Gastbeitrag: Wer schützt uns vor den Jugendschützern?

cc by alvar freude

Die Intention des Jugendmedienschutzstaatsvertrages ist es, Kinder und Jugendliche von entwicklungsgefährdenden Inhalten fern zu halten und illegale Inhalte nicht über Presse und Rundfunk zu verbreiten. Der Staat kommt damit seinem Schutzauftrag nach. Mit der Verbreitung von Internetanschlüssen in Haushalten, Schulen, Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen scheint es auch online ein solches Schutzbedürfnis zu geben.

In der Gesetzgebung sind Gesetze zum Internet bei den Ländern angesiedelt. Die Landesmedienanstalten zeigen sich zuständig, und hier liegt schon der erste Fehler. Das Internet ist kein klassisches Medium wie Zeitung, Radio oder Fernsehen. Es folgt nicht dem Konzept, dass es wenige lokale Sender und viele Empfänger gibt, und stellt kein klassisches Broadcasting-Medium dar. Im Internet ist jeder Nutzer sowohl Sender als auch Empfänger. Und dies weltweit. YouTube und soziale Netzwerke wie SchülerVZ zeigen, wie stark die klassische Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten verschwimmt. Eine Unterteilung in Anbieter und Empfänger scheitert also schon von Grund auf.

Gesetze, die es TV-Sendern nicht gestatten, bestimmte Inhalte nur nach 22 Uhr zu senden, können auf ein globales Medium nicht angewandt werden, denn irgendwo ist immer 22 Uhr. Das Grundproblem liegt also in einer lokalen Gesetzgebung für Inhalte, die keine Grenzen kennen. Und selbst bei TV-Sendern lässt sich diese Regel in Zeiten von Satellitenfernsehen nur noch schwer einhalten, denn auch hier sind Inhalte in der Regel global verfügbar.

Die deutschen Jugendschützer lassen sich davon aber natürlich nicht beirren. Es wird fröhlich weiter reglementiert und eingeschränkt, um das alte Konzept wieder herzustellen: Nicht jeder darf alles zu jeder Uhrzeit sehen. Ganz perfide umgeht der aktuelle Entwurf des Ergänzungsvertrages zum JMStV nun das Problem, dass die Erde eine Kugel ist. Mit Jugendschutzfiltern. Diese sollen angeblich helfen: Die Webseiten müssen nur gekennzeichnet werden. Dann bekommt keiner, der zu jung ist, irgend etwas Anstößiges zu sehen. Zumindest, wenn die Seite sich mit ihren Inhalten an Kinder und Jugendliche wendet, greift dieses Modell. Aber hier beginnt ein merkwürdiger Differenzierungsprozess, denn wie wird beurteilt, ob ich mich an Kinder und Jugendliche wende?

Wer darf eigentlich darüber urteilen, was für Kinder und Jugendliche geeignet ist und für welche Inhalte sie sich interessieren? Ist eine Website über Aufklärung erst ab 16 oder doch schon ab 12 geeignet? Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) hat dazu ein spannendes Experiment gemacht. Das Ergebnis, wie zu erwarten war: Man ist sich nicht sicher.

Also stelle ich die Frage, warum eines der schärfsten Jugendschutzgesetze der Welt nun auch noch weltweit agieren möchte. Eine positive Auswirkung auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist jedenfalls nicht erkennbar, wenn man sie der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in Ländern mit weniger restriktiven Gesetzen gegenüberstellt. Eine Studie von pro familia aus dem Jahr 2006 gibt an, dass 25% aller schwangeren Minderjährigen unter 16 Jahre alt sind – trotz eines vorhanden Jugendschutzes konnte dies nicht verhindert werden. Manch einer argumentiert nun, dass der Schutz nicht stark genug sei – ich sehe es eher so, dass er nicht funktioniert. Wir können unseren Kindern und Jugendlichen nicht vorschreiben, was sie lesen, hören und denken sollen.

Es liegt an uns, für sie da zu sein, wenn sie Fragen haben oder sich über Gelesenes oder Gehörtes austauschen möchten. Sie brauchen diesen Freiraum, die Impulse und Gedanken anderer. Es ist dann unsere Aufgabe, das gemeinsam mit ihnen aufzuarbeiten, damit sie auch weiterhin differenzieren können. Und deswegen müssen wir sie vor den Jugendschützern schützen.

Über den Autor:
Stephan Urbach ist 29 Jahre alt und lebt in Hanau am Main. Er ist Mitglied der Piratenpartei Deutschland und der Jungen Piraten. Er ist bei der Piratenpartei Koordinator für ACTA und steht dem Bundesschiedsgericht vor.

Die Gastbeiträge müssen nicht mit der Meinung des Blogbetreibers Dr. Peter Tauber übereinstimmen.

 

Die Intention des Jugendmedienschutzstaatsvertrages ist es, Kinder und

Jugendliche von entwicklungsgefährdenden Inhalten fern zu halten und

illegale Inhalte nicht über Presse und Rundfunk zu verbreiten. Der Staat

kommt damit seinem Schutzauftrag nach. Mit der Verbreitung von

Internetanschlüssen in Haushalten, Schulen, Bibliotheken und anderen

öffentlichen Einrichtungen scheint es auch online ein solches

Schutzbedürfnis zu geben.

 

In der Gesetzgebung sind Gesetze zum Internet bei den Ländern angesiedelt.

Die Landesmedienanstalten zeigen sich zuständig, und hier liegt schon der

erste Fehler. Das Internet ist kein klassisches Medium wie Zeitung, Radio

oder Fernsehen. Es folgt nicht dem Konzept, dass es wenige lokale Sender und

viele Empfänger gibt, und stellt kein klassisches Broadcasting-Medium dar.

Im Internet ist jeder Nutzer sowohl Sender als auch Empfänger. Und dies

weltweit. YouTube und soziale Netzwerke wie SchülerVZ zeigen, wie stark die

klassische Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten verschwimmt. Eine

Unterteilung in Anbieter und Empfänger scheitert also schon von Grund auf.

 

Gesetze, die es TV-Sendern nicht gestatten, bestimmte Inhalte nur nach

22 Uhr zu senden, können auf ein globales Medium nicht angewandt werden,

denn irgendwo ist immer 22 Uhr. Das Grundproblem liegt also in einer lokalen

Gesetzgebung für Inhalte, die keine Grenzen kennen. Und selbst bei

TV-Sendern lässt sich diese Regel in Zeiten von Satellitenfernsehen nur noch

schwer einhalten, denn auch hier sind Inhalte in der Regel global verfügbar.

 

Die deutschen Jugendschützer lassen sich davon aber natürlich nicht beirren.

Es wird fröhlich weiter reglementiert und eingeschränkt, um das alte Konzept

wieder herzustellen: Nicht jeder darf alles zu jeder Uhrzeit sehen. Ganz

perfide umgeht der aktuelle Entwurf des Ergänzungsvertrages zum JMStV nun

das Problem, dass die Erde eine Kugel ist. Mit Jugendschutzfiltern. Diese

sollen angeblich helfen: Die Webseiten müssen nur gekennzeichnet werden.

Dann bekommt keiner, der zu jung ist, irgend etwas Anstößiges zu sehen.

Zumindest, wenn die Seite sich mit ihren Inhalten an Kinder und Jugendliche

wendet, greift dieses Modell. Aber hier beginnt ein merkwürdiger

Differenzierungsprozess, denn wie wird beurteilt, ob ich mich an Kinder und

Jugendliche wende?

 

Wer darf eigentlich darüber urteilen, was für Kinder und Jugendliche

geeignet ist und für welche Inhalte sie sich interessieren? Ist eine Website

über Aufklärung erst ab 16 oder doch schon ab 12 geeignet? Der Arbeitskreis

gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) hat dazu ein spannendes

Experiment gemacht. Das Ergebnis, wie zu erwarten war: Man ist sich nicht

sicher.

 

Also stelle ich die Frage, warum eines der schärfsten Jugendschutzgesetze

der Welt nun auch noch weltweit agieren möchte. Eine positive Auswirkung auf

die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist jedenfalls nicht erkennbar,

wenn man sie der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in Ländern mit

weniger restriktiven Gesetzen gegenüberstellt. Eine Studie von pro familia

aus dem Jahr 2006 gibt an, dass 25% aller schwangeren Minderjährigen unter

16 Jahre alt sind – trotz eines vorhanden Jugendschutzes konnte dies nicht

verhindert werden. Manch einer argumentiert nun, dass der Schutz nicht stark

genug sei – ich sehe es eher so, dass er nicht funktioniert. Wir können

unseren Kindern und Jugendlichen nicht vorschreiben, was sie lesen, hören

und denken sollen.

 

 

Es liegt an uns, für sie da zu sein, wenn sie Fragen haben oder sich über

Gelesenes oder Gehörtes austauschen möchten. Sie brauchen diesen Freiraum,

die Impulse und Gedanken anderer. Es ist dann unsere Aufgabe, das gemeinsam

mit ihnen aufzuarbeiten, damit sie auch weiterhin differenzieren können. Und

deswegen müssen wir sie vor den Jugendschützern schützen.

11 Kommentare zu “Gastbeitrag: Wer schützt uns vor den Jugendschützern?

  1. Generell bin ich auch für einen Jugendschutz und es ist richtig, das dieser auch im Internet verstärkt in Augenschein genommen wird. Jetzt kommt das „aber“. Es wird ein Gesetzt, welches seine letzte Aktualisierung im Jahr 2003 erfahren hat, heran genommen und dieses komplett auf das Internet ausgelegt. Wie soll ein Betreiber einer Website sicher stellen,das die Inhalte für die jeweilige Altersklasse auch nur von dieser gesehen/ gelesen wird? Was passiert mit Inhalten von Webseiten, welche temporär von Suchmaschinen gespeichert werden, obwohl die Seite in diesem Zeitraum nich am Netz ist? Ist eine Alterskontrolle mit einem plakativen Hinweis, ab welchen alter der Inhalt einer Seite geeignet ist, nicht nur eine scheinbare Lösung? Vorallem, in wie weit wirkt sich sowas auf die Seitenbetreiber aus? Wenn man zum Beispiel auf der Startseite eines Blogs, einer Community etc., eine Altersabfrage installiert, sehe ich schon, wie ein Speichern der Daten abverlangt wird. Da wird von der IP-Adresse, über Altersangabe bis zu den vom Benutzer besuchten Seiten abverlangt.

    Jugendschutz ja- jedoch auch durchdacht. Denn dies sollte auch alles realisierbar sein und nicht in letzter Konsequenz eine Selbstselektion von Inhalten nach sich ziehen, wie es mittlerweile schon statt findet. Ein Schließen einer Internetseite, kann nicht die Konsequenz eines neuen JMStV sein. Hier bedarf es definitiv einer Überarbeitung, mit realistischen Umsetzungsmöglichkeiten

  2. Diese Jugendschützer sind keine Jugendschützer, es sind Gesetz-geber!

    Ein Jugendschützer

    PS: Herr Urbach macht sich mit seinen abschließenden Bemerkungen zum Jugendschützer und das ist nicht das schlechteste. Also. Helft mit Jugendschutz und Jugendschutz zu trennen!

  3. Stephan Urbachs Ausführungen zeigen deutlich, dass es in Deutschland mit dem Jugendschutz generell im Argen liegt. Nicht nur, dass man die Zwecklosigkeit nicht erkennt, die Deutschen von der Welt medial „aussperren“ zu wollen, sondern auch die Frage nach der Selbsbestimmung auch von Kindern und Jugendlichen muss neu gestellt werden.

    Eine solch bevormundende Regelung, wie sie der JMStV darstellt, ist eines mündigen Bürgers einfach nicht würdig – und erst recht nicht jener, die es einmal werden sollen.

  4. Im Großen bin ich Deiner Meinung, vorallem da die Subjektivität bei den Beurteilungen enorm ist und da es anzeichen dafür gibt, dass Pornographie (eines der Hauptziele der Zenzurbewegung) tatsächlich zu weniger Sexualdelikte und eine gesundere Einstellung zu Sex führt.

    Bei einem Punkt muss ich Dich jedoch korrigieren: „Eine Studie von pro familia aus dem Jahr 2006 gibt an, dass 25% aller schwangeren Minderjährigen unter 16 Jahre alt sind – trotz eines vorhanden Jugendschutzes konnte dies nicht verhindert werden.“

    Dies ist eine falsche Auslegung, da die Studie ja schon auf Minderjährigen beschränkt war: Wenn wir gleichförmig die Anzahl der Schwangerschaften um einen Faktor 2, 10, oder 100 senken oder erhöhen würden, wäre die Aussage immer noch war—selbst wenn es deutschlandweit um vier Mädchen ginge, wovon eine unter 16 war. Auch die Proportion, in sich, ist eher etwas niedriger als was ich im Voraus erwartet hätte.

  5. Vielen Dank, dass Sie Stephan Urbach die Möglichkeit geben, diese wichtigen und klugen Denkanstöße über Ihren Blog zu veröffentlichen. Vielen Dank.
    Ich hoffe, dass Stephans Worte eindringlich sind und auch in der Enquete-Komission Beachtung finden. Es ist wichtig über den Tellerrand zu blicken und im Notfall mit der Hilfe anderer Menschen, die ggf. auch anderen Parteien angehören.
    An Stephan. Super erklärt. Einfach und prägnant ohne Firlefanz. Danke!

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