mit solchen Dingen kann man sich in der Tat wunderbar während eines langen Laufes ablenken und gerade bei Kilometer 35 braucht es die Ablenkung. Und Kurzweil und Ablenkung, auch manch Nachdenkliches bietet dieses wunderbare Buch. Wer bis in den „Zielbereich“ des Buches durchhält – und das dürfte so schwer nicht sein -, wer selbst einmal einen Marathon beendet hat, der stimmt Politycki wohl zu. Er schreibt: „Für diesen einen Tag ist jeder ein besserer Mensch. Nichts ist mehr vorstellbar, um das man noch kämpfen würde. Gäbe es nur Läufer auf der Welt, es käme nirgendwo mehr zum Krieg – jedenfalls solang man die Läufer am Laufen hält.“ Nun, wenn man nicht läuft, dann ist das Lesen dieses Buches eine gute Alternative anstatt einen Krieg anzufangen.
Mike Kleiß, Laufwunder. Wie sie dein Leben verändern, Gütersloh 2016.
Ich gebe es zu. Bei den beiden folgenden Büchern bin ich kein neutraler Rezensent. Mike Kleiss, der Autor, ist mein Freund. Er hat über den Beginn unserer Freundschaft einen wunderbaren Beitrag geschrieben und da ist es nun folgerichtig, dass ich mal was zu seinen Büchern sage. In den Laufwundern kommt nun auch noch eine Geschichte mit mir vor. Was soll ich also sagen? Superbuch. Nein, im Ernst. Mikes zusammengetragene Geschichten hat er alle erlebt. Und selbst wenn das nicht immer hundertprozentig stimmen sollte, dann sind sie so schön, berühren einen, machen nachdenklich, so dass man sich wünscht, sie seien wahr. Sein Rat, achtsam zu laufen, bei einer Erkältung nichts zu erzwingen, sondern auf den eigenen Körper zu hören, ist klug. Seine Auseinandersetzung mit dem Thema vegan zu laufen offenbart, dass das Laufen und alles drum herum – eben auch die Ernährung – eine ernste Sache sein können. Bei Drohungen gegenüber dem Autor, weil er auch ein kritisches Wort zur veganen Ernährung verliert, da hört der Spaß in der Tat auf. Immer wieder gerne lese ich seine Geschichte, in denen seine beiden Hunde vorkommen. Das „Laufen mit vier Pfoten“ beschreibt er so, dass man fast überlegt, sich einen Hund anzuschaffen. Fast. Was mir an dem Buch gefallen hat, dass man es Geschichte für Geschichte lesen kann. Am Sonntag nach oder bei einem Kaffee, Samstag nach einem langen Lauf oder einfach so morgens beim Müsli. Und dann überlegt man, ob man nicht selbst schon das eine oder andere Laufwunder erlebt hat und merkt, wie viel Spaß und Kraft einem dieser Sport doch gibt.
Mike Kleiß, More Power. Lauf dich frei! Vom übergewichtigen Kettenraucher zum Marathonläufer – eine Erfolgsgeschichte, Kulmbach 2014.
Das erste Buch über das Laufen von Mike Kleiss ist ein Buch, in dem er über sich selbst schreibt. Schonungslos. Und ziemlich offen. Das muss man erstmal machen. Es ist nach wie vor so in unserer Gesellschaft: Wer eine Schwäche zugibt, der macht sich angreifbar. Der Autor hat das Laufen erst spät für sich entdeckt. Karriere, Job, Freunde, Partys. Alles war wichtiger als einmal selbst auf sich zu achten. Rauchen, gutes Essen, Alkohol: Am Ende wog Mike Kleiss 40 Kilo mehr als im guttaten. Er wusste, er musste etwas ändern. Viele wissen das. Längst nicht alle handeln dann auch. Dass sich dieser Kampf lohnt, dass man ihn gewinnen kann, wie viel Freude, Lebensfreude und Kraft man daraus ziehen kann, dass beschreibt er eindringlich in diesem Buch. In 18 Monaten nahm er die besagten 40 Kilo ab, lief einen Halbmarathon und weil das nicht reichte musste auch gleich noch der erste Marathon gelaufen werden. Er selbst schreibt: „Ich startete als dickes, rauchendes Wrack, das sich selbst nicht mehr mochte. Ich stand an einem Punkt im Leben, an dem ich das Gefühl hatte, am Abgrund zu stehen. (…) Im Verlauf der Monate hatte ich den Rand des Abgrunds verlassen und war in die andere Richtung gegangen. Immer fester wurde die Erde unter meinen Füßen, immer sicherer die Wege. (…) Jeder Lauf wurde zu einer großen Freude.“ Die Geschichte von Mike Kleiss ist eine Geschichte, die viele, die laufen, erzählen können. Aber er hat sie aufgeschrieben. Und damit macht er immer noch Menschen Mut. Mut, dass es sich immer noch lohnt, immer wieder lohnt, loszulaufen. Und dass man es schaffen kann. Ich finde ja, wir leben in einer Zeit, in der es mehr Mut und Optimismus braucht und weniger negative Gedanken und Verzagtheit. Darum lohnt sich das Buch auch als Lektüre für diejenigen, die nicht 40 Kilo abnehmen wollen oder müssen. Einfach nur laufen, das ist schön und gut. Aber einmal darüber nachzudenken, was das Laufen im Kopf bewegt. Das lohnt sich. Oder wie es Mike Kleiss sagen würde: So läuft es.