Das Parlament funktioniert und es braucht keine geänderte Geschäftsordnung
Eine Schlagzeile sorgte in den letzten Tagen für Wirbel, die ich ebenfalls mit Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen habe. Angeblich haben sich die Fraktionsspitzen von FDP, SPD und CDU/CSU darauf verständigt, die Redezeit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in der Geschäftsordnung neu festzusetzen. Mehrere Medien haben darüber berichtet.
Bis jetzt bin ich als Abgeordneter von der Fraktion nicht über solche Pläne informiert worden. Ich kann also den Wahrheitsgehalt nicht beurteilen, kenne die Details einer möglichen Neuregelung nicht und verlasse mich auf die Informationen aus der Presse. Vorweg muss ich sagen, dass ein Teil der Aufregung unbegründet ist. Schon heute legen die jeweiligen Arbeitsgruppen bzw. die Fraktion fest, welche Abgeordneten zu welchem Thema sprechen. Ich habe selten erlebt, dass es darüber intern Diskussionsbedarf gab. Meist sprechen die Kolleginnen und Kollegen im Plenum, die fachlich zu ständig sind. Ich habe bei meinen inzwischen 20 Reden nie Vorgaben bezüglich des Inhalts durch die Fraktion gemacht bekommen. So habe ich meist die gemeinsame inhaltliche Linie der Fraktion vertreten, aber durchaus auch die Möglichkeit genutzt, eine abweichende Meinung darzulegen.
Der Presse war zu entnehmen, dass die Sorge besteht, dass parlamentarische Debatten nicht mehr handhabbar sind, wenn jeder Abgeordnete ungeachtet der den jeweiligen Fraktionen zugeteilten Redezeit spricht. In der Tat stelle ich es mir angesichts meiner zweijährigen Erfahrung im Deutschen Bundestag allein organisatorisch sehr schwierig vor, wenn jeder Abgeordnete zusätzlich zu seiner Fraktion sprechen wollte.
Aber ist das wirklich ein realistisches Problem? Die Wahrheit ist doch, dass alle Abgeordneten nach meiner Einschätzung mit der ja bereits bestehenden Möglichkeit, eine von der eigenen Fraktion abweichende Protokollerklärung mündlich und nicht nur schriftlich abzugeben, sehr zurückhaltend umgehen. Erstens wissen sie um die meist eher geringe mediale Aufmerksamkeit und zweitens gibt es ja eine Fülle von anderen Möglichkeiten, die eigene Position zu dokumentieren. Ich nutze dafür ja auch nicht nur das Parlament als „Herzkammer der Demokratie“, sondern beispielsweise diesen Blog. Die Wahrheit ist doch leider, dass Kritik an der eigenen Fraktion in die Kamera der ARD gesprochen dem Bild der Geschlossenheit mehr schadet als eine abweichende Rede im Parlament. Ich bedauere diesen Zustand als leidenschaftlicher Parlamentarier, aber es ist nunmal so: die Medien filtern politische Debatten und sie beziehen ihre O-Töne eben nicht nur aus den Plenardebatten.
Trotzdem möchte ich natürlich nicht auf meine Rechte als Parlamentarier verzichten. Die Geschäftsordnung in der gegenwärtigen Form sichert diese Rechte. Warum eine Änderung notwendig sein sollte, ist mir bis dato noch nicht plausibel dargelegt worden.
Ich möchte daher auch an dieser Stelle keine verfassungsrechtliche Exegese folgen lassen, auch wenn ich mir nur schwer vorstellen kann, dass eine Regelung, wie sie jetzt in den Medien kursiert, vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde. Ich möchte hier allerdings sehr klar zum Ausdruck bringen, dass ich der kolportierten Regelung im Deutschen Bundestag nicht zustimmen würde. Dies hat einerseits mit grundsätzlichen Erwägungen zu tun. Meine ablehnende Haltung gegenüber einem solchen Vorschlag resultiert aber auch aus meiner Einschätzung, die Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert wie folgt umschrieben hat: eine solche Regelung hält er nämlich „weder für notwendig noch für angemessen“. Auch diese Position teile ich.
Außerdem empfinde ich es als einen Ausdruck des Misstrauens der eigenen Fraktionsführung mir gegenüber, wenn man mir schon im Vornherein die Möglichkeit nehmen will, eine eigene inhaltliche Position als frei und direkt gewählter Abgeordneter im Parlament darzulegen. Wenn das der wahre Grund für die „Pläne“ sein sollte, dann kann man nur auf eine rechtzeitige Einsicht seitens der Fraktionsspitze hoffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Fraktion einem solchen Vorschlag folgen wird. Zumindest ich werde es nicht tun.
„Wenn alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, dann bricht das System zusammen“, so laut Spiegel Volker Kauder nach der Abstimmung zum Euro-Rettungsschrim.
Diese Gleichung verkennt, dass das Repräsentationssystem sich schon in Auflösung befindet, weil viele Menschen unter anderem die Gesichtslosigkeit der Politik nicht mehr ertragen und lieber einer Partei folgen, die ihre Positionslosigkeit als Schwarmintelligenz verkauft.
Ich stimme Heribert Prantl zu, der angesichts der wohl geplanten Neuregelung vor der Beschneidung der Ausnahmeregelungen bei den Redezeiten warnt: „Das zerbricht den Kern eines Mandats; das macht aus dem Abgeordneten einen bloßen Funktionsträger. Das verwandelt die Geschäftsordnung in eine Machtverteilungsordnung der Fraktionen.“
Es gehe bei der Geschäftsordnung nicht um die Organisation der Macht der Parteien, sondern um die Organisation des parlamentarischen Betriebs. Eine Betriebes, mit dem sich im Idealfall die Entsender der Volksvertreter identifizieren.
Wer die Kritiker in den eigenen Reihen in den Schatten stellt, verdammt auch jeden Apologeten in die Dunkelheit. Sollte also an den Plänen irgendetwas dran sein, wäre das nur ein weiterer Beleg für den Fähigkeitsverlust der Berufspolitik, ihr eigenes Treiben von außen zu betrachten.
Das unsere parlamentarische Demokratie funktioniert zeigt doch aber gerade die aktuelle Debatte. Nach dem Widerspruch aus den Reihen der Abgeordneten mussten die Fraktionführungen ihren Plan aufgeben. So meldet es heute auch „Die Welt“. Ich finde das sehr gut so.
Ja, ich habe das gestern auch erleichtert in den Tagesthemen zur Kenntnis genommen. Den Kommentar von U. Deppendorf fand ich sehr treffend. Bleibt für mich nur die Frage, ob die Pläne zur Neuregelung der Redezeiten nur aufgeschoben oder tatsächlich aufgehoben sind.