#thisisnotyourflag – Das Erbe der Wirmer-Flagge

Gastbeitrag von Barbara Ermes:

Schwarzes Kreuz, gelb umrandet, roter Untergrund: so entwarf der Jurist Josef Wirmer eine Flagge für Deutschland, das nach einem geglückten Attentat auf Hitler 1944 neu aufgebaut werden sollte.
Er selber sollte dann Justizminister werden.
Es kam anders, das Attentat missglückte, die Attentäter wurden entweder (wie Stauffenberg) umgehend erschossen oder im weiteren Verlauf vom so genannten Volksgerichtshof unter Freisler zum Tod verurteilt und in Plötzensee elendig hingerichtet. So auch Josef Wirmer.
Josef Wirmer war ein langjähriger Freund meines Großonkels Hermann Siemer. Nach dem Attentat kamen Wirmers Frau Hedwig und seine drei Kinder bei meinem Großonkel in Südoldenburg unter, wo auch meine Großeltern mit ihren Kindern während des Krieges lebten. Die Freundschaft zwischen unseren Familien war bis lange nach dem Krieg sehr eng und besteht bis heute in unsere Generation fort.

Wirmers Anliegen war es, wie das aller in den Putschversuch vom 20. Juli 1944 Eingeweihten, Hitler zu töten, die Herrschaft der Nationalsozialisten zu beenden und Frieden mit den (West)Alliierten zu schließen.
Sein innerer Antrieb zur Vorbereitung des Attentats war dabei, so schrieb er aus der Haft an meinen Großonkel Hermann Siemer, sein christlicher Glaube. Er zählte auch nicht, wie andere, erst nach Kriegsausbruch zu den Gegnern Hitlers, sondern sprach sich bereits in den Dreißigern offen gegen „rassische Verfolgung“ aus. Darum wurde der Zentrumspolitiker z.B. auch früh aus der berufsständischen Vereinigung der Rechtsanwälte ausgeschlossen.
Die Attentäter waren mutige Menschen, Männer und Frauen, die nicht nur ihr eigenes Leben riskierten, sondern auch das ihrer Partner und Kinder aufs Spiel setzten .
Die meisten Angehörigen der Attentäter kamen tatsächlich in Sippenhaft und haben neben der Trauer um die Ehemänner und Väter selber viel Leid in der Haft erfahren. Vor allem die Kinder.

Es waren mutige Menschen, aufrechte Menschen. Tapfer, wissend, dass die Todesstrafe, das Erhängen, auf sie wartete, haben sie auch vor dem Volksgerichtshof nicht klein beigegeben, haben sich dem brüllenden Präsidenten Freisler mit klarer Stimme entgegengestellt. So schrie Freisler Wirmer im Laufe des Prozesses an, dass er „bald zur Hölle fahren werde“. Wirmer antwortete: „Es wird mir ein Vergnügen sein, wenn Sie bald nachkommen, Herr Präsident!“
Am 8. September 1944 wurde Josef Wirmer zum Tode verurteilt und am selben Tag hingerichtet.
Seine Familie fand rechtzeitig Schutz bei meiner Familie und entging so der Sippenhaft.

Was von Josef Wirmer sichtbar geblieben ist, ist sein Entwurf einer neuen Flagge. Sie war nach 1945 im Gespräch als deutsche Flagge, die CDU nutzte sie in den 50er bis 70er Jahren als Parteifahne und auch die Farben der FDP lehnten sich an Wirmers Entwurf an.
Seit den Siebzigern wurde die Flagge nicht mehr verwendet.

Bis sich 2010 die so genannte „Pegida-Bewegung“ formierte und anfing in Deutschland aufzumarschieren. Sie selber nennen es „Spaziergänge“.
Ich habe selber mehrere Aufmärsche erlebt, die Route des Berliner Ablegers führte gelegentlich an meinem Arbeitsplatz vorbei. Noch nie habe ich so viel Hass und Aggressivität erlebt und gespürt wie in den Minuten, in denen ich, geschützt von behelmten Polizisten, die Pegida-Demonstranten an mir vorbeiziehen sah.
Und sie trugen (und tragen immernoch) die Flagge Wirmers als Flagge des Widerstands mit sich.
Versuche der Kinder und Enkel Josef Wirmers, den Missbrauch gerichtlich unterbinden zu lassen, sind gescheitert. Denn die Flagge ist markenrechtlich nicht geschützt. Ein Witz der Geschichte.

Das macht mich wütend! Wer sich nur ansatzweise mit dem 20. Juli, den Attentätern, ihren Beweggründen (und darüber gibt es wahrlich viel Literatur!) beschäftigt hat, dem muss beim Anblick der Wirmer-Flagge auf Kundgebungen der Pegida-Anhänger doch die Hutschnur platzen!

Natürlich hatten nicht alle an der „Operation Walküre“ Beteiligen das Demokratieverständnis von uns heute. Wie auch! Ihre einzige demokratische Erfahrung war die der Weimarer Republik!
Es waren Angehörige der Wehrmacht, des Bürgertums, Menschen mit sehr viel Herz, Rückgrat und einem Gewissen, das sie nicht hat schweigen lassen.
Wirmer hat sich engagiert gegen die Verfolgung von „Menschen anderer Rassen“ eingesetzt und dafür Repressalien in Kauf genommen. Sein christlicher Glaube hat ihn schließlich zum Widerstand getrieben. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was die Pegida-Anhänger wollen!
Wirmers enge Mitstreiter, die überlebten, arbeiteten teils aktiv am Aufbau unseres Landes mit: Andreas Hermes, der bereits in Weimarer Zeiten Landwirtschafts- und Finanzminister war, entkam der Todesstrafe knapp und wurde 1945 Gründungsvorsitzender der Berliner CDU. Unter seiner Führung entstanden die „Berliner Leitsätze“, eines der zentralen Gründungsdokumente der CDU.

Die, die jetzt lautstark durch die Straßen ziehen, die die Wahlveranstaltungen auf den Plätzen unseres Landes mit Trillerpfeifen und Gebrüll stören, haben weder Anstand, noch Herz noch ein Gewissen, das sie leitet. Sie sind zerfressen von Hass, Neid und Angst vor der Zukunft. Sie wollen Menschen ausgrenzen, die eine andere Religion haben und die in unserem Land Schutz suchen.
Sie nehmen ihr Schicksal nicht selber in die Hand, um für alle ein besseres Land, ein besseres Leben zu erstreiten. Sie pöbeln und krakeelen.
Wer schreit, ist selten im Recht.

Widerstand ist nicht gleich Widerstand. Es gibt keinen Tyrannen, gegen denen sich aufzulehnen erste Bürgerpflicht wäre. Es gibt keine Unfreiheit, keinen Krieg, keinen bedrohlichen Mangel in unserem Land. Es wird niemand in diesem Land aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Religion, Weltanschauung, seines Geschlechts oder sexuellen Orientierung verfolgt.
Sogar die Aufmärsche der Pegida-Bewegung werden von der Polizei geschützt! Jeder darf sagen, was er denkt!
Nur die Anhänger der Pegida-Bewegung und ihr politischer Arm, die AfD (auch wenn sie bestreitet, dies zu sein), haben sich zum Ziel gesetzt, andere auszugrenzen und zu verfolgen.

Umso schlimmer wirkt der Missbrauch dieser Flagge des Widerstands 20. Juli, der Wirmer-Flagge!

Weil wir das Marschieren und das Flaggezeigen nicht verbieten können (als Demokratin sage ich trotz allem, gut so), müssen wir alle von unserem demokratischen Recht Gebrauch machen und die AfD unter fünf Prozent halten, dass sie in kein weiteres Parlament einziehen kann!
Die AfD, die Pegida-Bewegung sind offen rassistisch, ausgrenzend, demokratiegefährdend. Ihre Politik würde die Schwachen unserer Gesellschaft weiter schwächen statt sie zu stärken. Wir müssen sie mit demokratischen Mitteln bekämpfen, wir haben die besseren Argumente. Unser Land bietet. Perspektiven und Chancen für alle, die darin leben. Wir müssen die Menschen befähigen, diese zu sehen und zu ergreifen. Das ist christdemokratisch und mehr im Sinne Josef Wirmers als alles andere.

Und ansonsten gilt:
Ihr Marschierer, Spaziergänger, Pöbler und Krakeeler da draußen: das ist nicht Eure Flagge! Schämt Euch!
#thisisnotyourflag

Vielen Dank an Barbara Ermes für diesen Gastbeitrag!

9 Kommentare zu “#thisisnotyourflag – Das Erbe der Wirmer-Flagge

  1. Vielen Dank für den Link; ihren Text zu dem „Fähnchen-Video“ kannte ich noch nicht. Als ich das Video erstmals sah, dachte ich noch, das muss Produkt eines Cut-Studio mit Photoshop sein.

    Leider gehen sie auf die Szene nicht ein, sondern proklamieren nur (glaubhaft), dass die CDU zu Fahne und Patriotismus steht. Was ist aber die Erklärung dafür, dass die Pateivorsitzenden (in dem Video) ihren Generalsekretär auf diese Weise abwatscht?

    1. Das steht doch in meinem Text. Die Parteivorsitzende wollte nicht, dass in einem Moment des Triumphes der Eindruck entsteht, die CDU als Partei – ich sage es in meinem Worten – reiße sich nun das Land unter den Nagel. Ich finde diese Sicht sehr richtig, bescheiden und konservativ.

  2. Vielen Dank für diesen Text über den Ursprung dieser Flagge. Ich wusste wenig darüber, werde jetzt aber versuchen mir eine Wirmer-Flagge zuzulegen und sie auch zeigen und hoffe darauf, andere Mitzeiger zu finden.

    Sicher nicht auf Veranstaltungen der Grünen, deren Jugend schon auf Schwarz-Rot-Gold gepinkelt hat, um das Video stolz zu veröffentlichen.

    Oder bei den Linken, deren Hamburger Jugendsprecherin und Bundestagkandidatin in der nicht-öffentlichen Facebook-Gruppe „Deutsch mich nicht voll“ nach Film-Empfehlungen fragt: „grundsätzlich alles, wo Deutsche sterben“

    Oder bei der SPD, deren Justizminister ein „Anti-Hate-Speech-Manual“ erstellen lässt von einem Author, der mit Schüttelreimen bekannt wurde wie:
    Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber-Harris Feuerfrei“
    „Bomber-Harris Flächenbrand – Deutschland wieder Ackerland“

    Sicherer ist es da bei der CDU … but wait …
    was, wenn mir die Vorsitzende, wie seinerseits dem Gröhe, die Flagge entreißt und angewidert in der Ecke entsorgt?

  3. Sehr schöner Text. Kleine Korrektur: Pegida spaziert seit Oktober 2014. Im Jahr 2010 hatte der Grüner der selbst ernannten Bewegung noch in Haft gesessen…

  4. Lieber Peter Tauber,
    danke für den geschichtlichen Abriß und der Entstehungsgeschichte der Wirmer-Flagge. Ja auch ich wurde deshalb schon oft angesprochen, warum wir uns als CDU nicht dagegen verwehren. Deine Begründung hierzu sagt alles. Nochmals vielen Dank!

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