Offline nichts verpasst?

Manche Bücher möchte man gerne lesen, kauft sie und dann liegen sie ewig auf dem langsam wachsenden Stapel. Ganz oft hält einem das Surfen (und lesen) im Internet davon ab, ein gedrucktes Buch in die Hand zu nehmen, sich in Ruhe hinzusetzen und einfach eine Stunde am Stück zu lesen. Vielleicht war es aufgrund des Titels bei mir diesmal anders. Als ich das Buch „Ich bin dann mal offline“ von Christoph Koch geschenkt bekommen habe, fielen mir sofort die vielen Abende ein, in denen ich mir vorgenommen hatte, ein Buch zu lesen und in denen ich das nicht geschafft habe, weil ich mich nicht von meinem Emailpostfach, Twitter und meinem Facebookprofil sowie Focus online trennen konnte. Ich war neugierig auf den „Selbstversuch“ von Christoph Koch, der ein „Leben ohne Internet und Handy“ – zumindest für vier Wochen – versucht hat.

Was zunächst einmal wie eine unterhaltsame Reminiszenz an unsere durch das Internet revolutionierte Medienwelt, die sich vollständig veränderte persönliche Kommunikation bzw. an die gute alte analoge Zeit wirkt, führt letztlich dazu, einmal persönlich über die eigene Internetnutzung zu reflektieren. Nicht nur Technikkritiker und Freunde der alten gelben Post beschleicht ja ab und an das Gefühl, das die neuen Medien eben nicht immer zu einer Effizienzsteigerung in unserer täglichen Arbeit mit Blackberry, iPhone und Laptop führen. Unter dem stark strapazierten Stichwort „Medienkompetenz“ wird ja landauf landab darüber gesprochen, was man tun kann, um den Verlockungen des weltweiten Netzes nicht willenlos zu erliegen.

Christoph Koch beschreibt nun sehr eindringlich die fast schon körperlichen Schmerzen zu Beginn seines kalten Entzugs. Jeder der einmal sein Smartphone im Taxi liegen gelassen hat (wie ich) oder für mehrere Stunden kein Ladegerät griffbereit hatte, wird schon erahnen können, wie nackt und unbeholfen man sich da fühlt. Und man denkt unwillkürlich: „Oh mein Gott! Der arme Kerl!“ Interessanterweise habe ich Christoph Kochs Selbstversuch nachvollzogen, indem ich mich während der Lektüre nicht zwischendurch durch einen Blick auf mein iPhone unterbrochen habe, so wie ich das sonst oft tue. Das lag schlicht daran, dass das Buch gut und flüssig zu lesen ist. Wie in einem Tagebuch berichtet Koch von unterschiedlichen Erlebnissen in einer Welt ohne Handy und Internet, die zumindest bei älteren Lesern Gedanken wie „Tja, so war das damals“ auslösen werden.

Dass er dabei nicht nur von den Schwierigkeiten, verbindliche Verabredungen zu treffen, berichtet und dabei zwangsläufig viele unterhaltsame Anekdoten entstehen (hier empfehle ich die Stelle, wo er in einem Café voller Internetuser mit Laptops einen wildfremden Mann a la Facebook im real Life „anstupst“), sondern sich immer wieder mit aktuellen Forschungen und den sich aus der Nutzung des Internets ergebenden Veränderungen für unsere Berufs- und Arbeitswelt auseinandersetzt, macht das Buch zusätzlich lesenswert. Es ist eben nicht nur kurzweilig und unterhaltend, sondern hält durchaus zahlreiche Denkanstöße bereit.

Wer wie ich im Internet vor allem auch die Chancen für politische Kommunikation sieht und bereits nutzt, der merkt ja auch hier, wo Grenzen gesetzt sind (Ich persönlich empfehle die Leserkommentare bei Spiegelonline. Es ist erschreckend, auf welchem Niveau dort sehr oft von den vermeintlich gebildeten Lesern dieses online-Magazins diskutiert wird). Zwei der von Koch wiedergegebenen „Gesetze des Internets“ haben mir daher so gut gefallen, dass ich sie als weiteren Denkanstoß für die politische Kultur im Netz gerne zitieren möchte: Godwins Gesetz „Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit Hitler oder den Nazis dem Wert Eins.“ Auch Poes Gesetz: „Ohne eine Zwinkersmiley oder andere deutliche Hinweise ist es unmöglich, religiösen Fundamentalismus so zu parodieren, dass sich niemand findet, der die Parodie fälschlicherweise für real hält.“ (beide Seite 60) verweist darauf, dass sachliche und offene Diskussionen im Netz oft schwierig sind, weil die vermeintliche Anonymität dazu verleitet, normale „Umgangsformen“ in der Diskussion zu vergessen.

Wer das Buch noch nicht gelesen hat, der sollte es sich vielleicht zu Weihnachten unter den Gabentisch legen. Und er tut gut daran, dem Autor zu folgen, indem er vielleicht in der so genannten „stillen Zeit“ des Jahres das Handy mal ein oder zwei Tage abschaltet und nicht alle zwei Stunden nachschaut, ob jemand bei Facebook oder per Email frohe Weihnachten gewünscht hat. Der Satz von Kierkegard: „Wenn die Stille einkehrt, passiert am meisten.“, den Christoph Koch ebenfalls zitiert, passt da ganz wunderbar.

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