„Ich wollte es wäre Nacht oder die Preußen kämen“ 200 Jahre Schlacht von Waterloo
Warum uns Waterloo heute interessieren sollte
Das Jahr 2015 ist reich an Gedenktagen. Wenn da nicht tagtäglich Herausforderungen vor uns liegen würden, die uns beschäftigen, dann bestünde auf eine ganz andere Art und Weise die Möglichkeit, sich anlässlich dieser vielen historischen Jahrestage mit den Ursachen und Folgen sowie den Konsequenzen für heute zu beschäftigen: 25 Jahre deutsche Einheit, 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges und 200 Jahre Schlacht von Waterloo.
Waterloo? Ist das nicht dieses Lied von Abba? Ja da gibt es ein Lied und das Feuilleton der WELT klagt zurecht darüber, dass das vielfach hörbare Bemühen, den Namen des belgischen Ortes möglichst in „breitem Amerikanisch“ auszusprechen, den Rückschluss zulässt, dass die meisten Menschen eher den Popklassiker der schwedischen Eurovision Song Contest Gewinner von 1974 erinnern als die Schlacht, ihren Hergang und ihre Bedeutung selbst.
Manch einer kann hingegen mit dem Schulwissen aus dem Geschichtsunterricht glänzen und wirft jetzt ein: Da war doch Napoleon, seine spektakuläre Rückkehr für hundert Tage von Elba nach der ersten großen Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig. Und dann die Koalition aller europäischen Mächte um den Kaiser der Franzosen endgültig zu bezwingen. Seine Verbannung nach Elba und die Restauration einer europäischen Ordnung, die auf der Macht der Fürsten gründete. Warum aber sollte uns in Deutschland oder Europa dieser Jahrestag, die Erinnerung an eine außergewöhnliche blutige Schlacht heute noch beschäftigen? Wir leben schließlich in einem vereinten Europa! Das ist lange her und hat keine Bedeutung für heute.
Zumindest der Geschichtswissenschaft ist dieses Jubiläum zahlreiche Auseinandersetzungen und Publikationen wert. Die deutschen Verlage habe eine Fülle unterschiedlicher Titel publiziert und es gibt zahlreiche populärwissenschaftliche Darstellungen. Einige will ich hier gerne zur Lektüre empfehlen.
Damit nicht genug. Wer dem Pulverdampf nachempfinden will, der ist vor Ort oder wenigstens im Netz dabei: 5.000 Darsteller, 300 Pferde und 100 Kanonen stellen wesentliche Elemente der Schlacht vor Ort nach. „Reenactment“ lautet das Stichwort. Gleichwohl kommt dieses Spektakel, bei dem man auch eine Reproduktion von Napoleons Hut erstehen kann, dem Schrecken in keiner Weise nahe, sieht man vielleicht von der Farbenpracht der Uniformen einmal ab. Über 20.000 Männer bezahlten für die Großmachtfantasien des kleinen Korsen und den von Briten und Preußen angeführten Widerstand mit dem Leben oder wurden verwundet.
Etwas harmloser kommt da die Lego-Ausstellung zur Schlacht daher, die kleinen aber auch großen Kindern einen Zugang zu den historischen Ereignissen vermittelt.
Was ist geblieben bis heute? Nur bei genauem Hinschauen entdeckt man Elemente der Erinnerungskultur an diese Schlacht in deutschen Städten. Für das preußische Berlin hat der Tagesspiegel einmal recherchiert, wie damals der Schlacht im Stadtbild gedacht wurde – und wie man versucht hat, die Erinnerung an die Schlacht nach dem Zweiten Weltkrieg zu tilgen.
Mit dem Sieg bei Waterloo, in der deutschen Geschichtsschreibung bis ins 20. Jahrhundert Schlacht von Belle Alliance genannt, während die Franzosen die Schlacht nach dem Ort Mont Saint-Jean nannten, wurde die auf dem Wiener Kongress gefundene europäische Friedensordnung gefestigt. Noch einmal restaurierten die Fürsten ihre Macht bevor endgültig die Ära der Nationalstaaten anbrach.
Kann man etwas lernen?
Wie steht es nun um die Lehren aus der Geschichte? Die Schlacht ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Geschichte aus dem jeweiligen Zeitbezug betrachtet wird. Zum 200. Jahrestag der Schlacht stellen sich daher andere Fragen als noch 1915, ein Jahr nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, als deutsche Truppen das historische Schlachtfeld erobert hatten und diverse Gedenkfeiern, u.a. in Hannover stattfanden. Besonders lesenswert finde ich das Buch „Der längste Nachmittag“ des britischen Historikers Brendan Simms. Simms konzentriert sich auf ein Detail der Schlacht: das Gefecht um den Meierhof bei La Haye Sainte. Dort behaupte das 2. Bataillon der Königlich Deutschen Legion – ungefähr 400 Mann – gegen einen übermächtigen Feind solange die Stellung, dass Napoleons Truppen der entscheidende Durchbruch in Wellingtons Zentrum nicht gelang – und die Preußen kamen. Neben den anhand von Tagebüchern und Aufzeichnungen akribisch nachgezeichneten Abläufen an diesem Nachmittag sind aber vor allem Simms Analyse und seine Interpretation bedenkenswert. Er beschreibt, warum diese Schlacht und auch das Handeln der Soldaten der Königlich Deutschen Legion traditionsbildend für die Bundeswehr aber auch für das Europa von Heute sein können.
Schon Zeitgenossen haben den Kampf zu einer „Sache Europas“ stilisiert. Widerspruch fanden sie nicht – im Gegenteil. General-Major Carl von Alten, der Kommandeur der Königlich Deutschen Legion, wurde als „Soldat Europas“ bezeichnet. Brendan Simms verweist darauf, dass der deutsche Befehlshaber des 2. Bataillons, Georg Baring, später geadelt, eine soldatischen Tradition begründete, die sich vom „preußisch-österreichischen Kampf um die Vormacht im Reich, der Kleinstaaterei der deutschen Fürstentümer, (…) des Kaisers oder der Wehrmacht grundsätzlich“ unterschied. Die Soldaten kämpften tapfer buchstäblich bis zur letzten Patrone, aber sie opferten nicht ihr Leben, sondern zogen sich schließlich zurück als die Übermacht erdrückend wurde. Die Verluste blieben relativ gering und dennoch ist aus Simms Sicht dieser Teil der Schlacht entscheidend für den Sieg. Die Offiziere handelten zudem verantwortlich für ihre Männer, so Simms. Eine spannende Passage des Buches und für eine Armee wie die Bundeswehr, die sicherlich inzwischen ihre eigene Tradition begründet hat, aber durchaus nach Traditionslinien in der langen deutschen Militärgeschichte schauen sollte, bedenkenswert.
Wer den schnellen kurzen Überblick liebt, der sollte die Zusammenfassung von Marian Füssel lesen. In der Reihe des Beck-Verlags erschienen findet man eine historische Einordnung, eine Beschreibung des Ablaufs der einzelnen Gefechte die sich zur Schlacht zusammenfügen und Einblicke in die Alltagserfahrungen der Soldaten. Füssel weist zu recht darauf hin, dass 2015 erstmals ein historisches Erinnern an die Schlacht fernab von Ressentiments möglich sei. Die vielen Ansätze und Aspekte, die er wenigstens erwähnt, machen das Büchlein zu einer kurzweiligen Lektüre. Allein seine Negierung des preußischen Beitrags zum Schlachterfolg irritiert etwas.
Davon kann in der epischen Darstellung des britischen Autors Bernhard Cornwell keine Rede sein. Wenigstens er zitiert den Wellington in den Mund gelegten Ausspruch: „Ich wünschte es wäre Nacht oder die Preußen kämen.“ Die Preußen kamen in den späten Stunden des Nachmittags. Napoleon hatte so lange gezögert, dass auch seine Garde das Blatt nicht mehr wenden konnte. Der Autor verknüpft die unterschiedlichen Abläufe und Phasen der Schlacht mit dem Erleben durch die Soldaten und entwickelt so ein Szenario, dass So beschreibt Cornwell die Schlacht auch als eine Verkettung von Zufällen und Fehlern, die dazu führten, dass eine europäische Armee unter britischer Führung dem Hegemoniestreben Napoleons und Frankreichs im 19. Jahrhundert ein Ende setze.
Vielleicht ist die Lehre aus dem blutigen Ende der napoleonischen Ära auch, dass Europa nur gemeinsam stark sein kann. Es brauchte auch auf deutscher Seite noch zwei Weltkriege, um das, was damals schon augenfällig war, zu verstehen und zu verinnerlichen. Sich dessen angesichts der Krisen in und um Europa bewusst zu werden, scheint notwendiger denn je. Unabhängig solcher weiter führender Gedanken: Spannend sind die Ereignisse der Schlacht sowie ihre Folgen für die deutsche Geschichte allemal.
Lesetipps
Bernhard Cornwell, Waterloo. Eine Schlacht verändert Europa, Reinbek bei Hamburg 2015.
Marian Füssel, Waterloo 1815, München 2015.
Brendan Simms, Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo, München 2014.
Johannes Willms, Waterloo. Napoleons letzte Schlacht, München 2015.
Es gibt nichts, was schlimmer ist als eine Niederlage – mit Ausnahme eines Sieges.
Arthur Wellesley Herzog von Wellington