„15 Jahre Liberalisierung“ – Rede von Bundesminister a.D. Dr. Christian Schwarz-Schilling

Zum 15-jährigen Jubiläum des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) hielt der ehemalige Bundespostminister Dr. Christian Schwarz-Schilling einen Vortrag zum Thema „15 Jahre Liberalisierung – Ziel erreicht? Eine Bilanz aus der Sicht des ehemaligen Bundespostministers“. Hier das Skript seiner Rede vom 13. November 2013.
Es gilt das gesprochene Wort.

Schwarz-Schilling bei einer Rede. Foto: Tobias Koch/tobiaskoch.net
Schwarz-Schilling bei einer Rede. Foto: Tobias Koch/tobiaskoch.net

I. Liberalisierung damals

Der Kampf um die Liberalisierung begann mit der Regierungsübernahme von Helmut Kohl Anfang Oktober 1982. Ich wurde damals Minister für Post und Fernmeldewesen und bekam die Jahrhundertaufgabe, die über 100 Jahre alte deutsche Reichspost in ein neues Zeitalter zu führen. Ich hatte mich auf diese Aufgabe schon einige Jahre früher vorbereitet als medienpolitischer Sprecher der CDU und als Vorsitzender der Enquete-Kommission für Informations- und Kommunikationstechnologie des Deutschen Bundestages, die ich ab Frühjahr 1981 zu leiten hatte. Das war ein Crash-Kurs und Anschauungsunterricht sondergleichen, der mich auf diese Herkulesarbeit bestens vorbereitet hatte.

1. Technologische Aufholjagd

Die Mitglieder des Deutschen Bundestages bekamen durch ihre Arbeit in dieser Enquete-Kommission einen großartigen Anschauungsunterricht, wie rückständig die Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Fernmeldewesens und Telekommunikation inzwischen geworden ist:

  • Wir hatten noch nicht begonnen, für die größeren Strecken statt Kupfer-Glasfaserleitungen mit allen ihren technologischen Vorteilen zu verlegen.
  • Wir hatten eine minimale Anschlussdichte von 2% beim Kabelfernsehen, während  diese in unseren Nachbarländern bereits bei über 50 bis teilweise 70% lag. Bemerkenswert im Jahr 1979 war der Kabinettbeschluss der Regierung Schmidt namens „Kabelstopp“, nach dem von den privaten Unternehmen weiterhin nur so genannte „Gemeinschaftsantennen-Anlagen“ und jetzt auch von der Bundespost keine größeren Kabelnetze gebaut werden durften.
  • Wir hatten weiterhin noch keine gültigen Normen für unsere Faxgeräte, die wir vorwiegend aus Japan beschafften.
  • Jegliche private Datenverbindung bedurfte einer Erlaubnis der Deutschen Bundespost, die nicht so einfach zu erlangen war.
  • Wir hatten weder einen Fernmeldesatelliten, noch einen Satelliten für Rundfunk- und Fernsehprogramme am Himmel.
  • Während in anderen Ländern bereits die ersten Mobilfunkgeräte – wenn auch noch analog und ziemlich klobig – eingeführt wurden, saßen wir noch auf unserem B-Netz mit dem maximalen Kapazitätsvolumen von ca. 25.000 Teilnehmern.
  • Wo wir mit der internationalen Entwicklung mithalten konnten, war eigentlich nur bei den Telefonanlagen in Häusern und Geschäften, die aufgrund kluger Entscheidungen im Jahre 1928 betreffend des Fernmeldeanlagengesetzes von privaten Firmen gebaut und vertrieben werden durften.
  • Was Leitungen oder Endgeräte betraf, war es strengstens verboten, sich von privater Seite in das Geschäft der Bundespost einzumischen. Durch das starre Festhalten an dem durch das Grundgesetz abgesicherten Monopol der Bundespost waren wir gegenüber den USA, Japan und etwas später auch gegenüber Großbritannien in erheblichen Rückstand geraten, da wir in Deutschland mit dem Staatsmonopol der Deutschen Bundespost ein politisches Glaubensbekenntnis verbunden haben.

Die deutsche Postgewerkschaft hatte dieses Glaubensbekenntnis zu einer unumstößlichen Ideologie im politischen Kampf entwickelt, sodass alle Versuche seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, eine Postreform im Deutschen Bundestag durchzusetzen, ohne Ergebnis ein Ende gefunden haben. Die entsprechenden Mehrheiten für eine Grundgesetzänderung bzw. auch eine entsprechende Änderung des Fernmeldeanlagegesetzes waren nicht zu beschaffen und somit waren alle Versuche dieser Art zum Scheitern verurteilt.

2. Europäische Kommission als Geburtshelfer für die Liberalisierung

Man muss es ganz klar aussprechen: Ohne die pionierhafte Arbeit der Europäischen Kommission auf diesem Sektor wäre die Liberalisierung in Europa sehr viel langsamer vorangeschritten, wenn nicht sogar um 5 bis 10 Jahre verzögert worden. Die traditionellen Barrieren – vor allen Dingen in den großen kontinentalen Staaten Europas  – wären sehr viel länger in Kraft geblieben und hätten einen Fortschritt, wie er im beginnenden Zeitalter der Globalisierung notwendig war, weiter verhindert.

3.  Geglückte Vorarbeit der Regierungskommission unter der Leitung von Prof. Dr. Eberhard Witte

In dieser prekären Situation hat mein Kollege Heinz Riesenhuber eine mit mir abgestimmte Kabinettsvorlage betreffend der „Entwicklung der Mikroelektronik und der Informations- und Kommunikationstechniken“ erarbeitet. Diese führte dann am 14.03.1984 zu dem wichtigen Kabinettsbeschluss, eine Regierungskommission einzusetzen. Mit der Einsetzung der Regierungskommission „Fernmeldewesen“ mit ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Eberhard Witte konnte die konkrete Arbeit an den entscheidenden Veränderungen des Fernmeldeanlagengesetzes wie auch des Grundgesetzes sowie der Weiterführung der notwendigen Regelungen im Bereich der Telekommunikation begonnen werden.

Ich erinnere mich noch sehr genau, wie Prof. Witte damals die Trennung von Netz und Diensten für unbedingt erforderlich gehalten hat und wie ich ihm das habe ausreden müssen, um die Reform nicht gänzlich zu blockieren und am Ende wieder scheitern zu lassen. Auf dieses Thema werde ich nachher noch einmal zurückkommen.

4. Börsengang

Natürlich war es ein gravierender Fehler, bei der Privatisierung der Deutschen Telekom (20.12.1994) die Kabelnetze nicht von vorneherein getrennt zu privatisieren, sondern der Telekom die Veräußerung der Kabelnetze zu überlassen. Dies hat zu einer Verzögerung der Veräußerung und einer Zersplitterung in regionale Gesellschaften geführt. Die Neuformierung des Kabelfernsehmarktes hat dann entsprechend lange gedauert.

 

II. Die Hauptziele der damaligen Postreform

1. Schaffung eines funktionsfähigen Wettbewerbs:

Das Hauptziel der damaligen Postreform war die Schaffung eines funktionsfähigen Wettbewerbs durch regulierten Netzzugang. Diese Zielvorstellung folgte der Devise: „So viel Wettbewerb wie möglich – so viel Regulierung wie nötig.“

2. Freisetzung der Innovationspotentiale der deutschen Wirtschaft

Durch die Postreform sollten die Innovationspotentiale der deutschen Wirtschaft freigesetzt werden. Durch die immer weiter fortschreitende Liberalisierung der Weltmärkte musste die deutsche Wirtschaft den Innovationsrückstand schnellstens aufholen und die Möglichkeit erhalten, sich selbst eine starke Position sowohl in Deutschland als auch auf den internationalen Märkten zu verschaffen. Durch die rasant fortschreitende technologische Entwicklung der Mikroelektronik und der Informations- und Kommunikationstechniken war dieses Ziel sowohl für unsere industrielle Positionierung wie auch für unsere Stellung als weltweiter Dienstleistungsanbieter eine absolute Notwendigkeit.

3. Angebotsvielfalt und günstige Preise für die Verbraucher

Der Verbraucher sollte durch diesen neu geschaffenen Wettbewerb in die Lage versetzt werden, die vorerst nur im Ausland erhältliche Vielfalt und Auswahlmöglichkeit der Telekommunikationsprodukte und Dienstleistungen zu entsprechend niedrigeren Preisen so schnell wie möglich auch in Deutschland zu erhalten und zu nutzen.

 

III. Haben wir die Ziele erreicht?

Heute ist es unbestritten, dass die verschiedenen Maßnahmen der Postreform den
Menschen, den Unternehmen und den Verbrauchern ein Stück Freiheit gebracht haben, von denen man früher nur träumen konnte. Sowohl in der Industrie als auch auf dem Dienstleistungssektor ist eine Vielzahl von Produkten, Erfindungen, Dienstleistungen entstanden, welche der ganzen Gesellschaft ein neues Kommunikationszeitalter beschert hat. Damit verbunden ist die Gründung einer Vielzahl kleiner, mittlerer und großer Unternehmen, die auch eine unübersehbare Zahl neuer moderner Arbeitsplätze mit sich gebracht haben. Der Beitrag unserer Telekommunikationsentwicklung für das Wachstum unserer Volkswirtschaft ist gewaltig, sodass wir wirklich von einer einzigartigen Erfolgsstory sprechen können.

1.  Wettbewerb und Märkte

Das Monopol der deutschen Bundespost ist abgelöst worden durch eine größere Anzahl von Wettbewerbern, die sich, wenn auch schwer, so doch erfolgreich durchsetzen konnten. Wenn man ein 100jähriges Monopol wie die Deutsche Bundespost durch einen wettbewerblich organisierten Markt ersetzt, dann muss man es als einen Erfolg ansehen, wenn heute ca. die Hälfte des geradezu explosiv wachsenden Marktes dem neuen Bereich der Wettbewerber zuzuordnen ist. Der Wettbewerb über Kabelnetze kam allerdings aus erwähnten Gründen in Deutschland relativ spät in die Gänge. Der Marktanteil der privaten Kabelnetze lag daher zuletzt insgesamt nur bei gut 15%.

Wir sollten froh sein, dass der Wettbewerbsprozess in Gang gekommen ist.  Wenn wir klug agieren, wird er sich auch weiter fortsetzen und nicht mehr aufzuhalten sein. Aber das sollte nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden.

Hier ist nach wie vor die Regulierungsbehörde – heute Bundesnetzagentur – gefordert, um den Zugang zum Markt für jeden Teilnehmer offen zu halten und auch das Kartellamt, um wettbewerblich bedenkliche Allianzen zu verhindern.

2.  Aufbruch neuer Technologien und Innovationen

Nicht nur durch den Wettbewerb, sondern auch durch den Aufbruch in neue Technologiegebiete ist der enorme Schub in neue weltweite Märkte entstanden. Dies ist insbesondere geschehen durch  den technischen Fortschritt in der Mikroelektronik und durch den Einsatz von Glasfaser und optischen Systemen in den Netzen. Durch Digitalisierung und  Miniaturisierung sind enorme Preisreduzierungen der Komponenten entstanden, sodass auch viele, für den Normalbürger bis dahin unerschwingliche Endgeräte, zu billigen Gebrauchsartikeln geworden sind.

3.  Vorteile für die Verbraucher

Die Verbraucher haben durch diese Entwicklung einen Preissturz erlebt, der bei Reformen selten in dieser Größenordnung auftritt  und der auch durch die weitere Entwicklung sich nicht umgekehrt hat.

Enorme Preisreduzierungen gelten für das Festnetz – hier vor allen Dingen im Telefonbereich – nach wie vor der größte und wichtigste Bereich für den Verbraucher.

Im Inland gelten hier heute nur noch ca. 6% der Preise gegenüber der Monopolzeit der Deutschen Bundespost. Bei den Auslandsgesprächen sind die Tarife um 96% gefallen!

Er ist aber auch bei dem neuen Projekt Mobilfunk in seiner bisherigen kurzen Lebenszeit eine einzigartige Entwicklung in die gleiche Richtung festzustellen gewesen. Durch den Mobilfunk ist ein neuer Massenmarkt entstanden mit einer Tendenz zu immer niedrigeren Preisen. Zu dieser verbraucherfreundlichen Situation hat übrigens auch gerade die Regulierungsbehörde in entscheidendem Umfang beigetragen. Ich denke hier nicht nur an die Tarife für den Endverbraucher, sondern auch an die Festlegungen der Preise der Vorleistungsprodukte im Netz bzw. die Möglichkeit, die Tarife im In- und Ausland inklusive Roaming nach unten zu stabilisieren.

Die Erfolgsstory des GSM-Systems auf dem Gebiet des Mobiltelefons und der vielen heute üblichen zusätzlichen Dienste, die mit dem GSM-System verbunden sind, ist beispiellos für die gesamte europäische Industrie. Die technologische Führungsrolle, die Deutschland und Europa in den 15 bis 20 Jahren-  beginnend mit den 90er Jahren – erreicht hat, ist aufgrund verschiedenster Ereignisse um die Jahrhundertwende bei den Endgeräten wieder weitgehend eingebüßt worden.

So können wir mit Fug und Recht sagen, dass die damals ins Auge gefassten Hauptziele der Reformgesetzgebung für die Telekommunikation im Großen und Ganzen erreicht worden sind. In manchen Bereichen, wie wir festgestellt haben, sogar in einer einzigartigen Weise, wie man es nicht hätte voraussehen können. Dieses führte letztlich zu einem großen Aufschwung der gesamten Telekommunikationsbranche Europas, die Schaffung einer großen Zahl von Arbeitsplätzen und eine Belebung der Gesamtkonjunktur durch diese Sonderentwicklung der Telekommunikation, wie es das in der Geschichte der Post bis dahin noch nie gegeben hat.

 

IV. Was haben wir nicht vorhergesehen?

1. Entwicklung des Internet

Die mit dem Internet verbundene überragende Bedeutung der Datenkommunikation, die alle Dienste über ein Netz ermöglicht, ist nicht in dieser Form vorausgesehen worden. Diese Entwicklung betrifft heute sämtliche Erscheinungsformen der Kommunikation, seien es nun Bilder, Sprachen, Daten, Musik oder Television etc.

Die technologische Revolution des Internetprotokolls mit seiner Trennung von Transport und Anwendung hat im Übrigen im Internet auf elegante Weise die Trennung von Netz und Dienst Wirklichkeit werden lassen,  die wir damals bei unserer Postreform nicht zustande gebracht haben.

Damit hat sich meine Vision von der Informationsgesellschaft schneller verwirklicht, als ich gedacht habe. Jeder hat heute über das Internet sofortigen Zugang zu allen Informationen auf der ganzen Welt und kann in gleicher Weise seine Botschaft und seine Dienste weltweit mit geringen Marktzutrittsschranken anbieten.

Die Weiterentwicklung des sogenannten „Best Effort“- Internet ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Dies scheint angesichts der gegenwärtigen Diskussion keine Selbstverständlichkeit zu sein. Ich hoffe, dass sich die zukünftige Regierung entschlossen dafür einsetzen wird.

2. Riesiger Investitionsbedarf beim Aufbau der Breitband-Infrastruktur

Mit dieser Entwicklung konform geht ein riesiger Investitionsbedarf in Breitband – Hochgeschwindigkeitsnetze, und zwar vor allem im Endkundenbereich auf der letzten Meile. Es gibt in Deutschland heute nur in sehr geringer Zahl, nämlich in weniger als 1% der Haushalte, Glasfaseranschlüsse. Darauf hat auch der Münchner Kreis in seinem jüngsten Statement vom 8. November 2013 hingewiesen. Hier käme es beispielsweise darauf an, dass zumindestens in Neubaugebieten und „inhouse“ konsequent Leerrohre verlegt werden müssen.

Die Größen- und Dichtevorteile von Glasfasernetzen könnten zur Konsequenz haben, dass der Infrastrukturwettbewerb auf der letzten Meile als globales Wettbewerbsprinzip infrage steht.

3. Synergieeffekte

Wo Synergieeffekte durch weitere Netzinfrastrukturen bestehen, kann es in Ballungsräumen auch punktuell zu parallelen Hochgeschwindigkeitsnetzen kommen, etwa dort wo Kabelnetze oder Stadtnetzbetreiber aktiv sind.

Dieses ist durchaus erwünscht und vielleicht auch ein entsprechender Ansporn für weitere technologische Entwicklungen, kann aber, soweit heute absehbar, flächendeckend in Deutschland nicht erwartet werden.

 

V. Was folgt aus dieser Entwicklung für die Zukunft?

  1. Wenn es durch die Technologieentwicklung zunehmend nur ein Netz gibt, muss Wettbewerb durch Zugangsregulierung erhalten bleiben. Netzbetreiber, die marktbeherrschend sind, müssen den Netzzugang zu fairen Bedingungen für andere Wettbewerber ermöglichen. Dafür müssen die Regulierungsbehörden Europas weiterhin Sorge tragen und dafür muss ihre Rechtsgrundlage in vollem Umfang erhalten bleiben.
  2. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die nach wie vor bestehende Beteiligung des Bundes an der Telekom nicht eine Versuchung darstellt, eher fiskalische denn wettbewerbliche Ziele zu verfolgen. Hier wäre es schon lange angebracht, den Finanzminister einmal zu fragen, was er mit dieser Beteiligung eigentlich vorhat.
  3. Da in ländlichen Gebieten aufgrund der Besiedlungsstruktur ein Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen auch auf lange Sicht nicht rentabel möglich ist, müssen staatliche Beihilfen in stärkerem Maße eingesetzt werden und zwar auch auf Bundesebene. Diese sind eher als eine Grundversorgung über den Universaldienst geeignet, den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen überall im Land zu befördern. Die Erlöse aus den Mobilfunk-Frequenzversteigerungen würden hier eine sehr gute Verwendung finden. Natürlich muss einem solchen staatlich subventionierten Netzausbau die Verpflichtung gegenüberstehen, die Netze für Wettbewerber zu öffnen. Ich hoffe, dass in den jetzt stattfindenden Koalitionsverhandlungen hierfür eine vernünftige Lösung gefunden wird, die Deutschland nach vorne bringt!

Lassen Sie mich abschließend auf die aktuelle Diskussion der Vorschläge aus Brüssel kommen.

 

VI.  Vorsicht – die Gefahr nicht durchdachter Schnellschüsse wird größer: Die Reformvorschläge aus Brüssel

1.  Größe an sich ist kein Rezept für Zukunftsfähigkeit

Die ehemaligen Monopolunternehmen, auch die Deutsche Telekom, sowie verschiedene Finanzanalysten scheinen alles daran zu setzen, die Kommission in Brüssel davon zu überzeugen, dass die Investitionen in Hochgeschwindigkeitsnetze am besten durch eine kleine Gruppe von Großunternehmen bewerkstelligt werden.

Das widerspricht allerdings aller Erfahrung sowohl in der Telekommunikation wie auch in anderen Branchen. Die Glasfaserinvestition wurde bislang vor allem durch kleinere Wettbewerbsunternehmen getätigt. Dazu gehören in Deutschland auch gerade regionale Unternehmen, die Synergieeffekte nutzen können und einen längeren Investitionshorizont zu nutzen verstehen als rein börsenorientierte Großunternehmen.

Darüber hinaus sind Breitbandnetze im Anschlussbereich vor allem durch Dichtevorteile geprägt. Daher ist nicht erkennbar, worin diesbezüglich der Vorteil von internatonalen Netzgesellschaften liegen soll.

Im Gegenteil: Die Ausflüge der deutschen Telekom zum Beispiel in die USA haben Milliarden verschlungen, die dem deutschen Markt jetzt nicht mehr für Investitionen zur Verfügung stehen!

2. Regulierungsferien sind ebenfalls keine Lösung

Der unverhohlene Wunsch nach Abschaffung der Regulierung, wie ihn Herr Höttges von der Telekom jüngst in der „Wirtschaftwoche“ geäußert hat, trägt den Herausforderungen nach Zukunftsfähigkeit gerade NICHT Rechnung.

Wettbewerb  kann – wie vorher ausgeführt – nur durch Zugangsregulierung erhalten bleiben. Und Wettbewerb brauchen wir für unsere Innovationsfähigkeit!!

Will man im Ernst durch „Industriepolitik“ und Regulierungsferien die Marktbedingungen wieder rückwärts entwickeln, um dann am Ende  einige wenige Oligopole oder gar  private unregulierte Monopole zu schaffen?

Damit werden in Deutschland diejenigen Unternehmen an den Abgrund manövriert, die das größte Innovationspotential haben: mittlere und kleine Unternehmen oder auch neue Start-Ups.

Die viel wichtigere Bemühung auf unserer Seite muss es sein, attraktive Bedingungen für kleine, mittlere und besonders nischenbewusste, innovative Unternehmen zu schaffen, die dann plötzlich zu Produkten führen können, die auf dem Markt ein Massenprodukt werden.

Man sollte bedenken, dass die heute beneideten Internetgiganten aus den USA als innovative Garagenfirmen begonnen haben und nicht als nationale Champions. Wettbe-werbspolitik soll den Wettbewerb und nicht die Wettbewerber schützen!

Man kann nur hoffen, dass die Entscheidungsträger sich am Ende nicht auf solche, aus Sicht der Großunternehmen ja verständliche Lobbyaktivitäten einlassen und damit die Innovationsfähigkeit im Sektor der Telekommunikation eher erschweren als ihr nützen.

3. Zentralisierung in Brüssel

Auch die Vorstöße für eine Zentralregulierung in Brüssel, wie sie gerade von Brüssel aus und von Großunternehmen propagiert werden, scheinen mir brandgefährlich für den Wettbewerb und die Innovationskraft Europas.

Technologische Umbrüche ermöglichen riesige Chancen, können aber auch durch die Unerbittlichkeit globalen Wettbewerbs zum Ruin einzelner Unternehmen führen. Die Chancen sollten nichtsdestotrotz auch in Zukunft allen Marktteilnehmern offen stehen.

Es sind mit dem Ausbau der Netze unbestritten große Herausforderungen zu meistern. Aber chaotische Betriebsamkeit  ist fehl am Platze. Bevor unüberlegt Reformen auf den Weg gebracht werden, ist eine sorgfältige Analyse notwendig, die alle beteiligten Parteien einbezieht.

Dass hier ein Schnellschuss droht, der die Errungenschaften des derzeitigen EU-Rechtsrahmens im Hinblick auf Wettbewerb und Verbrauchernutzen unterminiert, hat auch die Gruppe der europäischen Regulierer in ihrer gemeinsamen Stellungnahme jüngstens festgestellt[1].

Subsidiarität darf in Europa nicht nur als Schlagwort für Sonntagsreden gebraucht werden, sondern muss bei konkreten Entwicklungen und Entscheidungen auch als Grundlage unserer europäischen Ambitionen beachtet werden.

Um nur einen Aspekt zu nennen: Das geeignete Vorleistungsprodukt darf nicht zentral durch Brüssel vorgegeben werden, sondern muss den nationalen Marktbedingungen entsprechen. Dies ist für alle Mitgliedsstaaten, aber gerade für Deutschland mit seiner gut entwickelten Vielfalt von Geschäftsmodellen wichtig.

So sehr es zu begrüßen ist, dass man sich in Brüssel Gedanken macht, wie man in Europa die Digitale Agenda voranbringt,  so gefährlich sind hier manche Vorschläge, die am Ende eine Rolle rückwärts für Europa bedeuten würden.

Die weitere Zentralisierung der Regulierung mag in einigen begründeten Fällen durchaus stichhaltig sein, um Rahmenbedingungen für die gesamte EU zu schaffen. Das Herüberziehen der Detailregulierung nach Brüssel, ohne dass die  Notwendigkeit einer zentralen Regulierung jeweils begründet wird, könnte einen Trend etablieren, der die Bürokratie stärkt, für die gesamte EU schiefe Ebenen schafft und zu falschen Weichenstellungen in der regionalen Entwicklung führen würde.

Europas Einzigartigkeit besteht gerade in seiner Vielfalt und dadurch auch in einer innovativen Kraft, diesem Kontinent und seiner Kultur beste Chancen zu eröffnen. Hier geht es nämlich auch um Märkte, die durch diese Vielfalt leben und entwickelt werden können. Die Vereinheitlichung, und das haben wir eigentlich in vielen Bereichen lernen müssen, führt eher zu Langsamkeit, zu Bürokratie und zu Fehlentwicklungen, die nachher mühsam wieder korrigiert werden müssen. Diese Vielfalt Europas muss daher unter allen Umständen erhalten bleiben!

Deswegen ist es besonders wichtig, durch nüchterne Analyse nicht zu Fehlschlüssen zu kommen. Reformen müssen sehr sorgfältig vorbereitet und nüchtern begründet werden, gerade wenn sie zu einem Paradigmenwechsel im staatlichen und legislativen Bereich führen. Oberflächliche Reflexe auf effektive Realitäten der Marktentwicklungen können sehr gefährlich werden und bisher erreichte Errungenschaften eher in Frage stellen als verbessern.

 

 

VII. Glückwunsch für die nächsten 15 Jahre!

 

Wir blicken heute auf Erfolge zurück, die wir in diesen letzten 30 Jahren erzielt haben, wobei 15 Jahre benötigt worden sind, um den Paradigmenwechsel herbeizuführen und die übrigen 15 Jahre, um die deutsche und europäische Position in die Höhe zu treiben. Wir dürfen jetzt keine Gegenbewegungen zulassen, die auf falschen Schlussfolgerungen und falschen Handlungsstrategien im Bereich der Regulierung bzw. im Bereich legislativer Änderungen basieren, und den Wettbewerb zurückführen. Dazu bedarf es nicht nur technischer Innovationen, sondern auch einer absoluten Klarheit in unseren Köpfen. Diesen Kurs zu halten, dafür war in den letzten Jahren VATM ein unersetzlicher Faktor in der politischen Auseinandersetzung. Unser aller Erfolg in dieser Zeit ist auch Ihr sichtbarer Erfolg in den vergangenen 15 Jahren. Dazu beglückwünsche ich Sie, und dafür haben wir allen Anlass, Ihnen aufrichtig Dank auszusprechen!

Ich wünsche Ihnen auch für die nächsten 15 Jahre viel Mut und Erfolg.

 


[1] “Berec is very concerned that the substantial achievements of the curent EU Framework in terms of both competition and consumer benefit across European markets, risk being undermined.”

3 Kommentare zu “„15 Jahre Liberalisierung“ – Rede von Bundesminister a.D. Dr. Christian Schwarz-Schilling

  1. Ein Kommentar aus der Sicht eines Studenten:
    Die PRivatisierung der Post führt bis heute dazu, dass auf die „Boten“ eine stetig steigende Mehrbelastung stemmen müssen und dass an allen Ecken Geld für Reperaturen etc. fehlt.
    Auf der anderen Seite steht jedoch, die sehr viel gesteigerte Effizienz des Postwesens, die zunehmende Motorisierung und die immer neuen Serviceangebote für die Kunden. Zudem können auch befristet Mitarbeiter eingestellt werden, z.B. Stunden in den Ferien.

    Von daher, ist die Privatisierung ein richtiger Schritt richtung Zukunft gewesen!

  2. Wenn Herr Schilling von Liberalisierung spricht und der Deutschen Postgewerkschaft vorwirft, sie hätte darauf nicht eingelassen, dann muss ich mich fragen, was er unter „Liberalisierung“ eigentlich versteht ? In Abschnitt V seiner Rede ist jedes zweite Wort irgendwie mir „Regulierung“ verbunden, unter Liberalisierung scheint er wohl etwas ganz anderes zu verstehen als so manch anderer, der sich ein wirklich freies Netz wünscht.

    1. Lieber Herr Klein, bitte genau überlegen. Die Regulierung ist bspw. notwendig, damit die Telekom ihre Netze für andere Anbieter öffnen muss. Gerade sind die Lobbyisten der Telekom dabei und werben für eine Regionalisierung der Regulierung, um partiell das alte Monopol wieder herzustellen. Regulierung bedeutet also nicht zwingend „Gängelung“, sondern ist oft Voraussetzung für einen offenen und fairen Wettbewerb.

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