Was mich im kommenden Jahr leiten soll
Neben den tagespolitischen Entscheidungen fragen viele Menschen einen Politiker auch nach seinen grundlegenden Überzeugungen. Was leitet ihn in seinem Handeln? Worauf nimmt er Bezug, wenn er sich grundsätzlichen Herausforderungen nähert. Manche sind erschrocken ob der erkennbaren Beliebigkeit von Überzeugungen mancher Entscheidungsträger (Nicht zu verwechseln mit dem manchmal notwendigen Veränderungen von Meinungen in Sachfragen). Doch für viele Menschen, die in Verantwortung stehen, sind ideengeschichtliche Ideale und Werte oder aber eben auch religiöse Überzeugungen durchaus handlungsleitend.
Nicht zuletzt deshalb wird in regelmäßigen Abständen in Deutschland diskutiert, welchen Stellenwert die Religion und auch das persönliche religiöse Bekenntnis in unserer Gesellschaft noch spielt, bzw. künftig spielen soll. In einer christlich geprägten Kultur, in der allerdings viele Menschen nicht praktizierende Christen sind, sondern sich allenfalls zu den in unserer Gesellschaft geltenden und christlich geprägten Werten bekennen, in der andere Religionsgemeinschaften ihren Platz gefunden haben oder suchen, stellt sich diese Frage vielleicht mit einer neuen Intensität. Für die CDU wird dies immer wieder dann deutlich, wenn über das „C“ im Parteinamen diskutiert wird.
Dass auch viele Menschen ohne christliches Bekenntnis, manche sogar überzeugte Muslime, sich in der Partei mit dem C engagieren, ist dabei kein Widerspruch – im Gegenteil. Einer Politik, die auf dem christlichen Menschenbild aufbaut, den liberalen, sozialen und konservativen Werten, die man in der Union findet, können sich eben auch Menschen ohne religiöse Bindung oder Angehörige einer anderen Religionsgemeinschaft verpflichtet fühlen.
Deswegen ist der Argwohn mancher Zeitgenossen auch unbegründet, das christliche oder das religiöse Bekenntnis eines Politikers führe zwangsläufig dazu, dass er missionieren wolle, seine eigenen Glaubensbrüder und –schwestern bevorzuge bei seinen Entscheidungen oder ähnliche krude Unterstellungen. Da wird also oft eine Art Generalverdacht formuliert, wenn man erklärt, dass die eigene religiöse Überzeugung natürlich das eigene Denken prägt und man daraus die Werte, für die man einsteht, ableitet (Das man gerade als Christ darum weiß, dass man an dem Anspruch, diesen Werten stets und immer gerecht zu werden, scheitern muss, ist eine andere Frage und kann hier nicht näher ausgeführt werden. Aber vielleicht ist gerade das eine wohltuende Unterscheidung gegenüber denen, die moralinsauer immer die Wahrheit und den Unfehlbarkeitsanspruch ihrer politischen Überzeugung vor sich hertragen, wie es beispielsweise Volker Beck von den Grünen gerne tut).
Um nicht falsch zu verstanden werden. Natürlich soll und darf man bei politischen Entscheidungen, beim eigenen Handeln in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung, in einem Land das gut daran getan hat, Staat und Religion voneinander zu trennen, eben nicht die Religion oder gar religiöse Führer entscheiden, was dem Land dienlich ist. Aber andererseits haben die Menschen das Recht zu wissen, woran man glaubt – nicht nur im religiösen Sinne –, für welche Werte man einstehen will und welche Überzeugungen einen im politischen Tun leiten. Otto von Bismarck hat das einmal so formuliert: „Gott hilft mir tragen, und mit Ihm bin ich der Sache besser gewachsen als die meisten unserer Politiker (…) ohne Ihn. Ich werde mein Amt tun; daß Gott mir den Verstand dazu gibt, ist Seine Sache.“
Mir ist im letzten Jahr mehrmals ein Satz Martin Luthers begegnet, über den ich viel nachgedacht habe. Es stammt aus seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Luther formuliert einen Anspruch und zugleich auf den ersten Blick einen Widerspruch, der einem nicht nur als Politiker, sondern auch als Christ Angst und Bange machen könnte: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Was meint Luther damit? Zunächst erinnert er uns daran, dass wir als Menschen – auch als Christen – frei sind. In unserem Tun sind wir anderen Menschen eben nicht zwingend Rechenschaft schuldig oder gar gezwungen, Anordnungen oder Befehlen zu folgen, wenn wir dies nicht selbst für richtig erachten und wollen. Diese Gewissheit, dieses Freiheitsversprechen, hat aber eine Kehrseite, der wir uns stets bewusst sein sollten.
Aus der Freiheit erwächst eben nicht das Recht, tun und lassen zu können, was man will. Freiheit meint im Sinne Luthers vor allem die Freiheit für etwas und nicht die Freiheit von etwas. Aus Sicht Luthers befähigt uns diese Freiheit, Verantwortung zu übernehmen. Für uns selbst, aber eben auch für andere. Dies bedeutet, dass man sich stets selbst fragen muss, was die Folgen des eigenen Handelns sein können. Und es bedeutet, dass man hilfsbereitet und offen den Menschen begegnet, die Unterstützung und Zuwendung brauchen. Und es bedeutet, sich dem stets dem großen Ganzen, dem Land, Europa und der Welt verpflichtet zu fühlen. Übrigens gilt das nicht nur für Politiker. Das gilt für jeden Bürger!
Die Worte Luthers hat Papst Benedikt XVI. etwas moderner formuliert: „Wo der persönliche Egoismus oder die Interessen von Gruppen sich über das Gemeinwohl hinwegsetzen, wenn jeder nur an seine eigenen Interessen denkt, kann die Welt nur zugrunde gehen.“ Und damit kann der Grundgedanke Luthers für 2011 nicht nur für evangelische und katholische Christen, sondern für alle Menschen ein guter Leitsatz sein. Zumindest für mich ist er es. Und ich freue mich auf das Jahr 2011.
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Ja, darüber bin ich auch gestolpert als ich den Film sah. Luther sagt hier das wir als ein „Ganzes“ autonom und handlungsfähig und mit einer großen Macht ausgestattet sind, gleichzeitig bemerkt er das wir immer auch Teil eines größeren Ganzen sind, dem wir ebenso verpflichtet sind. Beides ist richtig und wichtig, beides hat -jeweils für sich genommen- seine Licht- und Schattenseiten. Ich sehe darin auch die Aufforderung sich als einzelner gelegentlich aus der Masse herauszuheben und etwas zu riskieren auch wenn andere noch mühsam von der Richtigkeit für das große Ganze überzeugt werden müssen. Luther selbst ist ein gutes Beispiel dafür!
Ein Text, der irrtümlicherweise immer Nelson Mandela zugesprochen wird, jedoch von der Schriftstellerin Marianne Williamson stammt, passt gut zu diesem Thema:
Our deepest fear is not that we are inadequate.
Our deepest fear is that we are powerful beyond measure.
It is our light, not our darkness that most frightens us.
We ask ourselves, who am I to be brilliant, gorgeous, talented, fabulous?
Actually, who are you not to be?
You are a child of God.
Your playing small does not serve the world.
There is nothing enlightening
about shrinking so that other people won’t feel insecure around you.
We are all meant to shine, as children do.
We were born to make manifest the glory of God that is within us.
It’s not just in some of us; it’s in everyone.
And as we let our own light shine,
we unconsciously give other people permission to do the same.
As we are liberated from our fear, our presence automatically liberates others.
Diesen wundervollen Text können Sie auch in dem (absolut sehenswerten!) Film „Coach Carter“ hören, die Szene finden Sie hier auf Youtube.
In diesem Sinne: Bleiben Sie derjenige der Sie sind und hören Sie nie auf derjenige sein zu wollen der Sie (für uns alle) sein könnten. Wenn wir uns das alle versprechen (und halten) dann könnte das wirklich ein gutes Jahr werden 😉
Sehr gute Grundsätze.
Und mit Luther auch viel besser in 2 Hauptsätzen fomuliert als der Papst in einem Bandwurmsatz 🙂