Asylrecht keine Grundlage für Einwanderung
„Die Verquickung des Asylrechts mit Fragen der Ein- und Auswanderung hat fatale Folgen“, stellte Hans Magnus Enzensberger in seiner Schrift „Die Große Wanderung“ bereits Mitte der neunziger Jahre fest. Der Satz ist gültiger denn je, denn leider tun seit gut einem halben Jahr viele genau das: Sie sprechen von „ungesteuerter Zuwanderung“, wenn es eigentlich darum geht, wie Deutschland seinem im Grundgesetz selbst gesetzten Anspruch gerecht werden kann, Menschen in Not für eine gewisse Zeit Obdach zu gewähren und zu helfen.
Wenn wir über mögliche Fehler der Politik im vergangenen halben Jahr sprechen, dann gehört dazu nicht das Setzen auf eine europäische Lösung, wohl aber die durch die gewählte Sprache noch verstärkte Verunsicherung der Bevölkerung. Man muss die Dinge beim Namen nennen. Aber genau das haben viele nicht getan, wenn sie bewusst oder unbewusst den Eindruck erweckten, alle Flüchtlinge würden es darauf anlegen, auf Dauer in Deutschland zu bleiben, oder es sei gar das Ziel der Politik, allen Flüchtlingen dauerhaft eine Heimat zu geben. Beides war und ist falsch.
Schaffen wir es, die gemachten Fehler zu vermeiden, wenn wir jetzt über Integration reden? Da müssen wir beide Gruppen im Blick haben: diejenigen, die nur vorübergehend in Deutschland bleiben, aber in dieser Zeit trotzdem unsere Sprache lernen und möglichst für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen sollten, und eben diejenigen, die hier am Ende eine neue Heimat finden. Sie sind aber damit noch lange nicht mit denjenigen gleichzusetzen, die wir im eigentlichen Sinne als Einwanderer bezeichnen. Wer einwandert, der lernt unsere Sprache schon vorher, der hat hier schon einen Arbeitsplatz, bevor er deutschen Boden betritt. All diese Voraussetzungen sind bei Flüchtlingen in der Regel nicht gegeben, und deswegen bedarf es bei ihrer Integration größerer Anstrengungen. Umso wichtiger ist es daher im Umkehrschluss, zwischen gesteuerter Einwanderung auf der einen und dem Aufenthalt in der Republik als Flüchtling oder anerkannter Asylbewerber auf der anderen Seite zu unterscheiden.
Auch hier fehlt wieder die Klarheit in der Sprache: Wer die Flüchtlinge im Kontext einer „ungesteuerten Zuwanderung“ als Menschen beschreibt, die auf Dauer bleiben, der beschädigt die große Offenheit der Deutschen für eine gesteuerte Einwanderung von Fachkräften, die wir dringend brauchen. Manche in der Union tun sich schwer damit, das Kind beim Namen zu nennen, und sprechen weiter von „Zuwanderung“, meinen aber „Einwanderung“. Schließlich wurde lange die Tatsache verneint, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
Das vergangene halbe Jahr hat eindrucksvoll gezeigt, wie stark Bürgersinn, Volkswirtschaft und Verwaltung in unserer Republik sind. Das kann uns die Zuversicht geben, dass die Deutschen dieses „Rendezvous mit der Globalisierung“ – wie Wolfgang Schäuble es nennt – meistern werden. Dazu wäre es hilfreich, sich bei allen Problemen auch immer vor Augen zu halten, was alles gelingt, was von den vielen Haupt- und Ehrenamtlichen geschafft wurde und immer noch wird.
Eine kluge Einwanderungspolitik ist auch Grundlage dafür, dass wir uns künftig weniger mit dem sichtbaren Scheitern von Integration beschäftigen müssen, sondern mehr Nachrichten lesen können, die das Gelingen zeigen. Ein Beispiel aus Hessen mag das deutlich machen: Während 2005 nur 32 Prozent der Einwanderer und ihrer Nachkommen zu Hause Deutsch sprachen und 22 Prozent sich lediglich in der Sprache ihrer Herkunftsländer unterhielten, hat sich dieses Verhältnis in knapp zehn Jahren deutlich verändert. Inzwischen sprechen 53 Prozent zu Hause Deutsch und nur noch acht Prozent nicht. Die Übrigen leben zweisprachig. Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind.
Integration ist mit erheblichen Anstrengungen verbunden – für beide Seiten. Fest steht aber: Sie gelingt leichter, wenn wir nicht das Asylrecht als Grundlage der Einwanderung beschreiben. Das war es nie und sollte es auch nicht werden. Ein klares Einwanderungsrecht kann dabei helfen. Mit dem Integrationsgesetz machen wir einen weiteren wichtigen Schritt. Damit legen wir die Grundlage für gelungene Integration von neuen Mitbürgern und die Hilfe für Menschen in Not. Beides macht diese Republik zu dem starken Land in der Mitte Europas, das wir nicht nur derzeit sind, sondern das wir bleiben wollen.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Kein Wiederabdruck und keine sonstige Weiterverwendung ohne vorherige Zustimmung des Rechteinhabers. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.
Was nutzt die beste Medienkompetenz, wenn sie nicht mit einer entsprechenden Bildungskompetenz „verarbeitet“ wird? ODER: Es nutzt nichts, wenn man virtuos auf dem Medienklavier spielen, aber die Melodien nicht verstehen kann oder immer die gleichen Leierer hört. Was nutzt es, wenn jeden Tag 10 mal 6 verschiedene Informationsseiten aufgerufen werden und jedes Mal nur erfahren wird, was denn Guardiola gesagt hat oder welches Outfit Madonna heute trägt. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Medienvielfalt auch zu einem größeren und aus vielen Quellen gestützten objektiven Wissen führt. Eher ist das Gegenteil der Fall. Denn es hat sich wohl erwiesen, dass die Gewohnheit der Mediennutzung nur zu wenigen Info-Quellen (bei Vielen nur zu einem „Kanal“) führt. Vielfalt in Form der Tagesschau, den politischen Sendungen, der Tageszeitung und einer Wochenzeitung war gestern. Heute muss leider immer mehr der inhaltslose Info-Mainstream genügen. Der kontinuierliche Rückgang der Abo-Zahlen bei allen Printmedien beweist es. Diese Situation schön zu reden, hilft nicht. Allenfalls der AfD und anderen populistischen Schreihälsen, die mit den einfachsten Sprüchen und „Wahrheiten“ Kasse machen.