Sind die Grünen auf dem Weg ins bürgerliche Lager?
Von der Sozialdemokratisierung der CDU kann man hin und wieder in kritischen Kommentaren lesen, die SPD drohe an der Auseinandersetzung mit der Linkspartei zu zerreißen, warnen andere, und die Grünen hätten entdeckt, dass sie in manchen Politikfeldern auffallend große Gemeinsamkeiten mit den Christdemokraten haben. Die FDP als liberale politische Kraft hat auf der einen Seite ihr soziales Gewissen wieder entdeckt und stilisiert sich auf der anderen Seite als letzter Gralshüter der sozialen Marktwirtschaft. Wer kennt sich da noch aus? Worin unterscheiden sich die Parteien noch? Wie lassen sich diese Unterschiede, die ja wichtig sind, damit die Bürgerinnen und Bürger bei Wahlen eine Entscheidung treffen können, in wenigen Worten umschreiben? Bei der grundlegenden Frage, wie sich unser Land entwickelt, stehen sich immer wieder das linke politische Lager, bestehend aus SPD, den Grünen und neuerdings der Linkspartei, und das so genannte bürgerliche Lager, bestehend aus den Unionsparteien und der FDP, gegenüber. Man könnte kritisch fragen, ob die Zusammenfassung von CDU, CSU und FDP unter der Bezeichnung bürgerliches Lager noch den Kern der Sache trifft, schließlich seien – Gott sei es gedankt – alle Menschen in der Bundesrepublik Bürgerinnen und Bürger in dem Sinne, dass sie bürgerliche Rechte und Pflichten haben. Dennoch spricht vieles dafür, an dieser historisch gewachsenen Bezeichnung festzuhalten. Man kann die drei genannten Parteien dem linken Lager nicht als rechtes Pendant gegenüberstellen. Natürlich versteht es die Union als ihre Aufgabe, Konservativen und patriotisch denkenden Menschen ein Angebot zu machen. Wir brauchen keine demokratische Partei rechts von der Union. Aber die Union und auch die FDP sind Parteien die eben vor allem die Mitte unserer Gesellschaft repräsentieren. Und in der Mitte verortet sich eben das Bürgerliche. Der deutsche Philosoph Odo Marquard hat diese Mitte treffend umschrieben: „Die liberale Bürgerwelt bevorzugt das Mittlere gegenüber den Extremen, die kleinen Verbesserungen gegenüber der großen Infragestellung, das Alltägliche gegenüber dem Moratorium des Alltags, das Geregelte gegenüber dem Erhabenen, die Ironie gegenüber dem Radikalismus, die Geschäftsordnung gegenüber dem Charisma, das Normale gegenüber dem Enormen…“ Bürgerliche Ideale umfassen außerdem nicht nur persönliche Grund- und Freiheitsrechte, Volkssouveränität und einen demokratischen Rechtsstaat, die ja auch von SPD und Grünen offensiv vertreten werden. Hinzu kommen bürgerliche Werte und Normen, die im persönlichen Bereich eine Rolle spielen: Familie, Leistung, Fleiß, Arbeit, Pflicht, Disziplin, Dienst, Bildung und Kultur – um einige wesentliche zu nennen. Ob Grüne und Sozialdemokraten diesen Werten einen ähnlichen Stellenwert einräumen wie die bürgerlichen Parteien? Schön wäre es. Vor diesem Hintergrund habe ich meine Zweifel, ob Linkspartei und NPD für sich in Anspruch nehmen können, die Bürgerinnen und Bürger zu vertreten. Viele Anhänger dieser beiden Parteien – hoffentlich nicht alle Wählerinnen und Wähler – würden sich auch nicht im positiven Sinne als Bürger der Bundesrepublik definieren. Sie lehnen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ab und träumen von einem nationalen oder wie auch immer gearteten Sozialismus. Die große alte Dame SPD, die viele Jahre auch die Bundesrepublik geprägt hat, vertritt natürlich die Interessen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Ihr dies abzusprechen wäre töricht, deswegen tut es auch niemand. Aber klar ist auch: die SPD definiert sich als linke Volkspartei. Sie ist also bestenfalls eine Bürgerpartei aber eben keine bürgerliche Partei. Spannend ist die Rolle der Grünen. Spätestens seit einem durch einen grünen Außenminister legitimierten Krieg unter deutscher Beteiligung im Kosovo in der Wirklichkeit angekommen, sind die Grünen in der Tat nicht nur mit Blick auf ihre Wählerstruktur eine in Teilen bürgerliche Kraft. Auch die gegenwärtige Auseinandersetzung in der Partei um die Energiepolitik, die sich mehrenden Stimmen, die dem Radikalismus in der Ablehnung von Kohle und Kernenergie eine Absage erteilen, zeigt dies. Politikfelder wie die Nachhaltigkeitsdebatte, das Verschuldungsverbot, die besondere Bedeutung der Ökologie oder die Verantwortung für die nachfolgende Generation sind ganz klar politische Sichtweisen, die von bürgerlichen Werten gespeist werden. Die Grünen haben sich dieser Themen in besonderer Weise angenommen. Sie können hier keinen Alleinvertretungsanspruch geltend machen – denn auch CDU, FDP und SPD billigen diesen Fragen einen hohen Stellenwert zu – aber haben doch vielfach Diskussionen neuen Schub verliehen. Hinzu kommt: sie haben mit einem zunehmend erkennbaren Pragmatismus ihren antibürgerlichen Nimbus endgültig abgestreift. Wie die SPD sind auch die Grünen nach ihren radikalen Anfängen schnell zu einer Bürgerpartei geworden. Inwieweit sie im bürgerlichen Lager ankommen, bleibt abzuwarten. Koalitionen in Frankfurt und in Hamburg deuten an, dass das bürgerliche Lager Zuwachs erfahren kann. Unserer Republik kann das nicht schaden.