Rede von der Brendtenfeier am Ehrenmal der Gebirgstruppe in Mittenwald

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, werte Ehrengäste, Soldatinnen und Soldaten!

Wer verstehen will, was für ein Glück und ein Segen das in Frieden und Freiheit geeinte Europa ist, der muss Soldatenfriedhöfe besuchen. Jean-Claude Juncker hat uns das zugerufen und er hat recht. Gerade wir Deutschen müssen uns bewusstmachen, dass unser Volk nie länger in Frieden gelebt hat, als in den letzten 70 Jahren. Und seit nunmehr 30 Jahren lebt unser ganzes Volk in Freiheit, und die Einheit des deutschen Vaterlandes wurde zum Grundstein für dieses geeinte Europa vom Lissabon bis nach Tallin.

Nach zwei schrecklichen Weltkriegen leben die Völker Europas heute miteinander und nicht gegeneinander. Das ist nicht nur ein Geschenk für die junge Generation heute, das ist eine politische Leistung unserer Väter und Großväter. Übrigens auch der Männer, die im letzten Krieg kämpften. Weil sie die richtigen Lehren aus ihren eigenen Erfahrungen zogen. Weil sie sich über den Gräbern die Hände reichten. Dafür danken wir ihnen. Und dies ist eine Leistung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, auf das unsere Soldatinnen und Soldaten heute schwören.

Hier am Hohen Brendten gedenken seit nun 62 Jahren Soldaten, Veteranen, Familien und Freunde ihren Vätern, Söhnen, Brüdern, Männern und Kameraden, den Toten der Weltkriege und den im Dienst für die Bundesrepublik Deutschland verstorbenen und gefallenen Gebirgsjägern. Alle Völker Europa tun dies. Und auch heute sind hier Kameraden der Gebirgstruppe aus Österreich, Frankreich und Italien dabei, die ich herzlich in unserer Mitte begrüße. Die Toten mahnen uns zum Frieden. Die Erinnerung und das Gedenken sind eine gute Tradition. Und es ist gut, wenn wir das nicht nur am Volkstrauertag tun.

Es ist kein Geheimnis, dass dieses Gedenken immer wieder Anlass zur Kritik und zum Protest war und ist. Verbunden ist damit der Vorwurf einer „falschen“ Traditionspflege. Ich halte diese Kritik für nicht berechtigt. Schon die Gründerväter der Bundeswehr haben deutlich gemacht, dass die Bundeswehr nicht in der Tradition der Wehrmacht stehen kann, dass sie mit dem Staatsbürger in Uniform, mit der Inneren Führung, mit der festen Verankerung in einer freiheitlichen Demokratie geradezu das Gegenteil der Wehrmacht ist. Der neue Traditionserlass hat das noch einmal unmissverständlich klargemacht. Tradition bedeutet, dass zu bewahren, was uns heute Vorbild sein kann. Und an solchen Vorbildern mangelt es nicht in der deutschen Militärgeschichte.

Geschichte hingegen bedeutet, zu benennen, was war. Und ja: Angehörige der Gebirgstruppe der Wehrmacht haben Kriegsverbrechen begangen. Niemand bestreitet das. Diese Taten beschämen uns heute. Ich will aber auch deutlich sagen: Wenn diese Verbrechen benutzt werden, um die Gebirgstruppe der Bundeswehr zu diskreditieren, wenn mit pauschalen Urteilen und Vorwürfen Politik gemacht wird, dann ist es die Aufgabe deutlich einer solchen Verallgemeinerung zu widersprechen.

In Zeiten wie diesen braucht es unsere Kraft zur Differenzierung, zur Empathie, zu mehr Miteinander. Wolf Graf von Baudissin, der Vater der Inneren Führung, hat es so formuliert: „Es ging uns niemals um eine Ablehnung des Vergangenen oder von Traditionen schlechthin. Wir meinten allerdings unterscheiden zu müssen, zwischen der Geschichte, die als Ganzes, ihrem Auf und Ab, Glück und Unglück, Erhebendem und Schmachvollem ausgehalten werden muss – schon um zu wissen, wohin wir eigentlich gehören – und den Traditionen, die uns zur Lösung der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben hilfreich sein können.“

Um es deutlich zu sagen: Wir sind hier, um den Gefallenen und Toten der Weltkriege, den Gefallenen und Toten der Gebirgstruppe der Bundeswehr zu gedenken. Wir, die nun schon seit mehr als 70 Jahren in Frieden leben dürfen, sind das Jenen schuldig, die im Krieg ihr oft noch junges Leben ließen. Und wir sind es uns selbst schuldig. Denn nur die Erinnerung an Krieg und an das Leid, das ihn begleitet, macht uns klar, wie wertvoll der Friede ist.

Das Gedenken ist heute der Moment, an dem wir uns bewusstmachen, dass dieser Friede jeden Tag neu verteidigt, neu erworben werden muss. Und er verlangt auch heute, dass Soldaten treu und tapfer dienen. Die Gebirgsjäger der Bundeswehr tun das. Und deswegen gedenken wir heute an diesem Tag den gestorbenen und gefallenen Kameraden.

Ich nenne: Stabsunteroffizier Pierre Zechner, Gebirgsjägerbataillon 232, verunglückt 1997 in Bosnien-Herzegowina, Hauptfeldwebel Marius Dubnicki und Stabsunteroffizier Josef Kronawetter, beide Gebirgspionierbataillon 8, gefallen 2010, Baghlan, Afghanistan, Hauptgefreiter Oliver Oertelt, Gebirgsjägerbataillon 232, verunglückt 2010 im Außenposten Pol-e Khomri, Baghlan, Afghanistan.

„Den Gefallenen zur Ehre – der Heimat zuliebe – der Jugend zur Mahnung“, so lautet der Leitgedanke dieses Ehrenmals seit seiner Errichtung im Jahre 1957. Ergänzt im Jahre 2015 um die Widmung: „Den Gebirgssoldaten der Bundeswehr, die für Frieden, Recht und Freiheit ihre Leben ließen.“

Ich bin heute auch hier, um meinen herzlichen Dank und meine aufrichtige Anerkennung denjenigen Frauen und Männer der Bundeswehr auszusprechen, die seit 1955 unserem Land tapfer und treu gedient haben und unverändert dienen. Seien Sie versichert: Wir sind stolz auf Sie. Und wenn ich wir sage, dann spreche ich für die allermeisten Menschen in unserem Land. Denjenigen, die ihren Dienst herabwürdigen, denen sollten Sie selbstbewusst entgegen: „Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst.“

Der Bund stellt Streitkräfte zu seiner Verteidigung auf. So steht es im Grundgesetz. Und ohne die Bundeswehr hätte der freie Teil Deutschlands seine Freiheit gemeinsam mit unseren Freunden und Verbündeten nicht bewahren können. Daran haben auch die Gebirgsjäger ihren Anteil. In Mittenwald wurden im Juli 1956 als erstes wieder zwei Bataillone dieser besonderen Truppengattung aufgestellt. Heute, mehr als 60 Jahre später, kann das Wagnis der jungen Bundesrepublik Deutschland, erneut Streitkräfte aufzustellen, nur als gelungen bezeichnet werden.

Wer bestreiten will, dass es neben der Politik vor allem die Streitkräfte selbst gewesen sind, die etwas „völlig Neues“ schaffen wollten, um nochmals ein Wort Graf Baudissins zu gebrauchen, verschließt die Augen vor den historischen Tatsachen. Der Bundeswehr musste man die Demokratie nicht verordnen, sondern sie hat sie seit ihrem Aufbau eingeübt und dann auch als Spiegelbild der Gesellschaft vorgelebt.

Auch nach der Wiedervereinigung 1990 blieb die Bundesrepublik ein verlässlicher Verbündeter in der NATO, ein Land, dass sich die Einigung Europas auf die Fahnen geschrieben hat – und damit dem Auftrag des Grundgesetzes nachkommt – und ein Land das dem Frieden in der Welt auch im Rahmen der Vereinten Nationen dient. So wie das heute deutsche Soldatinnen und Soldaten in Mali und anderen Ländern tun.

Der 1997 in Bosnien-Herzegowina verunglückte Stabsunteroffizier Pierre Zechner des Gebirgsjägerbataillons 232 war Teil eines multinationalen Verbandes, innerhalb dessen sich die Bundesrepublik Deutschland erstmals seit 1990 mit Kampftruppen engagierte. „Out of area“ wie es damals hieß, nicht in einem deutschen Alleingang, sondern eingebunden in die Vereinten Nationen und gemeinsam mit den westlichen Verbündeten. Dies hat Bestand über KFOR und ISAF bis hin zu MINUSMA, der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali: alles Missionen, in denen sich Angehörige der Gebirgstruppe der Bundeswehr bewährt haben und ihren Dienst für die Bundesrepublik Deutschland leisteten und in diesem Moment als Leitbrigade für die Einsätze in Mali noch leisten.

Sie alle nahmen und nehmen Entbehrungen auf sich, zum Wohle der Bundesrepublik und ihrer Bürgerinnen und Bürger. Derzeit stehen ca. 450 Soldatinnen und Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 als Blauhelmsoldaten in Mali im Einsatz. Wir grüßen sie aus der Heimat, danken für ihren Dienst und wünschen ihnen eine glückliche Heimkehr.

Zu diesen Belastungen und Entbehrungen gehört auch das Bestehen im Kampf. Die Gebirgsjäger der Bundeswehr wissen dies nur zu gut. Sei es der Kampf in Afghanistan, in dem Hauptfeldwebel Marius Dubnicki und Stabsunteroffizier Josef Kronawetter fielen, sei es der Kampf der Kameraden gegen die Schneemassen in der bayerischen Heimat im Winter 2018 auf 2019, in dem sich mehr als 2.500 Soldaten – oft in Gefahr – verdient gemacht haben. Dafür schulden wir Ihnen unseren Dank! Auch deswegen stehen wir heute hier.

Die Gebirgstruppe ist eine besondere Waffengattung. Sie erfüllt ihren Auftrag, indem sie den Härten der Natur trotzt. Daraus entspringt ihr Selbstvertrauen und ihr Stolz. Ausdruck findet das im Edelweiß, das sie mit Stolz an ihrer Bergmütze tragen. Nur den besten Bergsteigern gelingt es, eines dieser zarten Pflanzen hoch oben in den Bergen zu ersteigen. Es steht für Mut, Treue und Kameradschaft.

Das Edelweiß wurde dem 1915 errichteten deutschen Alpenkorps von seinen österreichischen Kameraden als Anerkennung verliehen. Im Alpenkorps wurde übrigens die übliche Kontingenttrennung nach Preußen, Bayern, Sachsen oder Württembergern überwunden. Das Alpenkorps war stets gesamtdeutsch! Hier fanden aus allen deutschen Ländern Soldaten zusammen. Damals war das etwas Neues, heute ist es selbstverständlich. Heute gehen Soldatinnen und Soldaten aus fast allen europäischen Nationen gemeinsam in einen Einsatz. 1997 in Bosnien-Herzegowina, als Pierre Zechner starb, war das noch etwas Neues, heute ist es selbstverständlich.

Unseren Gebirgsjägern rufe ich zu: Tragen Sie als Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland das Edelweiß voller Stolz, wissend, welche Werte sie damit verbinden und werden sie diesen Werten im Alltag gerecht. Denn das Edelweiß ist immer das Versprechen besonderer Leistung! Seien Sie sich aber bewusst, dass Stolz und Tradition auch zu Dünkel und Überheblichkeit führen können. Erinnern Sie sich daran, dass es unter dem stolzen Edelweiß auch zu Machtmissbrauch und Unrecht gekommen ist und Verbrechen geschehen sind. Lassen Sie das nie wieder zu! Die Gründergeneration der Bundeswehr und diejenigen, die ihnen in der 1. Gebirgsdivision der Bundeswehr folgten, haben es Ihnen vorgemacht. Sie haben es vorgelebt, in Bosnien, in Afghanistan, in Afrika und hier in Bayern.

Für die Gebirgsjäger und ihren Dienst für unser Land gilt deswegen der Satz des alten Moltke: „Wenn man eine ruhmvolle Tat zu erzählen hat, so braucht man nicht zu sagen, dass sie ruhmvoll gewesen ist. Die einfache Darstellung des Verlaufs enthält das Lob.“ Es reicht, zu beschreiben, was sie tun. Dann versteht jeder, warum sie stolz darauf sein dürfen, Gebirgsjäger zu sein.

Den Kameradinnen und Kameraden der Gebirgstruppe wünsche ich allzeit Soldatenglück und Gottes Segen!

Lassen Sie uns gemeinsam gedenken: „Den Gefallenen zur Ehre – der Heimat zuliebe – der Jugend zur Mahnung“. „Den Gebirgssoldaten der Bundeswehr, die für Frieden, Recht und Freiheit ihre Leben ließen.“

5 Kommentare zu “Rede von der Brendtenfeier am Ehrenmal der Gebirgstruppe in Mittenwald

  1. Sehr geehrter Herr Tauber,
    Glückwunsch zu ihrer Beförderung zum Hauptmann und Danke für die klaren Worte.
    Es tut gut das ein aktiver Politiker sich so für die Truppe einsetzt.
    Ich hoffe, bald von ihrer Ernennung zum Verteidigungsminister zu hören.
    Allzeit Glück ab!
    Andree Schulz OL d.R.

    1. Was macht Sie eigentlich so sicher, dass Sie in dieser Zeit nicht „Adolf hinterher“ gelaufen wären? Unabhängig davon ist das genau die Argumentation, die wir in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht mehr pflegen. Woher wissen Sie, was die Männer, mit denen ich da auf dem Foto bin getan haben? Sie sitzen auf einem hohen Roß und erheben sich moralisch über andere. Vielleicht wären Sie einer der Schreihälse, die besonders laut gewesen wären. Der Verdacht liegt nahe…

      1. Das kann ich Ihnen sagen:

        Weil ich diese Zeit sehr wahrscheinlich nicht überlebt hätte, wie 95% meiner Familie.

        Und ich frage umgekehrt: Woher wissen Sie denn, was diese Männer angeblich nicht getan haben?

        Der heute Rentner weiß genau, was ein Flüchtling an H4-Leistungen erhält, aber vom KZ an der Straße zum Ortseingang will er nichts gewusst haben?

        Welche Argumentation „wir“ pflegen, lasse ich mir nicht von Ihnen definieren und – ja sicher wäre ich einer der Schreihälse gewesen, wahrscheinlich mit Megaphon

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