Die digitale Gesellschaft – Barrierefreiheit?
Das Internet eröffnet Teilhabechancen und prägt unsere Lebensqualität in immer größerem Maße. In der Debatte fallen oftmals Begriffe wie Partizipation, Datenschutz oder Breitbandversorgung. Neben diesen Problemen, die zweifelsfrei ihren berechtigten Platz in der Entwicklung einer digitalen Gesellschaft einnehmen, ist ein Aspekt bisher so gut wie gar nicht in Erscheinung getreten: die „digitale“ Barrierefreiheit.
Gerade für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt oder die in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt sind z.B. sehbehinderte, blinde, hör- und lernbehinderte Menschen, können Internetangebote einen großen Nutzen haben, da sie den Zugang zu Informationen und Dienstleistungen sowie die Pflege sozialer Kontakte erleichtern bzw. erst ermöglichen und damit auch zu mehr Selbstständigkeit verhelfen. In der Praxis wird diese Zielgruppe aber häufig nicht ausreichend berücksichtigt. So können blinde Menschen, z.B. eine grafische Navigation nicht nutzen und das Fehlen von Alternativtexten bei Grafik- und Formularelementen erschwert ihnen die Nutzung. Sehbehinderte Menschen haben Schwierigkeiten mit kleiner Schrift, undeutlicher Farbwahl und mangelnden Kontrasten. Und Menschen mit kognitiven Einschränkungen (z.B. einer Lernbehinderung) sind von komplex aufgebauten Internet-Angeboten oft überfordert. Für die öffentliche Bundesverwaltung gibt es bereits Rechtsvorschriften, nach denen Online-Angebote der öffentlichen Verwaltung zwingend barrierefrei zugänglich und anwenderfreundlich ausgestaltet sein müssen. Ihre Umsetzung ist in vielen Bereichen aber noch nicht zufriedenstellend.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe diese aber auch privatwirtschaftliche und nichtkommerzielle Angebote entsprechend umzustellen.
Hierzu existiert in der konkreten Umsetzung beispielwiese „die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung“ (BITV). Sie konkretisiert das Behindertengleichstellungsgesetz und verpflichtet Webangebote des Bundes auf Barrierefreiheit. Webangebote von Einrichtungen, die im Bundesauftrag öffentliche Aufgaben wahrnehmen, sollen für behinderte Benutzer zugänglich sein. Solche Einrichtungen sind zum Beispiel Bundesämter, überregionale gesetzliche Krankenkassen oder Stiftungen. Die Vorschriften der BITV sollen die universelle Zugänglichkeit von Webangeboten sicherstellen. Auch blinde, sehbehinderte, motorisch behinderte und lernbehinderte Benutzer sollen Zugang haben. In den Ländern existieren vergleichbare gesetzliche Regelungen in Landesgleichstellungsgesetzen. Das Zugänglichkeit und Barrierefreiheit notwendige Voraussetzungen für die Realisierung umfassender Teilhabe sind, spiegelt sich auch in der UN-Behindertenrechtskonvention wider, die Deutschland 2009 ratifiziert hat. Die Konvention fordert nicht nur Zugänglichkeit und Barrierefreiheit im öffentlichen Raum (z.B. bei Gebäuden, Straßen, Transportmitteln, Einrichtungen, Schulen, Arbeitsstätten), sondern sie verlangt für Menschen mit Behinderungen explizit einen gleichberechtigten Zugang zu Informations- und Kommunikationsangeboten und Diensten. Zur Umsetzung der Konvention hat die Bundesregierung im Juni 2011 einen Nationalen Aktionsplan sukzessive mit einem umfassenden Maßnahmenpaket verabschiedet, der in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll. Manchen geht das nicht schnell genug. Ich finde es erst einmal eine Leistung, dass die christlich-liberale Koalition damit begonnen hat!
Eine Reihe von Maßnahmen betreffen die Bereiche Information und Kommunikation und E-Government. So fördert das BMAS beispielsweise die Entwicklung eines Webguides für die Verwaltung, der die praktische Umsetzung der neuen BITV 2.0 erleichtern soll. Eine Studie soll Aufschluss zur Eignung bestehender E-Partizipationsangebote für Menschen mit Behinderungen geben und Empfehlungen formulieren, was zukünftig besser gemacht werden kann.
Darüber hinaus setzt die Bundesregierung beim Thema Barrierefreiheit gezielt auf den Dialog, um das Bewusstsein für die Belange behinderter Menschen bei den Akteuren in den verschiedenen Bereichen zu stärken. Mangelnde Barrierefreiheit und Nutzerfreundlichkeit werden als Problem umso dringender, je mehr Online-Angebote den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung gestellt werden und in Entscheidungsprozesse von Politik und Verwaltung einfließen. Wer sich an diesen Angeboten nicht beteiligen kann, hat schlechte Chancen seine Interessen einzubringen. Bereits heute gibt es eine Vielzahl von elektronischen Konsultations- und Petitionsangeboten die zum Mitmachen einladen, aber eben noch nicht barrierefrei und auch nicht immer nutzerfreundlich sind. Das betrifft eine Konsultation zu einem 70-seitigen PDF-Dokument, das zu studieren im Grunde keinem Bürger zuzumuten ist, genauso wie die Verwendung von Formularen, die nicht barrierefrei sind.
Unter Berücksichtigung der politischen Zielsetzung, das deutsche E-Government bis 2015 auf einen europäischen Spitzenplatz zu führen und dem Bekenntnis, Internettechnologien verstärkt zur Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsfindungen zu nutzen, ist mit einer weiteren Zunahme entsprechender Online-Angebote zu rechnen. Hinzu kommt, dass Online-Angebote von der Politik oftmals schlichtweg als imagefördernd im Sinne von „Bürgernähe“ angesehen werden und daher oftmals Mittel der Wahl sind. Eine solche Entwicklung, die zu begrüßen ist, weil sie zusätzliche Zugangswege für eine breitere Bürgerbeteiligung schafft, birgt aber auch die Gefahr, dass einzelne Gruppen ausgeschlossen werden, wenn die notwendigen technischen und inhaltlichen Voraussetzungen an die Zugänglichkeit von Online-Angeboten nicht erfüllt werden. Damit wird Barrierefreiheit gleichzeitig zu einem Erfolgsfaktor und einem Maßstab für die Qualität solcher Angebote. Ein „gutes“ Online-Angebote muss daher von der Konzeption über die Entwicklung, das Webdesign und die Implementierung das Kriterium der Barrierefreiheit und Nutzerfreundlichkeit in jeder Stufe der Umsetzung mitdenken. Das bedeutet aber auch, dass bei allen Beteiligten von der Verwaltung, die ein Vorhaben initiiert, bis zur Agentur, die es umsetzt, ein Bewusstsein für die Bedeutung von Barrierefreiheit und die Möglichkeiten ihrer Umsetzung vorhanden sein muss. Ich habe die Themen Barrierefreiheit sowie bürgerschaftliches Engagement in die laufende Arbeit der Projektgruppe Demokratie und Staat der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft eingebracht, denn wie gesagt denke ich, dass diese Themen bisher zu wenig Aufmerksamkeit in der Entwicklung zu einer digitalen Gesellschaft erhalten haben. Meine Beiträge hierzu stehen in einer der nächsten Sitzungen zur Diskussion und anschließend im Abschlussbericht.