Ein neues deutsches Leitbild
Wenn man in der Welt herumfragt, was typisch Deutsch ist, dürften einige Begriffe schnell fallen: Deutsches Brot und Bier, Weihnachtsmärkte und Autos, Fleiß und Disziplin, aber auch german angst und Gartenzwerge. Nicht alle diese Bilder stimmen. Der Gartenzwerg kommt aus der Türkei, und auf die uns zugeschriebene german angst sollten wir nicht stolz sein. Und hinzukommt: Nach unserem Verständnis ist das ja längst nicht alles, was unser Land ausmacht.
Momentan stehen bei der Bewältigung der hohen Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern die praktischen Fragen im Vordergrund: Wie können Unterkünfte organisiert und die Verfahren beschleunigt werden? Was können wir tun, damit die Sicherung der EU-Außengrenzen wieder funktioniert und die Ankommenden gerecht innerhalb Europas verteilt werden? Was müssen wir tun, um die Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen? An der Lösung dieser Aufgaben arbeitet die Politik.
Doch auch wenn wir diese akuten Probleme bewältigt haben, liegt noch viel Arbeit vor uns. Denn viele von denen, die bei uns Schutz suchen, werden bleiben. Wenn aber viele Menschen aus anderen Ländern bei uns bleiben werden, dann wird das unser Land verändern. Manche wollen das nicht. Zur Wahrheit gehört: Unser Land hat sich immer verändert. Dazu braucht es keine Flüchtlinge. Die Bundesrepublik des Jahres 2015 ist eine andere als die des Jahres 1955 oder 1995. Trotzdem ist es unser Vaterland, und es gibt Werte und Rechtsnormen, die wir richtig finden und bewahren wollen. Wer glaubt, er könne Veränderung aufhalten, der wird sie erleiden. Es ist das Selbstverständnis von Christdemokraten, dieser Veränderung eine Richtung zu geben.
Und diese Richtung soll eine Gute sein: Niemand wünscht sich heute ein gesellschaftliches Klima, in dem Frauen keine Verträge ohne Zustimmung des Ehemanns abschließen dürfen oder es Verfolgung von Homosexuellen durch den Staat gibt. Beides war übrigens in der frühen Bundesrepublik geltende Rechtslage und damit deutsche Leitkultur. Diese hat sich also verändert, und über viele dieser Veränderungen sind wir heute froh. Weil wir in Frieden und Freiheit leben, kommen aktuell viele Menschen zu uns. Sie werden verstehen müssen, dass sie „ein Gesamtpaket kaufen“. Frieden und Freiheit gibt es nicht ohne Gleichberechtigung, Toleranz, Rechtstreue. Wir müssen erklären, was das bedeutet.
Wir dürfen daher begangene Fehler nicht wiederholen Um die Gastarbeiter hat sich damals niemand wirklich bemüht. Man dachte (oder hoffte), sie gehen irgendwann wieder. Aber sie sind hier geblieben, haben sich etwas aufgebaut, Familien gegründet. Die strikte Ablehnung der Realität Deutschlands als Einwanderungsland durch die Union war genauso falsch wie rot-grüne Multikulti-Träume. Integration setzt Anstrengungen voraus – für die, die neu hinzukommen, aber eben auch für die, die schon da sind.
Als die CDU schon einmal eine Diskussion über die deutsche Leitkultur forderte, war die Empörung groß. Heute hört man solche Forderungen auch von Grünen und Sozialdemokraten. Bereits zu Beginn des Jahres habe ich nicht nur eine Diskussion über ein deutsches Leitbild eingefordert, sondern dafür geworben, den Vorschlag von Wissenschaftlern der Humboldt-Universität aus der Studie „Typisch Deutsch“ aufzugreifen, ein solches konkretes Leitbild zu ermitteln. Das Einwanderungsland Kanada hat das übrigens gemacht, um sich darüber klar zu werden, was die eigene Gesellschaft ausmacht, was sie Neuankömmlingen anzubieten hat, aber noch wichtiger: was sie von diesen erwartet.
Unser Grundgesetz ist die Basis dieses Leitbildes, aber dazu gehört aus meiner Sicht mehr. Die Bereitschaft, sich ehrenamtlich in unserer Gesellschaft zu engagieren; die Idee, dass jeder, der fleißig ist und sich anstrengt, den sozialen Aufstieg schaffen kann; dass Religionsfreiheit heißt, die Religion wechseln zu dürfen; dass Gleichberechtigung bedeutet, dass zunehmend Frauen den Ton angeben, und Toleranz und Gleichstellung, dass sich zwei Männer auf der Straße ganz selbstverständlich küssen; dass Familien mit vielen Kindern Unterstützung von allen erfahren und nicht als asozial beschimpft werden; aber auch der Stolz auf Deutschland, das Mitsingen unserer Nationalhymne und die gemeinsame Freude – nicht nur beim Fußball, sondern gerne auch etwas lauter und fröhlicher an unserem Nationalfeiertag: All das steht so nicht im Grundgesetz, aber wäre aus meiner Sicht ein schöner und wichtiger Bestandteil eines neuen deutschen Leitbildes.
Die Menschen, die hier bleiben, sollten Schwarz-Rot-Gold als ihre Farben lieben lernen. Dazu gehört dann auch, dass wir uns fragen, wie wir über unser Land sprechen. Denn wenn wir nicht begeistert von Deutschland sind, wie sollten wir dann andere dafür begeistern? Und wir können doch wahrlich stolz auf unser Vaterland sein – ein Land, das mit allen Nachbarn in Frieden und Freundschaft lebt, das frei, demokratisch und offen ist, das für viele Menschen aus anderen Regionen ein Sehnsuchtsland ist. Wir müssen denen, die bleiben, aber auch prägende Momente unserer Geschichte erklären: Wer in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen ist weiß, warum wir eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels haben, warum wir dankbar und glücklich sind, dass es wieder lebendige jüdische Gemeinden bei uns gibt. Wer Antisemitismus lebt, der stellt sich außerhalb der Gesellschaft.
Wenn wir über die Werte unserer Gesellschaft diskutieren, dann müssen wir uns aber ehrlich machen. Es reicht nicht, von Muslimen zu verlangen, sich klar von Homophobie und Antisemitismus zu distanzieren, wenn wir beides auch so in unserer Gesellschaft haben. Es reicht nicht, Sorge über den Verlust der durch das christliche Abendland geprägten Werte zu äußern und sinnbildlich die Umbenennung von Weihnachtsmärkten zu beklagen, wenn man selbst den verkaufsoffenen Sonntag fordert, aus der Kirche austritt und nicht mehr erklären kann, was Pfingsten bedeutet.
Im Übrigen: Ein gesellschaftliches Leitbild gilt auch für die, die bereits hier leben – Deutsche wie Einwanderer gleichermaßen. Die Diskussion darüber wird nie zu Ende sein. Denn jede Generation muss aufs Neue klären, welche Werte zu einem solchen Leitbild gehören. Aus meiner Sicht kommt der CDU bei dieser Diskussion über das Verbindende in der Gesellschaft eine Schlüsselrolle zu. Denn wir haben die Brücke schon im Namen – das „U“ für Union, das Gegensätze überwinden will. Wir müssen der Motor in der Debatte sein, die nun wieder einmal dringend notwendig ist.
Sehr geehrter Herr Dr. Tauber!
Können Sie nicht mal auf den BUPRÄSI einwirken, dass er sich nicht mehr so blamiert? Kürzlich soll er lt. Presse bei einem Besuch in Südkorea Nordkorea aufgefordert haben, die Atombewaffnung zu entfernen. Wegen dieser Forderungs-Naivität bekommt man ernsthafte Bedenken hinsichtlich seiner Wahrnehmungsfähigkeiten. Fordert er demnächst bei einem Besuch in Wittenberg, dass Franziskus Luther heilig sprechen soll? Bei einem Besuch in einer Sternwarte wäre es doch angebracht, die Sonne aufzufordern, den Mond künftig im Westen aufgehen zu lassen, damit wir nicht mehr Gefahr laufen, im Osten beide beim Aufgang zu verwechseln.
In diesem Fall konnte ich leider nicht anders als polemisch zu werden Die Regierungs-Naivität tat zu weh.
Mit freundlichen Grüßen Klaas Ockenga