Happy Reformationstag!
Fast jedes Jahr gibt es rund um Halloween eine breite Debatte, ob dieses „Fest“ die in Deutschland tradierten Feiertage Allerheiligen und Reformationstag verdrängt. Und wenn man lange genug sucht, findet man immer wieder mal einen Politiker, der Halloween “verbieten” will. Mancher klagt über den vermeintlich mit der Ausbreitung Halloweens einhergehenden kulturellen Werteverfall. Andere nehmen den Kampf mit den Lobbyisten – in diesem Fall der „Nahrungsmittelindustrie“ – auf und streiten für eine bessere Ernährung von Kindern und Jugendlichen. Und um nicht sofort vom Bannstrahl dieser Lobby getroffen zu werden, verweisen sie auf die am selben Tag stattfindenden christlichen Feste. Also nur ein geschicktes Ablenkungsmanöver? Doch genug der Ironie an dieser Stelle: Halloween ist in aller Munde und manch einer hat in der Tat Angst, dass dieses „neumodische“ Fest Allerheiligen oder gar den Reformationstag ins Abseits drängen könnte. Ist diese „Angst“ berechtigt? Tatsächlich sind die von Haus zu Haus ziehenden Kindern, die um Süßigkeiten betteln und im Falle der Verweigerung einer Gabe damit drohen, „Saures“ zu geben, ein in Deutschland immer noch recht neues Phänomen. Schuld sind sowohl die Amerikaner als auch die 68er.
Das kam in etwa so: Beim ersten Irak-Krieg waren vor allem die Deutschen unheimlich traurig. Nur die 68er blühten auf, weil sie sich irgendwie an Vietnam erinnert fühlten und nun glaubten, den Kampf mit den amerikanischen Imperialisten noch einmal aufnehmen zu können. Das ging so weit, dass in Schulen demonstriert wurde (das waren meist recht peinliche Veranstaltungen) und man schief angeguckt wurde, wenn man nicht unheimlich betroffen durch die Gegend lief. Da die Amerikaner den Krieg dummerweise so gelegt hatten, dass er in Deutschland mit der fünften Jahreszeit zusammenfiel, empörten sich schließlich ein paar Gutmenschen so lautstark und öffentlich, dass eine andere Lobby, die der Karnevalsvereine, nicht anders konnte, als Fasching in diesem Jahr ausfallen zu lassen. Deren Lobbyisten waren nämlich nicht so professionell wie die von Haribo, Mars oder Nestle. Dort hatte man das Kamelleschmeißen schon in der Bilanz gebucht, also brauchte man flugs ein anderes Datum, um den Süßkram unters Volk zu bringen. Und da kamen ein paar findige Köpfe auf Halloween! Von diesem Tage arbeitete man in den Agenturen und Hinterzimmern am großen Plan: Halloween in Deutschland einführen, um die Umsatzdelle der Süßigkeitenhersteller auszubügeln. Der Plan ging auf. Im Herbst war der Krieg vorbei und immer betroffen zu gucken, war den meisten Menschen zu mühsam. Also überzog man das Land mit einer entsprechenden Werbekampagne und da eh die kalte Jahreszeit näher rückte, waren viele für eine kleine zusätzliche Leckerei und ein fröhliches Fest dankbar.
Im Jahr darauf tobte zwar auch an irgendeiner Stelle auf dem Globus ein schrecklicher Krieg, aber da diesmal die Amerikaner nicht die Hauptaggressoren waren (zumindest ließ sich das seitens der 68er nicht so einfach konstruieren) und außerdem die Carnevalsvereine vorgesorgt hatten, konnten die Umzüge in Mainz, Köln, Gelnhausen und vor allem in Wächtersbach ohne Beeinträchtigung stattfinden. Ein Grund, auf Halloween wieder zu verzichten, war das für die Süßigkeitenhersteller aber natürlich nicht. Anstatt sich mit dem Umsatz an Naschwerk zu Fasching zu begnügen, wurde Halloween erneut inszeniert.
Und nun gibt es von Jahr zu Jahr mehr Produkte und Süßigkeiten der unterschiedlichsten Art. Dass die Kinder sich darüber freuen, kann man ihnen kaum verwehren und ich persönlich finde, man sollte ihnen das auch gönnen. Nachdenklich machen sollte einen höchstens die jüngste Studie der Deutschen Sporthochschule in Köln, die belegt, dass die Deutschen immer dicker werden. Der beobachtete Zeitraum erstreckt sich nun gerade auf die Jahre, in denen die Süßigkeitenlobby Halloween in Deutschland populär machte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Jetzt aber wirklich ganz im Ernst: Kultur und Gesellschaft verändern sich. In einer freiheitlichen Gesellschaft kann man keine Feste verbieten oder verordnen. Man kann höchstens überlegen, wie man durch das eigene Tun Traditionen stärkt oder eben akzeptiert, dass sie verschwinden oder sich verändern.
Ich bin überzeugter Protestant. Natürlich finde ich den Reformationstag wichtig und ich wünsche mir, dass vor allem evangelische Kinder, aber auch alle anderen Kinder lernen, warum die Reformation und die Erkenntnisse Luthers nicht nur für die Christenheit und die deutsche Geschichte, sondern für Europa und für die Aufklärung solche immense Bedeutung hatten und haben. Aber ich wundere mich immer, wenn Christen das Verschwinden ihre Werte und Ideale im öffentlichen Raum beklagen. Was sagt uns Luther? Mir ist im Gottesdienst folgendes Lutherwort begegnet: „Das christliche Leben besteht nicht im Sein, sondern im Werden, nicht im Sieg, sondern im Kampf, nicht in der Gerechtigkeit, sondern in der Rechtfertigung.“ Offensichtlich hilft uns das Wehklagen über den vermeintlichen Verlust christlicher Werte im Alltag nicht weiter. Und man darf in der Tat fragen, was Luther wohl zu Halloween gesagt hätte? Wer sich mit Luthers Werk und vor allem seinem Leben näher beschäftigt, der merkt, dass hier ein nicht nur kluger, immer wieder zweifelnder und nachdenklicher Mann mit Gott und seiner Kirche gerungen hat, sondern dass Luther auch voller Lebensfreude war. Es ist daher eher zweifelhaft, ob er den Kindern die Freude an den Süßigkeiten verwehrt hätte. Vielleicht hätte er sich sogar darüber gefreut, dass Kinder an dem Tag, an dem er seine Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen hat, ebenfalls von Tür zu Tür gehen. Und nachdem der Papst ihm ja schon nichts Süßes gegeben hatte, gab Luther im schließlich Saures.
In der aktuellen Debatte um Halloween – davon bin ich überzeugt – hätte Luther an dieser Stelle mit der Faust auf den Tisch gehauen. Er hätte uns aufgefordert, nicht zu jammern, sondern zu streiten. Für unseren Glauben als Christen, für unsere Überzeugungen als Protestanten. Wer das tut, wer am Reformationstag in den Gottesdienst geht, wer mit anderen darüber spricht, warum dieser Tag für ihn als evangelischer Christ wichtig ist, der kann getrost den frechen und fröhlichen Kindern, die an der Tür klingeln, auch ein paar Süßigkeiten geben. In diesem Sinne: Happy Reformationstag!
Nachtrag: Der Ursprungstext aus dem Jahr 2010, damals “inspiriert” durch die Forderung eines Parteifreundes, Halloween zu verbieten, ist von mir leicht überarbeitet worden.
Bravo! Gefällt mir sehr. Wieso machen wir nicht ein Super-Geschäft und stellen kleine Schokoluthers her? Ich bin reformiert, ich darf das 🙂