Die Werte Union: nichts kapiert.
Gastbeitrag in der Welt vom 20.11.19
In einer Volkspartei wie der CDU gibt es seit jeher eine Fülle von Positionen, die in der Partei nicht mehrheitsfähig sind, es oft nie waren. Vergeblich streiten dann engagierte Mitglieder für ihre Überzeugungen. In der Union, als „Sammlungsbewegung“, wie sich die CDU in einem ihrer Gründungsaufrufe selbst bezeichnet hat, ist und wird das auch künftig so sein. Und auch wenn politische Gegner und Medien diese oft lautstark vertretenen Mindermeinungen nutzen, um die CDU mal als ewiggestrig, mal als beliebig zu beschreiben, so ist es doch gut, dass die Partei solche Beiträge aushält. Ja, sie sogar respektiert und ihnen Raum in den internen Debatten einräumt. Das gehört zu einer lebendigen Volkspartei dazu.
Ausdruck findet diese Meinungsvielfalt in mancher skurrilen öffentlichen Forderung, wie der Einführung von Parkgebühren für Fahrräder oder auch dem Leugnen des von Menschen gemachten Klimawandels. Vor allem im berühmten Sommerloch finden solche Meinungen dann den Weg in die Medien und werden durch die Journalisten schnell zu einer „Forderung der CDU“ umgedeutet. Das ist verschmerzbar, auch wenn es den jeweils amtierenden Generalsekretär einige Nerven kostet, um das wieder einzusammeln. Ich weiß, wovon ich rede. Die vielfältigen Veränderungen unserer Welt in den zurückliegenden Jahrzehnten sind an der CDU nicht spurlos vorübergegangen. Die Partei hatte in all diesen Jahren häufig Regierungsverantwortung zu tragen. Dass wir heute im besten Deutschland aller Zeiten leben, ist auch ein Verdienst der Politik der CDU. Mal hat die CDU „strategische Geduld“ bewiesen: zum Beispiel, wenn sie im Gegensatz zur SPD an der Idee der deutschen Einheit festhielt oder auch in schwierigen Zeiten das Erbe Helmut Kohls, die europäische Einigung und die gemeinsame Währung, verteidigte. Dann wieder war sie so pragmatisch und hat den Wandel gestaltet, etwa wenn es um den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie nach Fukushima ging.
Gerade dann, wenn pragmatisches Regierungshandeln gefragt war, dann war das oft mit Zumutungen für die Parteiseele verbunden. Je länger die CDU regiert, desto mehr häufen sich deshalb Debatten über die Richtung und Ausrichtung der Partei. Besonders beliebt ist dabei das Klagen, die Partei habe ihre Konservativen vernachlässigt. Es stimmt: Um Volkspartei zu sein, braucht die CDU neben den Wirtschaftsliberalen und den von der katholischen Soziallehre geprägten Christlich-Sozialen auch die Konservativen. Das christliche Menschenbild ist dabei für alle die verbindende Klammer. Der Mensch ist zur Freiheit berufen, seine Würde ist unantastbar und definiert sich nicht über seine Abstammung oder Leistungsfähigkeit. Die Grundwerte der CDU sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Nachdem die CDU jetzt schon seit 2005 regiert, ist es wahrlich nicht leicht, den Laden – um es mal salopp zu sagen – beieinanderzuhalten. Das knappe Wahlergebnis auf dem letzten Parteitag hat das dokumentiert. Entsprechend groß ist die Aufgabe für Annegret Kramp-Karrenbauer als unserer Vorsitzenden und Paul Ziemiak als unserem Generalsekretär. Alle Parteimitglieder haben die Pflicht, beide nach Kräften zu unterstützen. Doch leider pflegen manche in der Partei ihre eigenen Befindlichkeiten auf Kosten des großen Ganzen. Die ständige Selbstbeschäftigung und das laute Wehklagen schadet der CDU und widerspricht zudem dem Anspruch, stets das Wohl des Landes über das der Partei zu stellen.
Als peinlich empfinden dabei viele Parteimitglieder meist die Aussagen der sogenannten Werte Union. Diese Gruppe fällt mit permanenter Kritik an der eigenen Parteiführung, schrillen Tönen und lauten Forderungen auf. Ob das wirklich konservativ ist, was man da zu hören bekommt, das mag jeder selbst beurteilen. Die teilweise gewöhnungsbedürftigen Positionen sind aber nicht das Problem. Der Anspruch dieser Männer zu wissen, was die „richtige CDU“ sei – das ist das Problem. Die WerteUnion bricht auf diese Art und Weise mit dem akzeptierten und tradierten Miteinander der drei Säulen in der CDU. Sie gefährdet damit die Existenz der CDU als Volkspartei.
Was wohl Alfred Dregger, einer der großen Konservativen der CDU, zur WerteUnion sagen würde? Ich habe selbst noch für Alfred Dregger Wahlkampf gemacht und habe als Landesvorsitzender der Jungen Union Hessen auf einem Parteitag den Antrag gestellt, die Parteizentrale in Wiesbaden nach ihm zu benennen. Seitdem arbeiten die Mitarbeiter der CDU Hessen im Alfred-Dregger-Haus. Weit über Hessen hinaus hat er auch als Vorsitzender unserer Bundestagsfraktion die Union geprägt. Er war immer klar in der Sache, aber verbindlich im Ton. Das hat ihm nicht nur den Respekt des politischen Gegners eingetragen, er hat im Gegenzug dem politischen Gegner stets Respekt gezollt. Respekt im Umgang miteinander, das ist konservativ. Für mich bleibt der Satz richtig: Die CDU ist die Partei der ausgestreckten Hand, nicht der geballten Faust.
Auch wenn Alfred Dregger und Norbert Blüm wenig miteinander verband, so wären doch beide nie auf die Idee gekommen, einander abzusprechen, überzeugte Christdemokraten zu sein. Nach dem Streit – zwischen CDU und CSU muss einen das Gebaren der WerteUnion deshalb mit Sorge erfüllen.
In der CDU gibt es neben den soziologischen Gruppen wie der Frauen Union oder der Jungen Union mit dem Evangelischen Arbeitskreis, der MIT und der CDA Gruppen, die einen ganz bestimmten Teil des Wertekanons der Union pflegen und bearbeiten. Trotzdem würde von dort nie ein Alleinvertretungsanspruch formuliert werden. Für eine Gruppe aber, die schon mit ihrem Namen unterstellt, alleiniger Lordsiegelbewahrer der Werte zu sein, ist kein Platz in der CDU.
Egal, ob WerteUnion, Union der Mitte oder wie sich die neuen Gruppen nennen mögen: Die Partei tut sich keinen Gefallen, wenn sie die jahrzehntelangen Flügelkämpfe der SPD imitiert. Wohin das führt, kann man bei den einst stolzen Sozialdemokraten jeden Tag studieren. Wenn die CDU ernsthaft über den gesellschaftlichen Zusammenhalt reden will, dann muss sie bei sich selbst anfangen.
Foto: Tobias Koch