Rezension: „Mediengeschichte“ von Frank Bösch

Es wird mal wieder Zeit für eine Rezension auf meinem Blog. Letztes Mal habe ich über „ich bin dann mal offline“ von Christoph Koch geschrieben. Heute wende ich mich einem wissenschaftlichen Buch aus dem Campus Verlag zu: „Mediengeschichte“ von Frank Bösch. Als Historiker und Netzpolitiker hat mich der Titel schon neugierig gemacht.

Bösch stellt in seinem auch als Ebook vorliegenden Buch die Frage, wie Medien in den vergangenen Jahrhunderten Wahrnehmungen und Wissen, Politik, Freizeit und Kultur sowie die tägliche Kommunikation verändert haben. Den Wandel der Medien beschreibt er dabei ausführlich und beginnt nach einem kurzen Exkurs zur asiatischen Druckkunst mit der „Jahrtausenderfindung“ Gutenbergs, dem Buchdruck europäischer Prägung. Sehr anschaulich ist seine Beschreibung zur Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Veränderungen wie der Reformation und den diese begleitenden Medien – in dem Fall vor allem Flugschriften, aber auch gedruckte Bücher wie die Luther-Bibel. Schon für diese Epoche hat die Historiker die Frage beschäftigt, wie die Verbreitung gedruckter Bücher das Denken der Menschen und die Wissensordnung verändert hat. Schon deshalb finde ich dieses Buch zur Einordnung aktueller Zeiterscheinungen und vermeintlich neuer Phänomene, die wir derzeit durch die Digitalisierung in Gang gesetzt sehen, lesenswert.

Das Buch selbst, dass ich als gedrucktes Werk erworben habe, stützt sich nicht allein auf die Printausgabe oder das E-Book und ist damit selbst ein gutes Beispiel für den Wandel von Medien in der digitalen Welt. Die im Campus Verlag erschienene Reihe „Historische Einführungen“ bietet zu jedem Band auf der Internetseite www.historische-einfuehrungen.de eine Reihe von anschaulichen Quellen, die dort kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Wer also einen Einblick bekommen möchte, der kann sich die ausgewählten Quellen dort anschauen.

Wenn heute immer wieder – und auch ich verwende ähnliche Sprachbilder in den netzpolitischen Debatten – von einer Revolution durch die Digitalisierung und die dabei entstandenen neuen Medien die Rede ist, dann hilft zur Einordnung auch der historische Rückblick. Bösch zitiert gleich zu Beginn die Definition des Frühneuzeithistorikers Markus Sandl, der Medien wie folgt definiert: „Medien können als Artefakte beschrieben werden, deren Zweck es ist, Kommunikation zu ermöglichen. Als Artefakte erfüllen sie Leistungen wie Aufnahme, Speicherung, Übertragung, Vervielfachung und Reproduktion, Wiedergabe und Ver- bzw. Bearbeitung von Informationen.“ Die Art und Weise, wie manch ein Zeitgenosse heute sein „Smartphone“ hegt und pflegt, wie darüber gestritten wird, welches Gerät den (ästhetischen) Ansprüchen genügt, scheint den Begriff „Artefakt“ auch für das Hier und Jetzt zu rechtfertigen.

Bösch beschreibt ausführlich den Zeitungsboom im 18. Jahrhundert, der auch für das Deutsche Reich 250 Zeitungen mit einer wöchentlichen Auflage von 300.000 Exemplaren nennt. Angesichts der damaligen Alphabetisierungsrate und der bestehenden Gesellschaftsordnung keine schlechten Zahlen. Spannend und aufschlussreich ist seine Beschreibung der Unterschiede in Europa und die Analyse der sozialen und geschlechtsbezogenen Zugangsmöglichkeiten zu Zeitungen. Natürlich ist die Frage der Pressefreiheit eine wichtige, auf die er ebenfalls eingeht. Spannend ist auch seine Beschreibung der gesellschaftlichen Stellung und Akzeptanz von Journalisten (die schon damals offensichtlich nicht besser war als heute) und den Einfluss der Presse, „durch Kampagnen politische Entscheidungen zu prägen“ (S. 82). Die Diskussion um die „vierte Macht“ im Staate ist also ebenfalls so neu nicht.

Auf dem Weg in die Moderne billigt Bösch den Medien im Zeitalter der Revolutionen mit Blick auf die amerikanische, die französische aber auch die deutsche Revolution von 1848 eine wichtige Rolle zu. Die Pressefreiheit von 1776 ist für ihn dabei ein Impuls, der nicht nur demokratietheoretisch, sondern auch ökonomisch die Attraktivität und Bedeutung der Medien steigerte. Er spricht von einer Wechselbeziehung, die er anhand der amerikanischen Revolution näher beschreibt. Medien und auch Journalisten waren nicht nur auf der anderen Seite des Atlantiks, sondern auch in Frankreich, wie Bösch darlegt, selbst aktive Teilnehmer an einem gesellschaftlichen Umbruch, den sie zugleich beschreiben.

Den Hinweis, dass mit der Herrschaft Napoleons zugleich erhebliche Rückschritte was die Pressefreiheit und damit verbunden auch die Attraktivität und Verbreitung von Zeitungen einher gingen, finde ich mit Blick auf aktuelle globale Ereignisse ebenfalls interessiert. Welche Rolle neue Medien im arabischen Frühling spielen, ist bereits kritisch untersucht worden. Und wir erleben nun gerade, dass die vermeintliche Verheißung der Freiheit im und mittels des web 2.0 keine Zwangsläufigkeit ist. Gleichwohl ist auch für die jüngsten Ereignissen im nördlichen Afrika und der arabischen Welt die Wechselwirkung von gesellschaftlichen Zuständen, die von der Bevölkerung nicht länger akzeptiert werden, und Medien, die Verhältnisse abbilden und mögliche Szenarien für eine Veränderung beschreiben, evident.

Für das 19. Jahrhundert weist Bösch auf die Bedeutung der Medien für die Entstehung der Nationalstaaten hin. Medien konnten hier also gemeinschaftsbildend wirken. Wie der Autor zeigt, hing ihre Wirkungsmächtigkeit allerdings eng mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie Alphabetisierungsrate, Bildungsstand der Bevölkerung und Urbanisierung zusammen. In der modernen Gesellschaft ging das Aufkommen der Massenmedien mit einer Professionaliserung des Berufstands der Journalisten einher. Ein investigativer Journalismus, der auch gesellschaftskritisch wirkte, entstand in zunehmendem Maße. Auf der einen Seite schufen Medien so Öffentlichkeit für Themen wie die Rechte der Frauen, auf der anderen Seite erreichten auch die gekrönten Staatsoberhäupter eine bisher ungekannte Präsenz im öffentlichen Raum dank der Presse.

Um 1900 fand zudem eine bisher ungeahnte Erweiterung des Medienmarktes statt: neben das Buch und die Zeitungen treten die Telegrafie, der Film, die Kamera, das Telefon und das Radio und noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Fernsehen. Bösch beschreibt treffend den damit einhergehenden Wahrnehmungswandel. Neue Medien korrespondierten „mit einer Veränderung der sichtbaren Realität. Neue zeitgleiche Erfindungen wie der Brühwürfel oder die Röntgenstrahlen hatten mit dem Film gemein, dass sie traditionelle Wahrhnehmungen und Erfahrungen zerlegten.“ (S. 143) Die Moderne inszenierte sich in der Tat selbst im Film. Trotz dieser Selbstinszenierung der Modernität und einer weit verbreiteten Technikgläubigkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es im Zuge der Kulturkritik auch eine negative Auseinandersetzung mit neuen Medien, die ich in einem Blogbeitrag ebenfalls schon einmal thematisiert hatte.

Auf welche Art und Weise Diktaturen Medien für sich nutzten beschreibt Bösch sehr anschaulich anhand des Nationalsozialismus und des DDR-Regimes. Der Befund, dass beide Staaten sich ähnlicher „Medienpolitiken“ bedienten, um ihre Propagandaziele zu erreichen, dürfte Grundlage für eine spannende Debatte über Instrumente moderner Medienpolitik auch aus Sicht demokratischer Staaten sein – gerade in einem öffentlichen Diskurs mit Staaten, deren innere Struktur nicht unbedingt unseren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entspricht.

Die nicht zwingend positiven Auswirkungen neuer Medien und ihre mögliche politische Instrumentalisierung von Hugenberg in der Weimarer Republik bis Berlusconi im heutigen Italien lässt Bösch ebenfalls nicht unerwähnt. Es bleibt eines der von ihm vielfach angemerkten Forschungsdesiderate, dass die Möglichkeit der Instrumentalisierung des Internets bisher noch einer wissenschaftlichen Analyse harrt.

Diese Forschungslücke konstatiert Bösch auch für die Wirkung und Einfluss der Medien – vom Fernsehen angefangen – auf gesellschaftliche Paradigmen. Ob und wie sich Familien- und Geschlechterrollen, der Blick auf Politik oder der Stellenwert des Sports durch Medien verändert haben, ist weitgehend unerforscht. Gerade mit Blick auf aktuelle Diskussionen, welche Auswirkungen das Internet auf unsere Gesellschaft hat, gilt es aus meiner Sicht, nicht nur diese konstatierten Forschungslücken zu schließen, sondern diese Fragen auch konkret mit Blick auf das Internet und das hier und heute erneut zu stellen. Der Appell von Bösch, sich dieser Thematik intensiver zuzuwenden, wird hoffentlich auf fruchtbaren Boden fallen.

Wahrscheinlich haben sich viele beim Lesen (meiner Rezension) gefragt: „Wann sagt Bösch (bzw. Tauber) mal was zum Internet?“ In der Tat widmet er das Nachwort dem „Internetzeitalter aus medienhistorischer Perspektive“. Angesichts der aufgeführten Desiderate vermag es nicht verwundern, dass eine entsprechende Forschungslücke sich auch für das Internet offenbart, zumal Bösch ganz treffend festhält, dass die ersten Bücher üer das Internet heute bereits selbst Quellencharakter haben dürften. Für mich zentral war der folgende Satz von Bösch: „Wie dieses Buch mehrfach zeigte, determinierten weniger die technischen Erfindungen die Gebrauchsweise der neuen Medien als vielmehr die Bedürfnisse der Mediennutzer sowie kulturelle, soziale und politische Dispositionen.“ (S. 229) Die Annahme, dass Medieninnovationen Antworten auf aktuelle soziale Bedürfnisse seien, gefällt mir gut. Sie führt uns weg von der Frage des reinen Verstehens technischer Vorgänge und der Beschreibung des Innovationspotentials. Wir sollten uns also mit den Chancen und Möglichkeiten von Medien näher beschäftigen, aber uns auch vermehrt die Frage stellen, warum die Menschen das Internet auf welche Art und Weise nutzen.

Bösch hat in seinem Buch in diesem abschließenden Kapitel viele Fragen formuliert, die es verdienen, gestellt und vor allem beantwortet zu werden. Sein Hinweis auf die „nationale Übersetzung und die Anpassung an die eigene Kultur“ (vgl. S. 230) bezogen auf das Internet ist einer dieser Anmerkungen, an die wir uns in der Auseinandersetzung mit dem globalen Medium erinnern sollten. Das Buch ist für jeden absolut lesenswert, der sich mit der Geschichte der Medien beschäftigen will und den auch die historische Bedeutung des Internets interessiert.

Dem Autor kommt das große Verdienst zu, dass er das Internet einordnet und in Relation setzt zu anderen Medieninnovationen in der Menschheitsgeschichte. Er leistet damit einen hilfreichen Beitrag, der eine sachlichere Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Folgen des Internets ermöglichen könnte. Schließen möchte ich daher auch mit einem erneuten Zitat. Und wahrscheinlich hat Bösch mit diesem Satz in wenigen Worten treffend eine beruhige Zukunftsprognose gegeben: „Anzunehmen ist, das künftige Medieninnovationen auch das Internet als langsam, intellektuell wertvoll oder sozial integrativ erscheinen lassen werden, um die Gefahren des dann entstandenen neuen Mediums zu dramatisieren.“ (S. 234) Bis dahin sollten wir die Chancen, die das Internet unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und unserer Volkswirtschaft bietet, nutzen und nicht verzagen. Die historische Perspektive mag dabei auch hier hilfreich sein.

3 Kommentare zu “Rezension: „Mediengeschichte“ von Frank Bösch

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