„Zur Sicherung des Rechts und des Anstands gehört die anständige Behandlung aller Menschen“
Heute jährt sich zum 74. Mal das Attentat von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler. Den 20. Juli erinnern wir heute als einen der großen Freiheitstage in der deutschen Geschichte.
Dabei gedenken wir der Männer und Frauen, die im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime ihr Leben einsetzten. Sie sind uns heute Helden und Vorbilder und stifteten mit ihrer Tapferkeit, ihrem Mut und ihrer Treue Tradition für unsere Streitkräfte und darüber hinaus. Ganz besonders gilt dies für denjenigen, der das Attentat auf Hitler nicht nur plante, sondern auch zur Tat schritt: Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Das Attentat erreichte nicht sein Ziel: den Tod des Tyrannen. Noch gelang die Selbstbefreiung der Deutschen von der nationalsozialistischen Diktatur. Und trotzdem gilt es zu Recht als „Aufstand des Gewissens“.
Die militärische Lage Deutschlands war zum Zeitpunkt des Attentats und des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 bereits hoffnungslos. Diese Hoffnungslosigkeit drückte Generalmajor Henning von Tresckow, einer der Mitverschwörer, so aus: „Das Attentat auf Hitler muss erfolgen, um jeden Preis. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem der Staatsstreich versucht werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“
Die Worte von Tresckows lassen in den Hintergrund treten, dass es an diesem Tag aber um mehr ging als um die Ehrenrettung Deutschlands. Das Ziel war nicht weniger als „Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts“, wie es der Entwurf der Regierungserklärung der Verschwörer verhieß. Die Widerstandskämpfer hatten eine klare Vorstellung davon, wie sie Deutschland im Falle des Erfolgs politisch neu aufbauen wollten. Das Recht sollte wieder herrschen, das 1933 mit der Machtübernahme Hitlers beseitigt worden war. Und es sollte seine Frieden stiftende Wirkung entfalten.
Der 20. Juli und Stauffenberg führen uns als Stern in dunkler Zeit vor Augen, dass der Nationalsozialismus nicht nur die größte Bürde unserer Geschichte ist, sondern machen uns deutlich, dass Geschichte nicht linear verläuft und dass es immer wieder Männer und Frauen der Tat braucht, um richtig zu handeln.
Vor dem 30. Januar 1933 war die Geschichte der Deutschen eine stete Entwicklung zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Freiheit gewesen. Man kann das an Jahreszahlen festmachen und ich will uns nur einige in Erinnerung rufen, die auch heute traditionsstiftend für die Bundeswehr sind: 1813 Freiheitskriege und das Eiserne Kreuz, 1848/49 Revolution und Paulskirchenverfassung, 1919 Gründung der Weimarer Republik und natürlich der Verfassungstag unseres Grundgesetzes, der 23. Mai 1949, der sich im kommenden Jahr zum 70. Mal jähren wird. Es sind Momente der Freiheit, die in einer Linie stehen und die ihren Höhepunkt in der Freiheitsbewegung und dem Fall der Mauer 1989 und der Einheit der Nation 1990 fanden.
Doch der 20. Juli 1944 ist auch ein sperriges Datum. Das hat wenig mit der Tatsache zu tun, dass das Attentat scheiterte. Fakt ist: Viele tun sich heute schwer, Taten gut zu heißen, die mit Gewalt herbeigeführt worden sind, auch wenn sie wie ein Tyrannenmord einen guten Sinn haben. Dabei ist manchen Angehörigen meiner Generation, die das Glück haben, in einer freiheitlichen Demokratie und in Frieden aufgewachsen zu sein, nicht so recht bewusst, dass Freiheit unter Umständen nicht nur mit Worten verteidigt werden muss.
Sperrig ist das Datum auch, weil es uns teilweise sehr schwerfällt, sich in die Gedankenwelt der Verschwörer hineinzuversetzen. Die Verschwörer des 20. Juli kämpften für die Wiederherstellung des Rechts, aber sie hatten doch bisweilen Vorstellungen einer künftigen staatlichen Ordnung Deutschlands, die weit weg sind von der verfassungsgemäßen Ordnung des Grundgesetzes. Sie leitete ein Ehrbegriff, der heute manchem Zeitgenossen fremd ist – leider kann man hinzufügen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Attentat dem Grundgesetz den Weg ebnete. Auch deshalb gehört der 20. Juli 1944 zum festen Bestand der deutschen Erinnerungskultur.
Für die Bundeswehr ist er zudem von herausragender Bedeutung: Der neue Traditionserlass spricht ausdrücklich den 20. Juli 1944 als Kernbestand unseres Traditionsverständnisses an. Und er geht noch weiter. Der neue Erlass erlaubt zu fragen, wo die Traditionslinien eigentlich herkommen, auf die sich Stauffenberg und die Verschwörer berufen? Es sind die preußische Tradition und Werte, die von den Nazis missbraucht worden waren, die in der Tat und dem Denken der Männer des 20. Juli lebendig sind. Die Treue zu einer Überzeugung, auch wenn sie mit Risiken behaftet ist, die Freiheit, die nicht nur zur Verantwortung befähigt, sondern sie sogar einfordert. Diese von Stauffenberg und den Männern des 20. Juli wenn man so will rehabilitierten Werte finden sich bis heute wieder in der ethischen Verantwortung des Offiziers, wie sie sich im Staatsbürger in Uniform und dem Prinzip der Inneren Führung manifestieren.
Der neue Traditionserlass weitet also den Blick auf die gesamte deutsche Militärgeschichte und die Zeit weit vor den dunklen Jahren des Nationalsozialismus.
Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass militärisches Handeln nicht für sich steht, sondern immer wertegebunden ist – ob man will oder nicht.
Damit sind wir bei der entscheidenden Frage: Was sagt uns der 20. Juli heute, wenn wir nicht nur ein historisches Ereignis erinnern wollen? Das Militär war wesentliches Herrschaftsinstrument zweier Diktaturen in Deutschland im 20. Jahrhundert und deshalb kann für einen loyal der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland dienenden Soldaten die Armeen dieser Zeit nicht traditionsbildend sein. Es ist aber der Mühe wert, in dieser Zeit und erst recht in den Zeiten davor nach Vorbildern zu suchen, die ähnlich gehandelt haben, wie die Männer des 20. Juli oder die durch ihre Taten für uns heute Tradition stiftend sein können.
Militärisches Vorbild kann heute nur sein, wer und was dem vom Gewissen und Werten des Grundgesetzes geleiteten Gehorsam entspricht. Nur diese Art des militärischen Gehorsams gehört zum ethischen Fundament unserer Streitkräfte.
Es gibt Stimmen – auch in der Bundeswehr – die sehen den Soldaten lediglich als „Fachmann“. Das entspricht einem Trend unserer Zeit, einer voranschreitenden Spezialisierung der Arbeitswelt.
Sicherlich, der Soldat lernt sein Handwerk, aber wir verlangen auch aufgrund des 20. Juli mehr von ihm. Soldaten sind nicht nur „Fachleute“. Sie sind politisch – nicht im Sinne einer Parteipolitik, aber im Sinne, dass man von ihnen fordern kann und muss, dass sie in ihrem Tun als Staatsbürger in Uniform, als Bürger für die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik eintreten. Sie tragen vor allem als Offiziere eine ethische Verantwortung.
In der letzten Zeit gibt es vor allem in den sozialen Netzwerken den Versuch von Seiten der Rechtspopulisten, den Widerstand gegen Hitler umzudeuten, in einen allgemeinen Widerstand gegen Herrschaft. Natürlich muss man der damit einhergehenden Relativierung der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialusmus entgegentreten. Dieser Versuch ist aber auch deshalb interessant, weil die Männer des 20. Juli früher für Rechtsextreme schlicht Verräter waren. Aufgrund ihrer Popularität und der unbestrittenen Größe ihrer Tat versuchen sich heute Rechtsextreme und auch Politiker der AfD zur Legitimierung ihrer eigenen politischen Ziele auf Sophie Scholl und die Helden des 20. Juli zu beziehen. Das ist ahistorisch und beschämend. Wer zum Widerstand gegen die heutige politische Ordnung aufruft oder sie in Frage stellt, der kann sich gerade nicht auf die Verschwörer berufen. Deutlich wird das vor allem durch einen Satz in der von Stauffenberg mit entwickelten Regierungserklärung. Dieser lautet: „Zur Sicherung des Rechts und des Anstands gehört die anständige Behandlung aller Menschen.“
Man muss nicht nur soziale Netzwerke bemühen, sondern es reichen die Protokolle des Bundestages, um nachzulesen, dass dort jetzt eine Partei sitzt, die Menschen wieder in Gut und Böse einteilt: Deutsche und Fremde, Gesunde und Behinderte oder auch Christen und Muslime. Freilich sind sie unterschiedlich, aber man darf ihnen eben nicht einen unterschiedlichen Wert beimessen und ihnen unterschiedliche Rechte zubilligen will. Das führt nicht zur Herrschaft des Rechts, die Stauffenberg und die Männer des 20. Juli wiederherstellen wollten, sondern zum Gegenteil.
Der 20. Juli selbst ist und bleibt ein zentraler Bezugspunkt der Traditionspflege der Bundeswehr. Man darf dabei eins nicht übersehen: Sich auf den 20 Juli zu beziehen verlangt viel. Das geht weiter über die Frage hinaus, ab wann man einem Befehl nicht mehr befolgen darf.
Was uns heute aber so klar scheint, war für Stauffenberg eine der entscheidenden Herausforderungen. Er wusste um den Bruch des Rechts, doch er rang nicht nur mit der Frage der Legitimität der Tat! Schließlich hatten er und andere diesem Deutschland in Gestalt „des Führers“ unbedingten Gehorsam geschworen. Sie waren damit quasi Gefangene geworden. Die „verdammte Pflicht“ als feststehender Ausdruck soldatischen Sprachgebrauchs in dieser dunklen Zeit zeugt davon. Und wir erkennen einmal mehr: Hitlers Diktatur, überhaupt die nationalsozialistische Ideologie, bedeuteten Tod – nicht für die Opfer des Regimes allein. Deren Leiden hätte mit einem geglückten Attentat am 20. Juli 1944 ein Ende bereitet werden können. Im Jahr nach dem Attentat starben jedoch noch einmal so viele Menschen wie in den fünf Kriegsjahren zuvor.
Der „Aufstand des Gewissens“ war Ausdruck des Selbstbehauptungsanspruchs der deutschen Nation. Stauffenberg und die Mitverschwörer setzten ihr Leben genau aus diesem Grund ein. Und das war eben weit mehr als soldatische Pflichterfüllung im Kampf. Es war das Selbstverständnis von Offizieren, die auch Staatsbürger waren. Er selbst hat den Anspruch formuliert, dass der Soldatenberuf kein „nine to five Job“ ist und sich die Herausforderung dieses Berufs auch nicht mit der europäischen Arbeitszeitverordnung beschreiben lässt.
Stauffenberg umreisst sein Berufsverständnis in einem Brief an einen Kameraden folgendermaßen: Ihn erfülle „die brennende Sorge und Liebe zur Sache“. (…) „Nur der“ könne „sein Vaterland, nur der seine Armee liebe[n], der sich selbst mit seinem ganzen Dasein mit verantwortlich fühlt, der auch sein privates Leben, seine Familie, Kinder mit in diese Verantwortung einbezieht.“
General Dietrich von Choltitz, der Retter von Paris, kannte Stauffenberg, wusste um seinen fordernden Charakter und auch wie andere ihn bewunderten. Er sagte über Stauffenberg: „Der Stauffenberg war das Ideal der kommenden deutschen Jugend. Gescheit, ganz einfach, ein reizendes Familienleben, ein braver, christlicher, ehrlicher, tapferer Mann. Das war der Typ des deutschen jungen Menschen, der …[in] die Führung kommen muss.“ Legt man den eigenen Anspruch Stauffenbergs und seine Beschreibung durch Choltitz zugrunde, dann verlangen wir viel von unseren jungen Offizieren, wenn wir ihnen Stauffenberg als Vorbild voranstellen.
Für mich ist klar: Stauffenberg war ein Held. Helden sind Menschen, die über sich hinauswachsen. Sie sind aber keine Heiligen. Helden handeln sicherlich nicht immer richtig. Und sie müssen auch kein tadelloses Leben geführt haben. Sie werden zu Helden durch ihre außergewöhnlichen Taten und damit zu Vorbildern. Für Stauffenberg war es ein langer Weg voller Zweifel bis zur Tat – von der Befürwortung Hitlers bei dessen Machtübernahme bis hin zur Entscheidung, ihn selber zu töten. Aber er ist den Weg bis zum Ende gegangen. Die Kraft, die Fähigkeit, sich selbst infrage zu stellen und dann die Konsequenzen zu ziehen, Verantwortung zu übernehmen, zu handeln wissend um die negativen Folgen: das ist es, was uns an ihm so fasziniert.
Wie gesagt: Wir verlangen viel von unseren jungen Offizieren und Soldaten, wenn wir ihnen Stauffenberg als Vorbild „hinstellen“. Wir müssen uns deshalb die Frage stellen, ob wir ihnen alles geben, was sie brauchen, um ihm nacheifern zu können. Die Wahrheit ist: Gesellschaft und Politik haben da Nachholbedarf, wenn man auf die letzten 20 Jahre schaut. Die erfolgreiche Umsetzung der Trendwenden Material und die Bereitstellung der notwendigen Haushaltsmittel werden ein Lackmustest. Und dazu tritt das innere Rüstzeug, dass wir mit der Inneren Führung und der Tradition den Soldaten an die Hand geben.
Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin, einer der Väter der inneren Führung, hat abgeleitet u.a. aus dem Vorbild Stauffenbergs formuliert, was heute von einem Soldaten der Bundeswehr erwartet wird: „Der Soldat und insbesondere der Offizier wird nur dann innerhalb und außerhalb der Bundeswehr die notwendige Autorität erlangen, wenn er auch dann zur Wahrheit steht, wenn sie etwas kostet.“
Und genau dies ist es, was uns allen, die wir das Glück haben, in Frieden und Freiheit aufzuwachsen, an diesem Tag zu denken geben sollte.
Unsere Zeit ist reich an Menschen, die sagen „man müsste mal“ oder „die da oben“. Wenn wir dieses Land noch besser machen wollen als es schon ist – und es ist auch Dank der Männer des 20. Juli trotz ihres Misserfolgs das beste Deutschland das es je gab –, dann braucht es Mut und Verantwortung und die Frage nach dem eigenen Handeln. In unserem Rechtsstaat, in einem Deutschland, dass „Einigkeit und Recht und Freiheit“ in einem geeinten Europa dient, sollte es doch viel leichter sein, den Grundüberzeugungen und dem Verantwortungsethos eines Stauffenbergs nacheifern zu können, möchte man meinen.
Deshalb braucht es heute mehr Menschen in unserem Land, die sagen: „Ich mache.“ oder noch besser: „Ich diene.“ Auch deswegen sind viele Soldaten, die ich in der Bundewehr kennenlerne, vorbildlich. Sie haben bewusst oder unbewusst verstanden, was Stauffenberg uns aufträgt. Eine Bundeswehr, die sich darauf besinnt, ist Schule der Nation. Und so verneige ich mich – mit und für die Bundeswehr – gerade an diesem Tag vor Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg und den Männern und Frauen des 20. Juli.
Eine der für mich aufrichtigsten und bedeutendsten Reden, die ich bis heute hören durfte. Ich danke Ihnen hiermit nochmal für Ihre Worte zum Gedenken an den Widerstand vom 20.7.1944.
Mit kameradschaftlich Gruss
M.Wafa
Stabsfeldwebel und KpFw