Laufen und Lesen #laufpeter

Vier Tage Isle of Man, vier Bücher über das Laufen und 80 Kilometer

Bei meinem diesjährigen kurzen Urlaub auf der Isle of Man, den ich vor allem wegen der inspirierenden Landschaftsbilder einer Läuferin gebucht habe, haben mich vier Bücher begleitet, die ich im Bus, im Flieger oder im Café gelesen habe. Hier nun meine Buchbesprechungen für Euch. Nebenbei war ich auch noch Laufen. Ein paar Bilder gibt es zusätzlich. Wunderbare Insel. Tolle Geschichte(n). Eine Reise lohnt sich auf jeden Fall.

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Haruki Murakami, Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Murakami ist ein bekannter Schriftsteller – und er läuft. Nun hat er vor einigen Jahren auch darüber ein Buch geschrieben und seine Erfahrungen mit dem Laufen und seine Gedanken über das Laufen festgehalten. Vorab: Wer keine Anleitungen erwartet, aber dafür die Auseinandersetzung mit der Frage, was uns am Laufen hält, der wird nicht enttäuscht werden. Mir hat das Buch so gut gefallen, dass ich es an einem Vormittag durchgelesen hatte. Murakami hält sich zu Beginn nicht zurück. Ob er nun ehrlich etwas übers Laufen oder über sich selbst schreibt, das sei fast das Gleiche. In der Tat offenbart sich uns ja beim Laufen die eine oder andere Selbsterkenntnis und manchmal lohnt es sich eben, diese zu teilen. Genau das ist der Impuls des Buches. Dass der Autor liebevoll an seinem Discman festhält, die iPods in seiner Umgebung – vor allem bei den jungen gut aussehenden Studentinnen mit Pferdeschwanz – zwar wahrnimmt, er aber Laufen und Computer strickt getrennt sehen will, mutet im Zeitalter des Trackens und Teilens von Läufen in sozialen Netzwerken etwas aus der Zeit gefallen an, aber bis heute gibt es ja Puristen, die über diese Frage trefflich philosophieren.

Mich haben in der Tat all seine persönlichen Schilderungen sehr gefesselt. Ausführlich geht er auf sein Verhältnis zur Musik beim Laufen ein – auch ein beliebtes Thema. Und besonders gut hat mir das Kapitel über seinen Lauf von Athen nach Marathon gefallen. Spannend und unterhaltsam geschrieben. Man spürt die unerträgliche Hitze beim Lesen und leidet mit. Der Frage, was man beim Laufen denkt, geht er ebenfalls nach. Gar nichts zu denken, das hält er für unmöglich. Aber die Gedanken beim Laufen seien eben nicht zwingend zielführend und daher würde das Laufen eben helfen, uns zu entspannen. „Die Gedanken, die mir beim Laufen durch den Kopf gehen, sind wie die Wolken am Himmel. Wolken in verschiedenen Formen und Größen. Sie kommen und ziehen vorüber.“ Mehr Schriftsteller sollten laufen und darüber schreiben, denkt man bei solchen Sätzen. Und Sätze wie diesen findet man an vielen Stellen des Buches. Ehrlich gesagt habe ich als Politiker, der soziale Netzwerke intensiv nutzt auch einen Lieblingssatz im Buch, in dem ich mich wiederfinde: „Wenn ich unberechtigten Vorwürfen ausgesetzt bin (oder es zumindest so empfinde) oder wenn jemand, von dem ich erwarte, dass er mich akzeptiert, es nicht tut, laufe ich immer eine längere Strecke als sonst, um den Teil in mir, der sich unbehaglich fühlt, physisch zu erschöpfen. Dabei erkenne ich, wie begrenzt meine Fähigkeiten sind und wie schwach ich bin. Ich erfahre meine Begrenzungen. Zugleich gewinne ich durch diese längeren Läufe an Körperkraft.“ So ist es.

Daher wundert es nicht, dass der Zusammenhang von Laufen – also der körperlichen Betätigung – und der geistigen Arbeit als Schriftsteller breiten Raum einnimmt. Und die Empathie darf man nicht vergessen. Das Scheitern gehört nicht nur zum Leben, es gehört auch zum Laufen. Wer dann nicht nur einen „Runners Blue“ erlebt, sondern „mit Wärme angefeuert wird“, der kann sich glücklich schätzen. Der These Murakamis, dass das Laufen einen in die Lage versetzt, gelassener aber auch geistig leistungsfähig(er) zu sein, stimme ich voll zu. So empfinde ich es auch. Der letzte Satz des Buches soll auch die Buchbesprechung beschließen: „Zum Schluss möchte ich dieses Buch allen Läufern widmen, denen ich auf meinem Weg begegnet bin, die ich überholt habe und die mich überholt haben. Wenn ihr nicht gewesen wärt, wäre ich vielleicht nie weitergelaufen.“ Wie gesagt: So ist es.

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Kilian Jornet, Lauf oder stirb. Das Leben eines bedingungslosen Läufers

Ganz ehrlich. Nach den ersten Seiten wollte ich das Buch gleich wieder zur Seite legen. „Sport ist egoistisch, weil man egoistisch sein muss, um kämpfen und leiden zu können, um die Einsamkeit und die Hölle zu lieben. Stehenbleiben, husten, frieren, die Beine nicht mehr spüren, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Blessuren, Blut. Was gibt es Schöneres?“ Danach hatte ich keine Lust mehr weiterzulesen. Das ist weder mein Verständnis von Sport noch sind die beschriebenen Dinge „schön“. Aber wie beim Langstreckenlauf kann sich das Buch ja noch entwickeln, habe ich mir gedacht. Also weiter.

Kilian Jornet ist sicherlich das, was man einen Ausnahmeathleten nennt. Und deswegen sind seine Erfahrungen zwar bisweilen spannend zu lesen, für den „normalen“ Läufer gibt es aber neben Bewunderung und Faszination nur wenige Aspekte, die man für sich selbst entdecken kann. Dennoch – oh Wunder – findet man im Buch solche Passagen. Angesichts des Auf und Abs, des Leidens und der körperlichen wie seelischen Höhenflüge und Abstürze, an denen der Autor uns bei der Schilderung seiner vielen Ultraläufe von den Pyrenäen bis hin zum Kilimandscharo teilhaben lässt, passt das am Ende doch wieder gut zusammen. Zumindest mich ließ es beim Lesen aufhorchen, wenn ich neben den krassen Beschreibungen auch Stellen entdeckte, bei denen ich zu mir selbst sagen konnte: „So ist es.“ oder „Das kenne ich.“

Wie man mit Entscheidungen umzugehen lernt, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen ohne zurückzublicken, das beschreibt Kilian Jornet anhand seines Lebensweges. Das Laufen und der Ausdauersport schienen ihm in die Wiege gelegt. Dass er dabei den Sieg über andere so sehr in den Mittelpunkt rückt, unterscheidet ihn von vielen anderen die übers Laufen schreiben. Ist das nun ehrlicher? Oder macht diese von ihm selbst als solche beschriebene Sucht nach Siegen ihn überhaupt erst zu dem Ausnahmeathleten der er zweifellos ist? Diese Absolutheit, die mir zumindest mit Blick auf das Laufen so fremd ist, hat mich das Buch an dieser Stelle fast wieder zur Seite legen lassen. Aber nun gut. Ist man erstmal losgelaufen, dann ist umkehren auch blöd. Also weiter.

Spannend ist es, wenn er ausführlich die akribische Wettkampfvorbereitung beschreibt. Wer über 100 Kilometer am Stück läuft, der muss natürlich gut vorbereitet sein. Und dann schon wieder einer dieser Sätze: „Das morgendliche Aufstehen am Wettkampftag ist vergleichbar mit der Geburt und das Überqueren der Ziellinie mit dem Tod.“ Geht’s noch? Und irgendwie scheint er zu wissen, dass das keine normale Sicht auf die Dinge ist, denn auf Seite 55 dann neben spannenden Beschreibungen seiner Erfahrungen der erste aus meiner Sicht sinnvolle Satz über das Laufen an sich: Der Sieg über sich selbst, die Erfahrung, etwas, dass man selbst für unmöglich gehalten hat, zu schaffen, dass sei es schließlich, worauf es eigentlich ankomme beim Laufen.

Spannend und unterhaltsam sind die im weiteren Verlauf des Buches geschilderten Läufe: 40 Stunden und 270 Kilometer unterwegs zu sein, dass ist kaum vorstellbar. Für Kilian Jornet kein Problem. Staunend und gebannt liest man von seinen inneren Kämpfen und Triumphen über sich selbst und andere Gegner im Wettkampf. Und bevor er uns zu seinem Lauf von Atlantik zum Mittelmeer durch die Pyrenäen mitnimmt überrascht uns das Buch noch mit einer Liebesgeschichte. Auch das findet man in Büchern über das Laufen selten. An überraschenden Wendungen fehlt es also nicht.

Dann wieder eine dieser Stellen im Buch, die auch von Haruki Murakami hätte stammen können. Der Autor verläuft sich und muss umkehren. Er kommentiert diese Situation wie folgt: „Aber sind solche Momente tatsächlich verlorene Zeit? Wollen wir uns nicht verirren und – wie früher als Kinder – ganz eins werden mit dem Wald, all die Pflanzen und Tiere entdecken, so viel Lebendigkeit, um gleichzeitig auch etwas über uns, über unser innerstes Selbst zu erfahren?“ Am Schluss ist mein Urteil über das Buch nicht ganz so hart, wie anfänglich gedacht. Es war keine „verlorene Zeit“ und Kilian Jornet lässt den Leser in der Tat nah an sich heran. Mein Bezug zum Laufen ist aber ein gänzlich anderer. Darum wird es keinen besonderen Platz in meinem Bücherregal erringen.

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Joschka Fischer, Mein langer Lauf zu mir selbstIch gebe es zu: Wegen des Autors wollte ich das Buch unbedingt lesen. Der Weg zum Laufen und seine persönlichen Einschätzungen haben mich neugierig gemacht. Da ich selbst Politiker bin und gerne laufe, wird man zwangsläufig immer nach dem Buch von Fischer gefragt und ob man es denn gelesen habe. Diese Frage kann ich nun positiv beantworten.

Anlass, um sich wieder dem Sport zuzuwenden, ist bei Joschka Fischer eine persönliche Lebenskrise, das Ende einer Beziehung. Er selbst beschreibt sich als sportlich, war aber aufgrund seines Berufs als Politiker immer dicker geworden. Auf stattliche 112 Kilo hatte er zugenommen und den „Aktionsradius auf der Größe eines Bierdeckels“. Neidisch auf den drahtigen und zugleich deutlich älteren Heiner Geißler sei er gewesen, schreibt Fischer. Sehr treffend hat er dabei die täglichen Rituale und den Lebensstil im Umfeld des Parlaments und der Regierungszentrale – damals noch in Bonn – dargestellt. In Berlin ist die Zahl der parlamentarischen Abende und Empfänge mit gutem Essen und alkoholischen Getränken nicht geringer geworden. Die Zahl der Ausreden, warum man keine Zeit zum Sport hat, auch nicht. Die Erfahrung Fischers, dass gerade durch das Laufen sein Arbeitspensum höher, er konzentrierter und gelassener geworden sei, teile ich aus persönlicher Erfahrung. Es ist falsch zu behaupten, dass das Laufen oder der Sport Zeit koste. Das Gegenteil ist der Fall: Man gewinnt Zeit – egal ob man am Morgen läuft und frisch und hellwachem Kopf in den Tag startet oder ob man vor dem Nachtgebet eine Runde läuft und damit auch den Ärger des Tages hinter sich lässt.

Die biologischen und allgemein politischen Analysen Fischers will ich nicht näher bewerten und erörtern. Jeder möge diese Passage, die man so auch in anderen Büchern findet, selbst bewerten. Spannend fand ich seine Gedanken, wie er angesichts seiner Bekanntheit und öffentlichen Funktion mit dem Laufen umgehen sollte. Schließlich sei es unumgänglich, dass Journalisten seinen Gewichtsverlust bemerken würden, wenn er mit dem Laufen beginne, selbst wenn man diese selten morgens um 7 Uhr antreffe. Wie also damit umgehen, wenn er nicht mehr als „wandelndes Faß von Mensch“ erkennbar sein würde?

Fischer offenbart ein paar Eigenarten. So möchte er beim Laufen für sich sein und nicht mit anderen sprechen. Schließlich steigert er sich und die Pfunde purzeln. Bei einem Lauf mit einen Journalisten lässt es sich dann auch zu der Aussage hinreißen, einen Marathon laufen zu wollen. Mit der Hilfe von Herbert Stefny meistert er dann die Vorbereitung, die er exemplarisch schildert. Am Ende läuft er den Marathon deutlich unter vier Stunden. Respekt.  Auch dieser Lauf ist Teil seines „Laufs zu mir selbst“. Das hohe Lied auf „die tiefgreifende Änderung des persönlichen Programms“ und sein selbst gesetzter Anspruch und das hohe Maß an Zufriedenheit, dass aus den Zeilen spricht, wird leicht gemindert, wenn man bedenkt, dass Fischer inzwischen sein persönliches Programm offensichtlich wieder geändert hat. Ob die Zwänge des Amtes als Außenminister dabei zu stark waren, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall zeigt es, dass man gerade als Leistungsträger in der modernen Gesellschaft auch die körperliche Fitness im Auge behalten muss, um den Herausforderungen gewachsen zu sein. Christopher McDougall würde an dieser Stelle darauf hinweisen, dass auch Nelson Mandela und Abraham Lincoln regelmäßig gelaufen sind. Das Buch von Joschka Fischer liest sich schnell und flüssig und beinhaltet ein paar schöne Anekdoten, wie die Begleitung durch einen Boulevardjournalisten während des Hamburg Marathons, der unterwegs die Redaktion per Handy auf dem Laufenden hielt , aber keine grundlegenden Erkenntnisse über das Laufen.

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Christopher McDougall, Born to run. Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt.

Gleich vorweg: Das bisher umfassendste und beste Buch über das Laufen, dass ich bis dato gelesen habe. Am Anfang habe ich gedacht: Was schreibt der Mann da? Wer ist Caballo Blanco und wer sind die Tarahumara? Daraus wurde dann die wildeste Geschichte über ein in der Tat vergessenes Volk gespickt mit Fakten und klugen Gedanken rund ums Laufen. Wenn ich eine Zusammenfassung liefern wollte, würde das den von mir gesetzten Rahmen sprengen. Roger Bannister, britischer Mittelstreckenläufer, der auch zitiert wird, hat die Quintessenz des Buches gut in eigenen Worten zusammengefasst: „Wenn die Sonne aufgeht, fängst du am besten an zu laufen.“ Wer sich von dem Buch philosophischen Gedanken über das Laufen erhofft, der wird genauso wenig enttäuscht sein, wie derjenige, der auf spannende Anekdoten aus der Laufgeschichte der Jetztzeit aus ist.

Ganz nebenbei wird biologisch fundiert erklärt, warum der legendäre Emil Zapotek mit seinem Satz „Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft“ recht hatte und wieso der Homo Sapiens nicht nur dem Neandertaler, sondern auch nahezu allen anderen Säugetieren überlegen war und ist: Er konnte und kann (Dank McDonalds und Nike nur noch eingeschränkt) länger laufen. Darum gewinnt beim jährlich im Oktober in Arizona stattfindenden Wettlauf zwischen Mensch und Pferd über die Distanz von 80 Kilometern auch regelmäßig ein Mensch. Wer hätte das gedacht? Für ungläubiges Stauen sorgt da Buch auf jeden Fall an vielen verschiedenen Stellen.

Wer jetzt noch eine Erklärung für die steile These des Buches, dass die modernen Laufschuhe Verletzungen eher gefördert haben als für gesundes Laufen sorgten, der muss das Buch wirklich lesen. Es ist das umfangreichste und spannendste der vier hier vorgestellten Bücher. Und mein kürzester Text. Das Buch muß man einfach selbst lesen, wenn man gerne läuft. Ich laufe gerne. Nach dem Buch werdet ihr euch in eurer Leidenschaft für das Laufen bestätigt sehen oder zumindest neugierig darauf geworden sein, was ihr durch das Laufen über euch selbst erfahren könntet. Darum hat am Ende des Blogposts auch Caballo das Wort: „Laufen sollte nicht dazu da sein, die Menschen irgendwelches Zeug kaufen zu lassen. Laufen sollte nichts kosten, Mann.“

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2 Kommentare zu “Laufen und Lesen #laufpeter

  1. Ich bin seit mittlerweile 14 Jahren leidenschaftlicher Läufer und habe gerade den Blog von petertauber gelesen. Sehr schön geschrieben. Ich lese immer gerne, was Gleichgesinnte schreiben und kann vielen Passagen aus Erfahrung zustimmen. Auch mir gelingt es beim Laufen immer wieder, den Kopf „frei“ zu bekommen. Für mich ist es der schönste Sport. Mir ist beim Lesen jedoch ein Schreibfehler aufgefallen, den man so nicht stehen lassen sollte. Der große tschechische Läufer mit dem ihm eigenen Laufstil hieß Emil Zatopek.
    Die Bücherrezensionen von Peter Tauber machen mich neugierig auf das Lesen einiger Bücher wie z.B. das von Joschka Fischer oder Christopher Mc Dougall.

  2. Laufen ist schwere körperliche Arbeit. Während und nach einer längeren Fahrradtour, besonders im Regen(!), stellt sich ein gleicher Effekt ein. Die Gartenarbeit hat ähnliche „Folgen“. Psychisch befreiend und gedanklich bereit für „Neue Ufer“ wird man generell durch längere körperliche Arbeit, die mindestens zu einer ausgiebigen Transpiration führen sollte. Ein mühsamer Spaziergang über 3-4 Stunden mit Höhen und Tiefen tut es auch. Das Alter allein kann dafür kein Hinderungsgrund sein. Was den gedanklich Sitzenden fehlt, ist die unbewußte Forderung des Körpers nach Bewegung. So wie der Geist sich bewegt, will es auch der Körper tun. Schläft der Eine, wird es der Andere auch bald tun. Zumindest der von zu Vielen.

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