Ein Zeichen der Erinnerung setzen – Sollte die Bundeswehr eine Kaserne nach ihrem bisher wichtigsten Einsatz benennen?

Afghanistan und kein Ende? Seit 20 Jahren verteidigen jetzt deutsche Soldat:innen Deutschland am Hindukusch, wie es der zu früh verstorbene Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) einmal formuliert hat. Diese Aussage löst bis heute Kontroversen aus. Wir sind uns nicht einig, ob der Einsatz ein Erfolg ist oderschon war. Und manch einer kann nicht einmal richtig erklären, warum wir in Afghanistan sind. Ähnlich groß wie die Unsicherheit und Uneinigkeit bei diesem Einsatz war damals die Empörung, als endlich ein Minister, es war Karl Theodor zu Guttenberg, ausgesprochen hat, dass Krieg ist in Afghanistan. Ein Krieg, in dem deutsche Soldaten kämpfen und sterben. Den Soldat:innen tat es gut, dass ein deutscher Politiker die Dinge endlich beim Namen nannte. Die befürchtete öffentliche Aufregung unterblieb auch deshalb, weil die Bürgerinnen und Bürger im Fernsehen die Bilder der Kämpfe sahen und längst wussten, was die Politik nun endlich beim Namen nannte.

Nicht alle deutschen Soldaten:innen wurden nach der Rückkehr aus dem Einsatz freudestrahlend am Flughafen von ihren Liebsten in den Arm genommen. Bei manchen Familien klingelten ein Pfarrer und ein Vorgesetzter an der Haustür, um die Nachricht vom Tod oder der Verwundung eines Angehörigen zu überbringen, bevor die Gefallenen dann mit militärischen Ehren in die Heimat zurückgebracht und die Verwundeten medizinisch evakuiert wurden. Nicht nur die Angehörigen und die Kamerad:innen in der betroffenen Einheit und im Einsatz: Die ganze Bundeswehr musste sich erstmals in einem größeren Maße dem Thema Tod und Verwendung im konkret stellen. Das hat die Streitkräfte insgesamt verändert. Der Aufbau einer möglichst umfassenden Fürsorge hat gedauert. Mit dem Wald der Erinnerung und dem Ehrenmal der Bundeswehr mussten erst Orte des Gedenkens und Erinnerns entstehen.

Im Gespräch mit Soldatinnen und Soldaten am 20.06.18 in Mazar-e Sharif, Afghanistan im Camp Marmal. / Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)

Wenn ein Krieg über 20 Jahre dauert, dann vergessen die meisten, was eigentlich der Grund für den Krieg war. Der Krieg gegen den Terror, das Zerschlagen der Netzwerke von Al-Qaida, deren Macht die Zwillingstürme des World Trade Center in New York zum Einstürzen brachte und von denen auch eine permanente Gefahr für die westlichen Demokratien ausging, die Solidarität in unserem Verteidigungsbündnis, der NATO, führte deutsche Soldaten in dieses ferne Land. Dass dort nach dem Ende der Talibanherrschaft wieder Freiheiten möglich sind, Mädchen wieder die Schule besuchen, es Universitäten und Schulen gibt, war nicht der Kriegsgrund. Es ist höchstens ein Nebeneffekt, wenn auch ein positiver. Ein Erfolg ist es auch, dass die Gefechte gegen die Taliban, die 2010 noch deutsche Soldat:innen kämpfen mussten, nun von den afghanischen Streitkräften selbst geführt werden.

Doch man muss und darf auch kritisch Bilanz ziehen. Das Land hat bis jetzt keineswegs die stabile Ordnung, die man sich zu Beginn des Krieges vorgestellt hat und auch der Weg zum heutigen Status hat sehr viel länger gedauert als ursprünglich gedacht. Ebenfalls ist zweifelhaft, wie überlebensfähig die angestrebte neue Ordnung im Falle eines Abzugs der internationalen Truppen wirklich ist – und ob zeitnah überhaupt eine wahrhafte und nachhaltige Friedenslösung gefunden werden kann.

Zeitweilig waren gleichzeitig über 5.000 deutsche Soldat:innen in Kabul, Mazar-i-Sharif, Feyzabad, Kunduz und anderen Orten im Norden Afghanistans im Einsatz – insgesamt mehr als 95.000 seit 2001. Sie haben dort oft Unbeschreibliches erlebt. Und sie hätten es verdient, wenn wir ihnen dabei mehr zuhören würden. Denn bei aller politischer Bewertung muss man als Fazit für die Bundeswehr sagen: Die Bundeswehr war trotz aller Probleme und Herausforderungen in der Lage, alle Aufträge durchhaltefähig durchzuführen. Das ist ohne Wenn und Aber ein Erfolg. Die Streitkräfte hat sich in der direkten Auseinandersetzung – im Kampf auf dem Schlachtfeld behauptet. Das ist ein Erfolg. Und die Soldatinnen und Soldaten erinnern uns an Clausewitz, der einmal gesagt hat: „Allem wozu Streitkräfte gebraucht werden, liegt die Idee des Gefechts zugrunde. Sonst würde man ja keine Streitkräfte gebrauchen.“ 

Das auszusprechen, davor scheut sich die deutsche Politik noch immer. Aber es ist trotzdem wahr. Aktuell laufen wir allerdings Gefahr, diese Wahrheit noch mehr zu verdrängen, denn zu schön sind doch die Bilder der freundlichen und hilfsbereiten Soldat:innen in der momentanen Amtshilfe, in den Gesundheitsämtern oder Impfzentren im Kampf gegen Corona.

Blick vom Camp Marmal in Mazar-e Sharif, Afghanistan. / Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)

Die aktuelle Debatte um die Fortführung des Afghanistaneinsatzes ist deshalb eine Chance: Sich mit der Notwendigkeit des Einsatzes, seinen Ursachen und Zielen erneut zu befassen. Aber mehr noch sich bewusst zu machen, dass der Einsatz unabhängig von seinen politischen Zielen  den Deutschen und ihren internationalen Verbündeten gezeigt hat, dass deutsche Streitkräfte selbst unter schwierigsten Bedingungen weltweit handlungsfähig und jederzeit verlässlich sind. Deshalb dürfen die Männer und Frauen der Bundeswehr stolz von sich sagen, dass sie ihre Aufträge in Afghanistan bis heute erfüllt haben. Unter Opfern, aber tapfer und treu.

Nicht nur aufgrund der Gefallenen und Verwundeten prägt dieser Einsatz wie kein anderer unsere Streitkräfte und deren Bild in unserer Gesellschaft. Vielleicht wird in Zukunft der Einsatz im Sahel auf dem afrikanischen Kontinent eine ähnlich prägende Wirkung haben. Bis dahin ist es jedoch noch ein langer Weg. Wir tun als Gesellschaft gut daran – gleich was wir vom politischen Mandat halten – den Soldat:innen zu danken. Und die Bundeswehr sollte sich überlegen, wie sie auch in ihrer Tradition diesen vielfach prägenden Einsatz verankern kann. Der Armee im Einsatz wird im Wald der Erinnerung gedacht, das Ehrenmal erinnert an die Toten der Bundeswehr. Der Einsatz in Afghanistan sollte eine solitäre Benennung und Ansatz zum Gedenken finden. Vielleicht wäre die Benennung einer Kaserne nach dem wichtigsten Einsatzland ein Anfang.

3 Kommentare zu “Ein Zeichen der Erinnerung setzen – Sollte die Bundeswehr eine Kaserne nach ihrem bisher wichtigsten Einsatz benennen?

  1. Sehr geehrter Herr Staatssekretät Dr. Tauber.

    Es liegt nahe, dass über die gesamte Dauer des Einsatzes deutscher Streitkräfte außerhalb der bündnisbezogenen Landesverteidigung, der Fokus der Berichterstattung und Kommentierung, auf den militärischen Anteil des gesamten Afghanistan Engagements lag. 20 Jahre versorgte uns diese mit den einprägsamen Bildern, sei es von Frauen mit und ohne Burka oder spielenden Kindern und wunderschönen afghanischen Landschaften; aber auch mit Bildern von Sprengstoffanschlägen und den dabei zu Tode gekommenen Zivilisten wie in- und ausländischen Kombattanten.

    Dabei waren die militärischen Anteile gerade im ISAF Mandat, das in den letzten Jahren vom Deutschen Bundestag mit Blick auf eine Verlängerung zumeist kommentarlos durchgewunken wurde, nur „die Hälfte der Miete“. Der Einsatz von Streitkräften rechtfertigte sich als zwingend notwendiger Bestandteil und Voraussetzung für eine angestrebte Politik zugunsten der Stabilisierung einer Regierung und eines Staates auch und gerade im Sinne der Garantie von gewaltenteiliger Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Schutz der universal geltenden Menschenrechte. Dieses waren u.a. die politisch ersterbenswerten Ziele eines Engagements, um das eine, wie auch immer zustande gekommene Regierung in Afghanistan, selbst gebeten hat. Die zwischenzeitlich eingestellten Fortschrittsberichte des Auswärtigen Amtes (AA) als federführendes Ressort, versuchten das Erreichen dieser Ziele zu belegen und nachzweisen. Seit Resolut Support (RS) gibt es diese Fortschrittsberichte nicht mehr. Warum sollte es diese eigentlich noch geben? ISAF endete mit RS. Zu welchem Datum RS enden wird, hängt vom Ausgang der derzeit staatfindenden Gespräche mit den Talibanführern ab. Tatsache bleibt: Die Sicherheit der noch verbleibenden Soldatinnen und Soldaten hat Vorrang – es gibt faktisch, nicht rechtlich, keinen Auftrag mehr. Man bleibt, bis auf wenige Ausnahmen einmal abgesehen, in geschützten Camps und harrt auf die Rückverlegung. Es gibt einen Auftrag, dem nicht mehr nachgegangen werden soll. Zu risikoreich.

    Der Einsatz der Streitkräfte in diesem nicht-internationalen Konflikt war zwingender Bestandteil in einem politischen Konzept, das sich wohl als erfolglos erweisen könnte. Die Politiken der in Afghanistan involvierten Staaten und Regierungen haben es in gut 20 Jahren nicht vermocht, das Land, die Bevölkerung und die Politik zu stabilisieren und auf den Weg westlicher Demokratien zu bringen. Es wurde viel Geld der Staatengemeinschaft, vorranging der USA, ausgegeben und wo es schlussendlich landete läßt sich nur vermuten. 20 Jahre erfolglose Politik für und in Afghanistan?

    Was denken darüber Soldatinnen und Soldaten? War es sinnlos und letztendlich doch ergebnislos für die Politik „den Kopf hinzuhalten“, denn es tat sich schlußendlich doch nichts? Nicht der Einsatz der Soldatinnen und Soldaten als „notwendiges tool“ für sich alleine genommen für eine gleichsam „nicht stattgefundene Politk“ sollte also im Fokus stehen. Vielmehr gilt es jetzt, die Voraussetzungen für eine vorbehalts- und schonungslose Bilanz zu schaffen.

    Wer sollte bilanzieren? Mit Sicherheit nicht die Exekutive (alleine). Notwendig, so scheint mir, ist die Einsetzung einer Unabhängigen Kommission, die beim Bundestagspräsidenten angesiedelt sein könnte. Wer immer auch die Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag 26. September 2021 für die Bildung einer neuen Regierung führen wird – wichtig wäre es, die Einsatzung einer Unabhängige Kommission für die Bilanzierung des Engagements in Afghanistan in einer Vereinbarung festzuschreiben. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass stillschweigend über einen Einsatz deutscher Streitkräfte hinweggesehen werden wird. Und das kann weder im Interesse der Soldatinnen und Soldaten, noch der deutschen Polizeikräfte und Nichtregierungsorganisationen liegen.

    Lieber Herr Staatssekretär Dr. Peter Tauber. Würden Sie sich dafür stark machen? Auch wenn Sie aus eigenem Entschluss dem 20. Deutschen Bundestag nicht mehr angehören werden – Ihr politisches Engagement ist weiterhin gefragt.

  2. Sehr geehrter Parteikollege und Reservistenkamerad Peter Tauber,

    Kasernen der Bundeswehr und Liegenschaften sollten nach gefallenen Kameraden benannt werden. Sie starben ja am Hindukusch für unser „DEUTSCHES INTERESSE: FRIEDEN, WELTFRIEDEN“. Dafür
    gaben sie ihr Leben. Dafür ließen sie ihre Lieben in der Heimat zurück.
    An ihr Schicksal erinnert nicht nur der Wald der Erinnerung, das Ehre mal der Bundeswehr, sondern auch der Martin – Augustyniak Platz in Bielefeld im öffentlichen Raum. Dieser Platz ist frei zugänglich für alle friedlichen Menschen. Er lädt zum mitfühlenden Gedenken, gemäß der Bielefelder Erklärung ein.
    Bielefelder Erklärung: MITFÜHLENDES GEDENKEN, ERINNERN, VORURTEILE ÜBERWINDEN ZWISCHEN SOLDATEN, RESERVISTEN , VETERANENUND UNGEDIENTEN BÜRGERINNEN UND BÜRGERN, HINTERBLIEBENEN HELFEN., GESELLSCHAFTLICHE GRÄBEN ZUSCHÜTTEN.
    Lieber Herr Hauptmann der Reserve Peter Tauber, unterstützen sie die Bielefelder Erklärung. Danke.

  3. Sehr geehrter Herr Tauber,
    Ihre Anregung ist eine guter Schuß in die richtige Richtung.
    Ich und andere Einsatzveteranen würden es vorziehen, das Kasernen nach den gefallenen Kameraden genannt werden sollten. Denn Sie haben sich für die Einsätze geopfert . Ohne den Soldaten, würden es auch keine Einsätze geben und geschweige denn Namen dafür.
    Im übrigen sollte so wie so, die Aktive Truppe mehr an der Gedenkkultur der Einsatzveteranen sich einbeziehen und diese nicht wie Stiefmütterchen behandeln.
    Es fängt alleine damit an, das die Bundeswehr sich nicht offiziell an Gedenkveranstaltungen, die auf Privater Inzienative, und doch auf international Niveau eingeladen werden, hier aber nicht erscheinen. Des weiteren sollte die aktive Truppe die Hand gegenüber den ehemaligen Einsatzsoldaten offen halten und sie ebenbürtig und würdevoll behandeln und nicht nach dem Motto „Aus demnAuge, aus dem Sinn“
    MkG Christophe Böckling

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