Europa ist eine Herzensangelegenheit

Steht Europa wirklich vor dem Ende, wie es manche unken oder beschwören – mit wohligem Schauer in der Stimme und das eigentlich Unsagbare nur raunend? So wie vielen Briten, denen jetzt erst dämmert, was der Brexit für ihr Land wirklich bedeutet, haben all diese Kassandrarufe nicht bedacht, was die Konsequenzen eines auseinanderfallenden Europas wären. Keine Frage: Europa befindet sich – wieder einmal – in einer Krise. Dabei bietet die Entscheidung der Briten, die vielleicht nur auf den ersten Blick eine endgültige ist, bei genauerem Hinsehen sogar mehrere Chancen.

Helmut Kohl hat einmal gesagt: „Europa bleibt eine Frage von Krieg und Frieden mit allem, was dazugehört: neben dem Frieden auch die Freiheit, der Wohlstand und die Demokratie.“ Drunter ist es nicht zu machen. Und weil viele das spüren, sind sie von kleinlichen Debatten um Gurkenkrümmung und Duschköpfe auch so genervt. Man hat das Gefühl, Europa kümmert sich nicht um die wichtigen Dinge, wie zum Beispiel den Schutz seiner Außengrenzen, sondern verliert sich zu oft im Kleinklein.

Zunächst muss man sich aber noch einmal vor Augen führen, dass dies nicht die erste und auch nicht die schwerste Krise des vereinten Europas ist. Die dieser Tage vielfach beschworenen Römischen Verträge, deren Unterzeichnung vor 60 Jahren wir 2017 feiern werden, waren eine Reaktion auf die erste Krise der europäischen Einigung: auf das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Die zweite große Krise Europas wurde ausgelöst durch die Politik des leeren Stuhls: Charles de Gaulle überließ Europa sich selbst und lähmte es damit. Die Antwort war die Erweiterung Europas um die jungen Demokratien im Süden. Der viel beschriebenen Eurosklerose folgte Helmut Kohls bedingungslose Politik für ein vereintes Europa. Die Staaten Osteuropas kamen hinzu, die gemeinsame Währung wurde eingeführt. Nachdem die Idee einer europäischen Verfassung gescheitert war, folgte der Vertrag von Lissabon. Und in der Staatsschuldenkrise zerbrach die europäische Währung nicht etwa, sondern durch Reformen und neue Regeln blieb sie nach dem Dollar bis heute die zweitwichtigste Reservewährung der Welt.

Europa hat auf Krisen also immer wieder reagiert und eine klare Antwort gegeben: Mal führte das zu einer Erweiterung Europas, mal zu einer Vertiefung. Wenn jetzt allerdings manche erneut nach Erweiterung oder Vertiefung rufen, dann kann das aus meiner Sicht nicht die richtige Antwort sein.

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Junge Briten, aber auch junge Menschen in ganz Europa haben die Antwort dieser Tage bereits gegeben. Ich finde es beeindruckend und schön, dass die Generation, die Krieg und Not am eigenen Leib nie erfahren musste, doch ein gutes Gespür dafür zu haben scheint, dass es dieses Europa ist, was ihnen ein Versprechen gibt: Sie können lernen was sie wollen, arbeiten wo sie wollen, leben wie sie wollen und lieben wen sie wollen. Europa ist damit für sie längst mehr als ein Wirtschaftsraum. Es ist eine Herzensangelegenheit. Muss das nicht die Antwort auf die aktuelle Krise sein? Eine Rückbesinnung auf das Gute und Schöne in Europa?

Auffallend ist, dass die Brexit-Befürworter, die mit unglaublicher Hetze und Lügen für ein Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union geworben haben, merkwürdig still sind. Außer den Freudentränen von Beatrix von Storch sind keine Bilder des Jubels in Erinnerung geblieben. Damit wird deutlich: Die Gegner Europas, Rechtspopulisten und Nationalisten, haben keine Antwort, wie sie sich die Zukunft ohne Europa vorstellen. Sie riskieren in Wahrheit Freiheit, Demokratie und Wohlstand ihrer Nationen. Das dämmert jetzt manchen. Und allen anderen muss man es jetzt klar sagen. Für uns in Deutschland heißt das: Die AfD ist antieuropäisch und riskiert damit die Zukunft der Jugend unseres Volkes.

Nun sind Europäische Kommission, das Europäische Parlament aber vor allem auch die Staats- und Regierungschefs in Europa gefordert: Sind sie die Stimme der Jugend Europas? Sie müssen es werden, und auch den jungen Menschen, die an Europa zweifeln, Mut machen, an die eigene Zukunft zu glauben. Damit bekommt Europa eine neue emotionale und geistige Grundlage. Es wird von einer Idee, die Krieg und Not in Europa beenden half, zu einer Idee für die Zukunft.

Die CDU ist die deutsche Europapartei. Sie wird sich dieser Aufgabe besonders annehmen müssen. Denn am Ende gilt, was Konrad Adenauer sagte: „Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.“

Der Text ist erschienen als Gastbeitrag in der Huffington Post.

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