Freiwilliges Dienen – ein Jahr für Deutschland
Erst war „nur“ eine Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate geplant, doch inzwischen hat der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Wehrpflicht selbst auf den Prüfstand gestellt und damit eine regelmäßig wiederkehrende Debatte um Sinn und Zweck erneut befeuert. So rückt das Ende der Wehrpflicht vielleicht wieder ein Stück näher. Bis auf CDU und CSU sowie Teile der SPD diskreditieren inzwischen alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien zudem Wehr- und Zivildienst als „Zwang“, der jungen Menschen Lebenszeit raube. Diese Sichtweise ist bedenklich, weil eine freiheitliche Demokratie darauf angewiesen ist, dass ihre Staatsbürger immer wieder für die staatliche Ordnung aktiv eintreten und sich engagieren. Hinzu kommt, dass wissenschaftliche Untersuchungen ein ganz anderes Bild ergeben: Viele Zivildienstleistende und auch Wehrpflichtige erleben ihren Dienst ganz individuell als Chance, um sich weiter zu qualifizieren, oft sogar eine Orientierung für ihren späteren Berufsweg finden. Wehr- und Zivildienst sind längst Lerndienste, die jungen Männern neben der Erfüllung einer Pflicht Perspektiven eröffnen.
Gerade dies offenbart aber die große Schwäche der Wehrpflicht: junge Frauen und die vielen ausgemusterten jungen Männer werden nicht zu einem Dienst herangezogen. Folglich „profitieren“ sie auch nicht von den entsprechenden Erfahrungen, die ein Teil ihrer Generation macht. Die Alternative, eine einjährige Dienstpflicht für alle, ist zwar im Kern keine schlechte Idee und findet immer wieder prominente Befürworter, sie ist aber – alle verfassungsrechtlichen Bedenken außen vorgelassen – wohl kaum mehrheitsfähig. Darum ist es an dieser Stelle konsequent, den Blick stärker auf die Förderung des freiwilligen Dienens zu richten.
Wenn junge Männer vom Wehr- und Zivildienst in ihrer persönlichen Entwicklung profitieren, dann gilt dies natürlich auch für die gut 40.000 jungen Männer und Frauen, die sich im vergangenen Jahr dafür entschieden haben, ein Freiwilligenjahr zu absolvieren. Wir stellen aber auch fest, dass es vor allem Jugendliche mit einem besseren Schulabschluss und einem entsprechenden sozialen Hintergrund sind, die sich für einen Freiwilligendienst bewerben. Dies ist einerseits erfreulich, weil es zeigt, dass es nach wie vor eine breite bürgerliche Verantwortungskultur gibt, aber es darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass vielen jungen Menschen nicht in den Sinn kommen würde, einen solchen Dienst für die Gesellschaft zu leisten.
Fast alle Freiwilligen berichten nach der Ableistung ihres Dienstes begeistert von ihren Erlebnissen und Eindrücken. Die jungen Frauen und Männer können glaubhaft ihre Erfahrungen weitergeben und damit nicht nur dokumentieren, dass ihr Dienst wertgeschätzt wurde, sondern auch, dass sie persönlich davon profitiert haben. Man kann sich vorstellen, dass dies ein wichtiger Impuls sein kann, um noch mehr junge Menschen für einen freiwilligen Dienst zu begeistern.
Das bürgerschaftliche Engagement junger Menschen in den Freiwilligendiensten wird künftig durch den demografischen Wandel „gefährdet“, wenn es uns in den nächsten Jahren nicht gelingt, eine Freiwilligenkultur zu entwickeln, bei der die Wirtschaft in ihren Ansprüchen an Schule und Hochschule in Deutschland nicht mehr allein das Diktat eines zeitlich schnellen und stromlinienförmigen Durchlaufens des Bildungssystems in den Vordergrund stellt. Wir werden erleben, dass Unternehmen sich bereits in der Oberstufe um Schülerinnen und Schüler bemühen. Ob es unter solchen Vorzeichen dann noch gelingen kann, Jugendliche in nennenswerter Zahl für ein freiwilliges zeitlich gebundenes Engagement zu begeistern, darf man bezweifeln. Es braucht also eine Kultur, in der Unternehmen verinnerlichen, dass Bewerberinnen und Bewerber, die in ihrem Lebenslauf ein Freiwilligenjahr vorweisen, in einem Maße soziale Kompetenzen mitbringen, die sie zusätzlich qualifizieren.
Was ist also zu tun? Derzeit leisten rund 40.000 junge Männer und Frauen ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr. Mehr als doppelt so viele junge Menschen, darunter eine steigende Zahl mit Migrationshintergrund, hat Interesse an einem freiwilligen Dienst, findet aber keine Einsatzmöglichkeit oder die Finanzierung fehlt. Das ist fatal und geradezu fahrlässig, denn unsere Gesellschaft verschenkt hier ein enormes Potential an Einsatzbereitschaft. Wir können uns das eigentlich nicht leisten.
Sicherlich gibt es noch viel mehr junge Menschen, die man für einen freiwilligen Dienst begeistern kann, wenn man bedenkt, dass es zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten für Freiwillige gibt, die über das klassische FSJ und FÖJ hinausgehen. Das bereits existente Freiwilligenjahr im Bereich der Kultur ist daher genauso ausbaufähig ein Freiwilligenjahr im Sport mit allen Perspektiven für die Turn- und Sportvereine. Neu hinzukommen könnte ein Freiwilligenjahr unter dem Stichwort Bildung, das den Einsatz von freiwilligen Jugendlichen in der Kinderbetreuung und in Ganztagsschulen erlaubt. Man mag sich ausmalen, welchen positiven Effekt und welche Vorbildfunktion junge Menschen für nahezu Gleichaltrige an dieser Stelle einnehmen könnten. Und natürlich sollte die Bundeswehr jungen Männern und Frauen auch künftig die Möglichkeit geben, ein Jahr als „Einjährigfreiwillige“ ihren Dienst in der Truppe zu leisten. Das Aussetzen der Wehrpflicht wäre also nicht das Ende, sondern vielmehr eine Chance, Wehrdienst und Zivildienst intelligent weiterzuentwickeln.
Am Ende dieser Entwicklung steht das freiwillige Dienstjahr als – um es an dieser Stelle einmal altmodisch aber doch wahrheitsgemäß zu formulieren – Ehrendienst für unser Land und unsere Gesellschaft. Was wäre so schlimm daran, wenn es „zum guten Ton“ gehören würde, dass junge Menschen an einem Platz, der ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht, eine Zeit ihres Lebens nicht nur in den Dienst der Gesellschaft stellen, sondern dieses Jahr zusätzlich ganz bewusst für sich selbst als erweitertes Bildungsjahr nutzen? Dann bekommt der Satz „Haben Sie gedient?“ in Vorstellungsgesprächen eine ganz andere, auf einmal unheimlich moderne Bedeutung. Wem dieser Zugang zu patriotisch klingt, für den kann man es auch wie folgt formulieren: Die Rendite einer so verstandenen Freiwilligenkultur für Deutschland ist sensationell. Und es ist angesichts der Finanzund Wirtschaftskrise in jedem Fall eine absolut sichere Investition.
Ich verstehe überhaupt nicht, was das Festhalten an der Wehrpflicht soll. Warum nicht eine Berufsarmee. Wenn die Jungs im Hindukusch in den Krieg gehen, dann sollen es auch solche sein, die dafür ausgebildet sind und entsprechend bezahlt werden und keine Wehrpflichtigen, die nach dem Ausbildungsstand nichts als bessere Pfadfinder sind.
Nur ein kleiner Hinweis: Es gehen keine „schlecht ausgebildeten“ Wehrpflichtigen in den Auslandseinsatz. Im Ausland sind nur freiwillige Reservisten, Berufs- und Zeitsoldaten sowie die so genannten FWDLs (Freiwillig länger Dienende). Alle durchlaufen vor dem Auslandseinsatz dieselbe Ausbildung.