Buchrezension: „Nachhaltigkeit! Für eine Politik aus christlicher Grundüberzeugung“ von Matthias Zimmer

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Vor kurzem hatte ich die Ehre und das Vergnügen, das Buch „Nachhaltigkeit! Für eine Politik aus christlicher Grundüberzeugung“ meines geschätzten Bundestagskollegen Matthias Zimmer in Berlin vorzustellen. Der Titel greift ein Thema auf, das derzeit „en vogue“ ist. Aber so wie es Zimmer beschreibt geht es ihm eben gerade nicht darum, einem Trend nachzuspüren – und damit hebt er sich schon einmal wohltuend von anderen Publikationen zu diesem Thema ab. Kein Wunder, denn bereits während der vergangenen Legislaturperiode hat er sich intensiv mit Fragen des Wachstums und der Nachhaltigkeit in der Enquete- Kommission „Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ beschäftigt. Die Ergebnisse dieser Arbeit finden auch Niederschlag in seinem Buch.

Fortschritt wird heute nicht mehr zwangsläufig positiv bewertet, aber es ist doch auffällig, wie grundlegend sich unter Leben durch Innovationen verändert hat und weiter permanent verändert. Das beste Beispiel mag die Revolution der Kommunikation sein. Aber auch die Entwicklung von Luft- und Raumfahrt, Mobilität, Medizin oder die aus der politischen Stabilität der Demokratie resultierende Innovation gesellschaftlicher Strukturen sind augenfällige Belege hierfür.

Wie wir diesen Fortschritt gestalten, ist eine der wichtigsten Fragen überhaupt. Damit hat sich Matthias Zimmer intensiv in seinem Buch auseinander gesetzt. Ich durfte sein Buch vorstellen – und möchte es auf diesem Wege nochmals hier auf meinem Blog tun. Denn ich glaube, dass die Diskussion um Nachhaltigkeit eine viel größere Rolle einnehmen muss – eben weil sie in so vielen anderen politischen Feldern von Bedeutung ist: von der Asyl- und Flüchtlingspolitik mit Blick auf die Fluchtursachen bis hin zur Umweltpolitik und damit verbunden dem Klimawandel. Uns als Christdemokraten kommt dabei eine besondere Rolle zu – gerade wenn wir wie aktuell in der Verantwortung stehen.

Zimmer beschäftigt sich intensiv und kritisch mit der Frage, wie wir als Christdemokraten mit dem umgehen, was uns anvertraut wurde. Am Ende steht sein Plädoyer: Der Handlungsimperativ Nachhaltigkeit für eine gerechtere Welt. Und so kann man nahezu alle Politikfelder unter diesem Gesichtspunkt betrachten.

Er wählt dabei zudem einen Ansatz, der relativ neu in der Nachhaltigkeitsdebatte ist und sich erkennbar von anderen unterscheidet: Markt und Nachhaltigkeit sind keine Gegensätze für Zimmer, sondern untrennbar miteinander verbunden. Fakt ist: Auf unserem räumlich begrenzten Planeten ist kein unbegrenztes Wachstum möglich. Wenn wir weiter so machen wie bisher bräuchten wir bereits 1,5 Erden. Zimmer wirbt daher für eine Wirtschaftsordnung, die weder auf Kosten anderer Länder lebt, noch auf Kosten künftiger Generationen.

Die ersten beiden Kapitel des Buchs beschäftigen sich mit dem gängigen Verständnis von Fortschritt und Wachstum. Zimmer spielt dabei ein Gedankenexperiment mit dem Leser durch: Man stelle sich vor, wir Menschen hätten vor rund 150 Jahren Besuch von Außerirdischen bekommen und von ihnen folgendes Angebot erhalten: „Wir bieten euch eine Technologie an, die wird euer Leben um vieles angenehmer machen, euren Lebensstandard deutlich erhöhen; sie wird euer Leben verbessern. Als Gegenleistung fordern wir lediglich pro Jahr einige tausend Menschenleben.“ „Hätten wir empört abgelehnt?“ fragt der Autor. „Vermutlich. Keine Technologie ist es uns wert, Menschen dafür zu opfern. Dann kam das Auto, das noch heute jährlich für weit über 10.000 Tote alleine in Europa verantwortlich ist.“ Gewollt hat das niemand. Großes Aufsehen erregen diese Zahlen heute allerdings nicht mehr. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass wir uns in vielerlei Hinsicht in Zustände hineinbewegen, die wir abstrakt nicht bereit wären hinzunehmen, die wir in der Realität aber akzeptieren – der Prozess dahin hat sich allerdings verselbständigt.

Hinzu kommt: Fortschritt wird vielfach noch gleichgesetzt mit stetem Wachstum – und darin liegt ein Problem. Zimmer formuliert dazu einige Thesen:

Eine Gesellschaft, die alles im Überfluss hat, kennt keine Probleme mit Nachhaltigkeit – Wo allerdings mit knappen Ressourcen gewirtschaftet wird, kommt die Frage nach der Nachhaltigkeit des Wirtschaftens schnell an die Tagesordnung. In einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Wenn sich die Gesellschaften weltweit auf einen Wachstumskurs begeben, welche Folgen hat das für unsere Ressourcen? Leben wir dann nicht heute auf Kosten der nächsten Generationen und schränken ihre Möglichkeiten ein?

Neu ist der bewusste Bezug zur christlichen Werteordnung als Grundlage für nachhaltiges Handeln, wenngleich für Christdemokraten die Bewahrung der Schöpfung von jeher einen Zugang zum Thema bot. Aus der jüdisch-christlichen Tradition lassen sich Leitplanken für ein verantwortliches, nachhaltiges Wirtschaften formulieren.

Dem erhobenen Zeigefinger erteilt Zimmer dabei eine klare Absage: Nachhaltigkeit lässt sich für ihn nicht ohne einen Bezug zur Idee des guten Lebens begründen. Im Klartext: Wir Menschen müssen merken, dass wir davon profitieren, nachhaltig zu handeln. Sonst werden wir nachhaltige Handlungsmuster nie durchgehend aufrechterhalten.

Nachhaltigkeit ist daher kein rein technisches Problem, das durch verbesserte Technologien und Innovationen alle Probleme löst. Es bedarf vielmehr eines Grundverständnisses, auf dessen Basis man die Frage nach dem guten Leben beantwortet. Gutes Leben heißt eben nicht nur, konsumieren zu können oder einen immer höheren Lebensstandard zu erreichen. Gutes Leben hat einen Bezug zur Sinnfrage. Es fragt nach höheren Werten, denen sich Menschen verpflichtet fühlen und die dem Begriff der Würde des Menschen überhaupt erst seine Bedeutung verleihen.

Nachhaltigkeit ist damit für Zimmer im Grunde eine urchristliche Frage – wie gehen wir mit der uns anvertrauten Schöpfung um? Und wie verantwortungsvoll bereiten wir sie für unsere Nachkommen vor? Zimmer schaut dabei in die Heilige Schrift selbst, lässt aber auch andere Geistesgrößen wie Albert Schweitzer zu Wort kommen.

Die wohl wichtigste Erkenntnis ist: „Es gibt zwar einen Zusammenhang von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität, aber dieser Zusammenhang ist keine strenge Regelfunktion, nach der ein Mehr an Wachstum automatisch zu mehr Wohlstand und Lebensqualität führt.“ Qualität über Quantität- eigentlich kein neuer Gedanke. Genauso wichtig ist der Pragmatismus. Es geht nicht darum, unser bestehendes System komplett über Bord zu werfe, sondern um das verantwortungsbewusste Verwalten und Weiterentwickeln der Welt, die uns anvertraut wurde – und das bedeutet auch die Suche nach Sicherheit. Wie wird mit den knappen Ressourcen umgegangen? Was passiert, wenn Gefahren auftreten? Politik hat die Chance zu gestalten – auch bei gefährlichen Entwicklungen. Viele erinnern sich an die wissenschaftlichen Durchbrüche in der Forschung um das Ozonloch – und die Reglementierungen, die danach in Produkten mit Treibgas (FCKW) Anteilen vorgenommen wurden. Das Ozonloch ist dank dieser Entscheidung der Politik heute Geschichte. Die Ozonschicht hat sich erneuert.

Das Bestehende bewahren – und trotzdem über uns hinauswachsen. Wie das aussehen könnte, veranschaulicht der Autor anhand eines Exkurses in das Star Trek Universum, der mir ausgesprochen gut gefällt. Dort leben viele Kulturen respektvoll miteinander im Einklang. Erkenntnis ist wichtiger als Wohlstand, und Wachstum bzw. Ressourcenknappheit spielen keine Rolle, da nachhaltige Lösungen durch Innovation gefunden worden sind. Angesichts der Tatsache, dass vor 200 Jahren niemand den Fortschritt erahnen konnte, der heute für uns Alltag ist, scheint es nicht unrealistisch, in großen Bildern zu denken und nach dem Besten für uns alle und die, die auf uns folgen werden zu streben – und sich sinnvollen Neuerungen nicht zu verschließen. Denn es bleibt klar: endloses Wachstum ist schlicht nicht möglich – und endlosen Raubbau an unserem Planeten zu betreiben und uns damit selbst zu schaden ist keine Option. Ich finde Matthias Zimmers Grundoptimismus, der sich durch das ganze Buch zieht, fantastisch. Es ist die Weisheit des Jean Luc Picards, die in dem Satz „Das ist es, was den Menschen ausmacht: Mehr aus sich zu machen als er ist.“zum Ausdruck kommt. Und es ist die Aufgabe von uns Christdemokraten, nach den pragmatischen Lösungen zu suchen und die zu unterstützen und zu fördern, die uns in diese gerechtere Zukunft begleiten werden. Ein lesenswertes und bedenkenswertes Buch.

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