Wer ist eigentlich Farin Urlaub?

Auch wenn sich die erste Aufregung gelegt hat, geht die Debatte um Klarnamen, Pseudonyme und Anonymität im Internet (und in der analogen Welt) weiter. Ob diese Unterscheidung zwischen digitaler und analoger Welt sinnvoll ist, sei dahingestellt. Immer wieder ist aber ein Satz zu hören: sowohl im Netz als auch außerhalb müssten dieselben Regeln gelten. Die Formulierung ist missverständlich, denn viele Regeln bzw. deren Umsetzung in der analogen Welt funktioniert im weltweiten Netz nicht. Wir sollten vielleicht lieber davon sprechen, dass sowohl in der digitalen als auch in der analogen Welt identische Prinzipien gelten, wir aber zur Durchsetzung dieser Prinzipien jeweils angepasste Regeln brauchen.

Für das von mir gewählte Thema gilt zunächst einmal zu klären, ob es die beklagten Unterschiede überhaupt gibt. Kann ich mich im Internet heimtückisch hinter einem Pseudonym verstecken, während ich unterwegs auf Deutschlands Straßen jederzeit für jeden der mir begegnet identifizierbar bin? Genau dies suggeriert ja die Forderungen nach einem Klarnamenzwang im Internet.
Ich habe ja bereits erklärt, dass die Rechtslage klar ist: Es hilft ein Blick ins Telemediengesetz (TMG), Paragraph 13. Dort heißt es zu den „Pflichten des Diensteanbieters“ ganz klar:

(6) Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.

Auf dieser Rechtsgrundlage könnten wir das Thema zu den Akten legen. Statt eines Klarnamenzwangs muss es auch in der digitalen Welt die Möglichkeit geben, sich anonym oder mit einem Pseudonym zu bewegen. Die Frage ist nun, ob dieses Gesetz dann vielleicht schleunigst geändert werden muss, wenn man ernst machen will mit dem Klarnamenzwang. Zumindest wäre das die logische Schlussfolgerung, nach den Äußerungen der Kollegen Uhl und Krings.

Ich persönliche stimme Beiden in einem Punkt zu: natürlich gelten Prinzipien und Werte, auf denen unsere Gesellschaft beruht, auch im Internet. Ich rate nur noch einmal genau hinzuschauen, wenn es darum geht, ob es denn überhaupt Unterschiede in der Frage „Klarnamen versus Pseudonyme“ gibt oder ob es nicht sogar so ist, dass wir im Internet – und gerade auch in sozialen Netzwerken wie google+ oder facebook – das Recht auf eine Nutzung unter einem Pseudonym erreichen bzw. verteidigen müssen, damit diese Gleichheit der Prinzipien zwischen digitaler und analoger Welt aufrecht erhalten wird.

Denn wie sieht es eigentlich da draußen aus? In den letzten Tagen habe ich mich viele Menschen auf Fälle aufmerksam gemacht, die deutlich zeigen, dass die Behauptung, dass wir uns in der realen Welt doch auch immer „mit offenem Visier“ begegnen, schlicht falsch ist. Schon in meiner Bürgersprechstunde überprüfe ich nicht durch eine Ausweiskontrolle, ob der Bürger, der mit mir über ein Problem diskutieren will, wirklich Klaus Mundtot heißt, auch wenn der Name recht ungewöhnlich ist. Erst wenn er statt einer Email einen Brief oder gar einen Anruf von mir erwartet, wird er mir wohl seine Kontaktdaten geben und damit seine Identität dokumentieren.

Auch im Straßenverkehr gewährleistet das Nummernschild Anonymität ohne uns vor Strafverfolgung zu schützen. Das findet jeder in Ordnung. Und diejenigen, die einen Klarnamenzwang im Internet fordern, müssten dann darauf bestehen, dass auch künftig auf dem Kofferraum der vollständige Name und eine ladungsfähige Anschrift angebracht werden.

Ein weiteres Beispiel: ich habe die Möglichkeit anonym bei der Polizei Anzeige zu erstatten und die Strafverfolgungsbehörden sind sogar verpflichtet, im Falle eines Anfangsverdachts dieser Anzeige nachzugehen. Wer dies für richtig hält – und man kann durchaus Argumente für diese Regelung finden –, der sollte sich dann aber auch fragen, ob es nicht vielleicht auch Beispiele gibt, in denen Bürgerinnen und Bürger lieber anonym oder unter einem Pseudonym im Netz unterwegs sind. Oder aber man beseitigt konsequent die Möglichkeit zur anonymen Anzeige, um auch hier den immer wieder vorkommenden Missbrauch, das Denunziantentum und der üblen Nachrede zu begegnen. Wer eine Straftat anzeigen will, der kann das ja dann mit seinem Klarnamen tun oder? Er kann dem Drogendealer, der Jugendgang, die einen ganzen Straßenzug terrorisiert oder dem Mann, der jeden Abend seine Frau schlägt ja mit offenem Visier entgegentreten. (Damit ich nicht falsch verstanden werde: ich möchte, dass auch in diesem Fall alles so bleibt wie es ist, aber so müsste es sein, wenn man die Forderung nach einem Klarnamenzwang ernst nimmt und gleiche Bedingungen in digitaler und analoger Welt schafft.)

Es gibt also keineswegs einen Klarnamenzwang in der analogen Welt. Warum sollte es ihn dann in der digitalen Welt geben? Anonymität bzw. Pseudonymität im Netz kann sinnvoll sein: mehrfach haben mir vor allem Frauen bestätigt, dass sie in sozialen Netzwerken ein Pseudonym nutzen, um sich vor aufdringlichen Kontaktanfragen und „stalking“ zu schützen. Dieses Beispiel zeigt zusätzlich, dass hinter der Nutzung eines Pseudonyms eben nicht dunkle Absichten stehen, sondern eine Form von Selbstschutz.
Was ist außerdem mit Polizisten und Soldaten, die ihre Identität schützen müssen. Sollen wir ihnen die Nutzung des Internets verweigern? Wohl kaum. Gerade hat die Union es abgelehnt, Polizisten auf ihrer Uniform mit einem Namensschild kenntlich zu machen. Dies diene dem Schutz der Beamten, so wurde argumentiert. Im Internet soll dieses Prinzip jetzt nicht mehr gelten?
Übrigens funktioniert auch Ebay ganz wunderbar ohne Klarnamen, denn solange ich nicht Zuschlag bekommen habe, muss niemand wissen, wer da mitsteigert.

Noch ein kurzer Abstecher in die Geschichte: Hätte es in der Vergangenheit einen Klarnamenzwang in der Welt vor Erfindung des Internets gegeben, was wäre uns alles vorenthalten geblieben! Der Name Mark Twain und das vielleicht berühmteste Beispiel Shakespeare sind Pseudonyme. Genauso war es bei Erich Kästner, der zusätzlich unter verschiedenen Pseudonymen publizierte und auch Agatha Christie ist übrigens ein Pseudonym. Auch in unserer heutigen Zeit schreiben Autoren nicht unter ihrem Klarnamen. Stephen King ist ein weiteres bekanntes Beispiel. Und selbst der Autorin von Harry Potter hatte der Verlag anfangs ein Pseudonym empfohlen. Sie wollte das nicht und so wurde ihr Name zunächst nicht ausgeschrieben und die Vornamen abgekürzt, da der Verlag nicht wollte, dass für die Leserschaft ersichtlich ist, dass eine Frau die Autorin ist (was aus meiner Sicht ein bezeichnendes Licht auf den Verlag wirft, aber das ist ein anderes Thema).

Nun hoffe ich, dass der Hinweis auf die Rechtslage und die Beispiele etwas zur Versachlichung beitragen und dass auch Google sich dies zu Herzen nimmt. Facebook erlaubt offensichtlich inzwischen die Nutzung von Pseudonymen. Ich kann nicht erkennen, dass dies zu Problemen führt oder mit Nachteilen behaftet ist. Und darum halte ich es mit einem Argument, wegen dem ich in die CDU eingetreten bin: im Zweifel für die Freiheit! In diesem Fall für die Freiheit, mich im Internet eines Pseudonyms zu bedienen, wenn ich das möchte.

21 Kommentare zu “Wer ist eigentlich Farin Urlaub?

  1. Social Media bedeuted für mich Offenheit und Authentizität. Das Verstecken hinter einem Nickname und einem Avatar kommt gleich einem Gespräch ohne meinem Gegenüber in die Augen zu schauen, vermummt und ohne Identität.

    Diese Art von Austausch ist für mich nicht glaubwürdig. Jeder der ein Interesse daran hat, möglichst ernst genommen zu werden, sollte darauf verzichten sich hinter Masken und Decknamen zu verstecken.
    Marita
    http://xeeme.com/MaritaR

    1. Für den Stärkeren fällt es natürlich leicht, einen „Kampf mit offenem Visier“ zu verlangen. Anonymität im Internet ist aber der einzige Schutz, den jemand in einer schwächeren Position hat.

      Wenn jemand unter seinem Klarnamen private Dinge ins Social Network schreiben muss, erlaubt er zum Beispiel auch seinem Arbeitgeber einen intimen Einblick in sein Privatleben. Beispiel: Aus gutem Grund ist in Deutschland die Frage nach einer Schwangerschaft in einem Bewerbungsgespräch unzulässig. Jetzt bewirbt sich eine Frau um eine Stelle, und der Arbeitgeber findet im Internet einen Tweet von ihr, dass sie ein Kind erwartet.

      Unrealistisch? Von wegen! In den USA gibt es bereits Firmen, die von ihren Bewerbern das Passwort zu ihrem Facebook-Account verlangen, um in deren Privatleben zu schnüffeln. Gibt man das Passwort nicht heraus, hat man natürlich keine Chance auf die Stelle. Mit Anonymität könnte man sich effektiv gegen diesen Missbrauch wehren.

      Anonymität sollte als Schutz des Schwächeren begriffen und vom Staat garantiert werden. Keinesfalls ist es eine „Vermummung“!

  2. Es gibt verschiedene Formen von Anonymität. KFZ-Kennzeichen bieten sicherlich nicht die Anonymität, die manche im Internet fordern. Auch schützt das Telemediengesetz sicherlich nicht jede Form der Anonymität.

    Zudem sollte man immer unterscheiden welche Person welche Information wo veröffentlicht. Anonymität soll dazu dienen den Bürger zu schützen. Deshalb sollen die Identität gegenüber der Öffentlichkeit anonymisiert werden, so wie es zum Beispiel bei eBay möglich ist (wobei hier die Internetplattform vermutlich in erster Linie sich selbst schützen wollte).
    Wenn aber jemand etwas im Internet veröffentlicht (kein Kommentar in einem Blog oder Forum) hat er auch eine gewisse Verantwortung und muss meiner Meinung auch mit klarem Namen auftreten.
    Das ist aber doch alles bereits so gesetzlich geregelt.

    Interessant ist doch die Frage, wie weit soll Anonymität gehen. Ist eine völlige Anonymität (angenommen es gibt diese) ein Grundrecht?
    Ich denke nicht.

    Schön wäre es aber, wenn man die verschiedenen Formen der Anonymität und auch wie und wo eine Person im Internet etwas veröffentlicht auseinander hält. Denn dann kann man auch nicht mehr so einfach Aussagen mutwillig missinterpretieren, so wie es in letzter Zeit gerne gemacht wurde.

  3. Was mich am Netz schon immer fasziniert hat, ist, dass Geschlecht, Alter, Nationalität oder Hautfarbe der Menschen im virtuellen Miteinander keine Rolle mehr spielen. Weil man durch das Pseudonym nicht mehr auf die Person schließen kann, sind alle Menschen gleich, man begegnet sich vorurteilsfrei.

    Die Anonymität schützt außerdem den Schwächeren und verschafft ihm Gehör. Gerade deshalb sollte der Staat eine anonyme Nutzung des Internets sogar gewährleisten, keinesfalls verbieten.

  4. sehr gut geschrieben und eine menge wahrheit steckt darin. synonyme dienen im netz in erster linie als selbstschutz und nicht als terroristischer deckname. außerdem könnte man sich selbst bei einem generellen klarnamenstzwang im netz einen „echten falschen“ namen genauso zulegen. müsste man dann zuerst eine kopie der geburtsurkunde an den internetanbieter senden um den anschluss zu bekommen? O.o wäre schon schräg!

  5. Es fehlt in Ihrer Betrachtung ein Punkt, der wichtig ist. Der Unterschied zwischen „auf der Straße“ und „im Internet“ ist doch wohl der, dass eine Äußerung im Internet prinzipiell eine große Menge an Menschen erreichen kann. Das Internet ist ein Medium. Es gibt dafür die Impressumspflicht, wenn ich Seitenbetreiber bin, aber es gibt auch große Freiräume, die es einem erlauben, über jeden Dinge in die Welt zu setzen, die nur schwer wieder verschwinden. Hier wäre noch eine Abwägungsfrage, die Sie nicht beantwortet haben.
    PS: Sie sInd wegen „Im Zweifel für die Freiheit“ in die CDU eingetreten? Können Sie nicht wenigstens einen Zwinker-Smilie setzen, wenn Sie solche Sachen schreiben?-)

  6. Ich wette, Farin Urlaub hat seinen Namen als Künstlernamen mit in die Oersonalpapaiere eintragen lassen. Damit ist er eben kein Pseudonym mehr. Also kein so gutes Beispiel.

    1. Der Klarname von Farin Urlaub ist in der Tat kein Geheimnis, insofern ist die Wahl der Überschrift wohl eher der Veranschaulichmachung des Themas geschuldet. Ob er sein Pseudonym im Personalausweis hat eintragen lassen, ist aber eine gute Frage….

  7. Ein sehr interessanter Artikel, gut ausgearbeitet, mit vielen einleuchtenden Beispielen – so gehört sich das, und so wird es auch dem letzten klar, wie das gemeint ist.

    Jetzt gilt es nur noch, den Rest der CDU/CSU davon zu überzeugen. Eigentlich sollte ja jeder, der den Text liest – und das sollte jeder, der eine Meinung dazu haben will oder im Bundestag etwas beitragen möchte – den Text lesen. Wenn dann anschließend immer noch jemand den Klarnamenszwang fordert, dann weiß ich auch nicht, da muss was faul sein.

    Dummerweise sind vor allem die zwei angesprochenen Herren da nicht belehrbar, sondern müssen ihren Dickschädel durchsetzen. Und wenn die Union weiterhin mit solchen Leuten unterwegs ist, wird das Phänomen „Piratenpartei“ noch weiter zunehmen. Denn: von „Im Zweifel für die Freiheit“ merkt man leider nicht viel, es sind nur einzelne Lichtblicke wie Ihre Person.

    Deshalb: Danke für den Artikel und viel Erfolg bei Ihrer Überzeugungsarbeit, und grüßen Sie doch mal Herrn Krings und Herrn Uhl bei Gelegenheit „vom Internet“ und erwähnen Sie auch noch mal das Ergebnis der Piratenpartei und den Satz „Ihr würdet euch noch wünschen, wir wären politisch desinteressiert.“ 🙂

      1. Ich weiß nicht, ob Sie’s stört, aber Ihre Antwort ist beim falschen Beitrag eingehängt. Zu Ihrer Frage: Von allen Parlamentsparteien steht die CDU/CSU im Ruf am ehesten als Law-and-Order-Fraktion aufzutreten, was im Zweifel auch die Beschneidung der Freiheit bedeutet. Ich denke, das ist kein Vorurteil eines LInksaußen, sondern würde bei einer Umfrage so bestätigt. Allerdings gebe ich Ihnen zu, dass die SPD in der Verantwortung ebenfalls eine ausgeprägte Neigung zum Verbieten, Verschärfen und Verurteilen hat.

        1. Den zwangsläufigen Gegensatz von Recht und Gesetz und Freiheit sehe ich so stringent nicht. Aber natürlich ist es ein Abwägungsprozess, bei dem man unterschiedlich gewichten kann. Der Freiheitsbegriff an den ich glaube ist zudem kein absoluter, sondern einer, der zur Verantwortung befähigt – demzufolge ist Freiheit etwas, was viele Menschen leider gar nicht anstreben, denn es ist „anstrengend“….

  8. Wenn es jetzt noch mehrere Tauber in der CDU gäbe, wäre alles nicht so schlimm. Leider vermute ich, Herr Tauber, daß Sie die Minderheit darstellen.

    Aber nun gut, kann ja noch werden. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

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