Afghanistan III: „Afganistan braucht eine afghanische Lösung.“

Der deutsche Botschafter äußerte in seinem Lagevortrag die Einschätzung, dass Afghanistan auch nach einem Abzug der Streitkräfte weiter Hilfe brauchen werde. In den letzten 2 Jahren habe sich zudem ein dramatischer Wandel vollzogen. Damals sei die Region nachts in der Hand Aufständischer gewesen. Heute gehe die Region in die Transition – so der Fachbegriff für die vollständige Überführung in afghanische Verantwortung. Allerdings sei auch klar zu erkennen, dass der Zentralstaat nicht funktioniere. Beispielsweise würden Mittel für Provinzen aus Kabul nicht abgerufen, man in den Regionen schlicht nicht wisse, wo und wie ein Antrag zu stellen sei. 

Auch auf die aktuelle militärische Situation ging er ein. Dabei gelte es zur Kenntnis zu nehmen, dass 80 Prozent der zivilen Opfer durch die Taliban verursacht würden. Die Reaktionen der Bevölkerung seien übrigens sehr unterschiedlich bei solchen Verlusten. Während es bei durch Kampfhandlungen der ISAF-Truppen getöteten Zivilisten regelmäßig zu Protesten komme, gelte dies nicht, wenn diese Opfer durch die reguläre afghanische Armee verursacht würden. Generell sei die Zahl der zivilen Opfer deutlich gesunken. 

Derzeit sei erkennbar, dass der Wille zur Verhandlung sowohl bei den Aufständischen als auch bei den offiziellen Regierungsstellen gegeben sei. Allerdings bliebe unklar, mit welchem Ziel vor allem die Taliban in diese Verhandlungen gehen. Deren militärischer Arm habe empfindliche Niederlagen einstecken müssen. Es gebe erkennbare Probleme, die Kampfmoral aufrecht zu erhalten und derzeit seien die Aufständischen nicht mehr in der Lage, militärische Operationen durchzuführen. Dies habe zu einer erkennbar veränderten Taktik geführt. Mittels von Anschlägen versuchten die Taliban nun stärker mediale Aufmerksamkeit zu erzielen. Um nicht weiter in die Defensive zu geraten, müssten sie hier Erfolge vorweisen, was u.a. die deutlich steigende Zahl an Anschlägen erkläre.

Es folgte dann u.a. ein Gespräch mit dem britischen General Adrian Bradshaw. Er berichtete über die Entwicklung der Kämpfe und sprach vor allem über die südlichen Regionen Kandahar und Helmland, die einen Schwerpunkt der militärischen Aktionen bildeten.  Auch in den ehemaligen Hochburgen der Taliban gebe es keine offenen Gefechte mehr. Dort wo die Aufständischen offen auftreten würden, seien sie sofort geschlagen. Neue Kräfte auf Seiten der Taliban seien daher – so Bradshaw wörtlich – oft „canon fodder“. Inzwischen seien 75 Prozent des Landes unter der Kontrolle afghanischer Sicherheitskräfte und die Zuversicht steige, dass Afghanistan es selbst schaffen werde, eine staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten.

Dann folgte das Mittagessen.  Der Raum, zu dem wir geführt wurden, war auf weniger als 20 Grad heruntergekühlt. Ich möchte gar nicht wissen, welchen Energieverbrauch die Klimaanlagen haben – zumindest bei den Einrichtungen der US-Truppen. Nach dem Essen hatten wir die Gelegenheit uns mit deutschen Soldaten auszutauschen. Spannend fand ich die Erklärung eines Kameraden, der erklärte, dass er keine Sorge habe, sich zivil außerhalb des Lagers zu bewegen. Die Afghanen seien gastfreundlich. In seiner Rolle als Soldat der ISAF sei dies allerdings anders. Übrigens habe ich auch geschmunzelt, als ich auf die Frage wo ich denn herkomme geantwortet hatte. Nach meiner Antwort „Ich komme aus Gelnhausen.“ kam die fast übliche Replik: „Ach da kommt doch auch der Harald Schmid, dieser bekannte Hürdenläufer, her.“ Da hat  Gelnhausen einen wirklich bekannten Botschafter.

Die Afghanen haben es selbst in der Hand

 Während die Sicherheitslage mit einem positiven Ausblick beschrieben wurde, gab es an anderer Stelle auch sorgenvolle Stimmen: Massenarbeitslosigkeit droht, es fehlt die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum. Und alle Stimmen waren sich einig, dass Afghanistan auf dem Weg in die Zukunft 2014 eine funktionierende nationale Armee, in der Ethnien keine Rolle spielen, und verlässliche Wahlen braucht. Dabei war mehr oder weniger deutlich herauszuhören, dass hier nicht die ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen entscheidend sei, sondern die Akzeptanz des Ergebnisses durch den Wahlverlierer. Nach afghanischem Verständnis besteht offensichtlich nicht zwingend zwischen beiden Faktoren ein Zusammenhang – auch etwas, das wir nur bedingt verstehen können, aber akzeptieren müssen lernen sollten.

Entsprechend setzten alle Gesprächspartner – nicht nur der Außenminister – große Hoffnungen in die bevorstehenden Konferenzen in Chicago und Tokyo sowie in das Treffen Karzais mit Merkel, dass parallel zu unserer Reise in Deutschland stattfand. Im Zentrum stand dabei wiederholt der Wunsch, dass auch nach 2014 die NATO – und auch die Bundeswehr – die Ausbildung der afghanischen Armee (ANA) übernehmen solle. Auch bei der Aufklärung braucht die afghanische Armee weiter die Unterstützung der Koalitionstruppen. Die Luftaufklärung, das betonten alle Gesprächspartner, versetze die ANA in die Lage erfolgreich Operation gegen die Aufständischen durchzuführen.

Während die Ausbildung der Armee voranschreite (wenngleich sie wohl kaum unseren Ansprüchen genügt, aber es reicht wohl, um die Taliban zu schlagen), sei die Ausbildung der Polizei schwieriger. Der Focus habe bisher nicht auf den klassischen Aufgaben der Polizei wie wir sie kennen gelegen. Oft habe die Polizei auch gemeinsam mit der Armee Operationen durchgeführt. Auch hier sei jetzt eine Änderung notwendig, bzw. im Gange.

Sehr oft wiesen die Gesprächspartner auch dem Nachbarn Pakistan eine große Verantwortung zu. Immer wieder waren auch Vorwürfe zu hören. Pakistan hätte kein Interesse an einer stabilen Lage in Afghanistan, hieß es. Darum würden dort die Taliban mehr oder weniger offen geduldet und unterstützt. Die Hoffnung im Gespräch sowohl mit dem Außenminister als auch mit dem Sicherheitsberater ruhten zudem darauf, durch die Erschließung von Bodenschätzen der afghanischen Wirtschaft zu helfen. 

Der Empfang in der Deutschen Botschaft war ebenfalls interessant. Die Botschaft ist ebenfalls von hohen und dicken Mauern umgeben. Neben unserer Delegation waren auch einige in Kabul lebende Deutsche eingeladen. Wie widersprüchlich vieles in diesem Land ist, zeigt vielleicht ein Gespräch, dass ich mit einer Lehrerin führen konnte, die derzeit an einer Schule in Kabul Deutsch unterrichtet. Ich habe sie natürlich gefragt, wie sie auf die Idee kam, nach Afghanistan zu gehen. Sie sagte dann wörtlich: „Ich wollte einmal wieder Goethe und Schiller unterrichten.“ Auf meine Nachfrage, wo sie denn vorher war, antwortete sie: „An einer Schule in Neukölln.“ Dort sei sie nicht Lehrerin, sondern eher Sozialarbeiterin gewesen. Die afghanischen Schülerinnen und Schüler seien so wissbegierig, dass der Schulalltag auch unter diesem Gesichtspunkt nicht vergleichbar mit Deutschland sei. Es bereite ihr große Freude, dort zu unterrichten, wenngleich gerade die Frage der Bildung junger Mädchen ein schwieriges Thema sei, denn es sei eben nicht selbstverständlich, dass diese die Schule besuchten und arrangierten Ehen – oft in jungen Jahren – seien an der Tagesordnung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert