Die Bürokratie schlägt zurück
Zwei Termine und eine Vielzahl von Eindrücken und die Erkenntnis: Wir Deutschen können offensichtlich nicht aus unserer Haut.
Ich habe die Erstaufnahmeeinrichtung in Hanau sowie das Jugendhilfezentrum Don Bosco in Sannerz besucht. Mir war wichtig zu erfahren, wie die tägliche Arbeit mit Flüchtlingen aussieht, was inzwischen gut funktioniert und wo wir noch besser werden müssen.
Meine erste Erkenntnis: Die Einsatzbereitschaft sowohl der Fachleute in den Einrichtungen als auch der ehrenamtlichen Helfer ist nach wie vor groß. Das ist gut, denn leider kommen sie in der öffentlichen Diskussion kaum zu Wort und finden zu wenig Aufmerksamkeit. Laut hingegen sind die ganzen Meckerer und Leute, die – sich hinter vielen Sorgen versteckend – oft in Wahrheit einfach ausländerfeindlich sind, am liebsten keinen einzigen fremd aussehenden Flüchtling hier haben wollen und dabei den Art. 1 des Grundgesetzes geflissentlich ignorieren.
Die zweite Erkenntnis: Die übergroße Zahl der Flüchtlinge bringt eine hohe Bereitschaft zur Integration mit. Sie wollen Deutsch lernen, sie wollen eine Ausbildung machen, sie wollen etwas zurückgeben. Das trifft beispielsweise auf die sieben jungen Männer aus Eritrea, Somalia und Afghanistan zu, die ich in Sannerz kennengelernt habe. Ein Jahr lang haben sie sich in einem Orientierungskurs des Jugendhilfezentrums Don Bosco in Kooperation mit der Berufsschule auf eine Ausbildung zum Schreiner vorbereitet. Das handwerkliche Geschick ist vorhanden, erste Deutschkenntnisse ebenfalls und die Motivation ist hoch, das hat mir der Werkstattleiter berichtet. Allein: Aufgrund bürokratischer Hürden mangelt es derzeit an einem passenden Qualifizierungsangebot, weil sich die Behörden über die Finanzierung nicht einig werden. Das kann aus meiner Sicht nicht sein. Wir dürfen diese jungen Menschen sich nicht alleine überlassen, sondern müssen dafür sorgen, dass sie mit einer entsprechenden Ausbildung selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Tun wir es doch, werden wir die negativen Konsequenzen am Ende alle zu spüren bekommen.
Die dritte Erkenntnis: die Bürokratie schlägt zurück. Ich hatte gehofft, dass wir nach der schwierigen Situation im Oktober, November und Dezember, wo wir viele Verordnungen und bürokratische Vorschriften beiseiteschieben mussten, um schnell und effektiv zu handeln, mal ernsthaft überlegen, welche dieser nicht angewandten Regeln in Wahrheit überflüssig sind und abgeschafft gehören. Alle mit denen ich sprach schildern mir aber das Gegenteil. Da werden Parallelstrukturen aufgebaut, weil für die Erstaufnahmeeinrichtungen das Land verantwortlich zeichnet, die so genannten „Kontingentflüchtlinge“ aber von den Kommunen betreut werden, und vorhandene Synergiepotenziale, beispielsweise bei simplen Dingen wie dem passenden Raumangebot für Deutschkurse – aus reinem Formalismus heraus nicht genutzt werden. Kluge Aktionen vor Ort wie die „Bäderlotsen“ für Hanauer Schwimmbäder enden für Organisatoren und Teilnehmer in einem Wust aus Bürokratie. Das bringt uns aus meiner Sicht keinen Millimeter weiter. Das können wir besser!
Und dann sind da noch die berührenden Momente, wenn aus der abstrakten „Flüchtlingskrise“ plötzlich Einzelschicksale werden, wenn Themen wie Krieg, Flucht und Vertreibung plötzlich in einem idyllischen Ort wie Sannerz ganz nah erscheinen. So hat mich die nur auf den ersten Blick simple die Antwort, die mir die bereits eingangs erwähnten jungen Männer auf meine Frage, was sie sich vor ihrer Flucht von einem Leben in Europa erhofft haben, gegeben haben, sehr bewegt: „Frieden“. So einfach ist das. Und für Millionen Menschen auf dieser Erde dennoch oft unerreichbar.
Ich habe die Jungs am Schluss gefragt, was ihnen gut an Deutschland gefällt und was nicht. Es gab nichts Negatives. Wir haben dann noch zweimal nachgefragt. Wieder Schulterzucken. Mein Freund Günter Frenz meinte dann: „Jetzt hört mal auf zu fragen, was bei uns schlecht ist. Ist doch schön, wenn jemand unser Land einfach mal gut findet. Wir selber meckern schon genug.“ Da hat er Recht.