„Wir wollen euch scheitern sehen“ von Alexander Görlach (Buchbesprechung)

Schließlich sprach nicht nur die ganze Stadt darüber, sondern auch die BILD sowie die Radiosender griffen die Geschichte auf. In einem Ort in meinem Wahlkreis musste eine Sitzung der Stadtverordnetenversammlung abgebrochen werden, weil der Bürgermeister angeblich total betrunken war. Viele, die darüber nun reden, meinen zu wissen, dass Sie den Bürgermeister schon anderenorts im alkoholisierten Zustand getroffen haben, was für sich genommen kein Skandal ist, denn Bürgermeister besuchen auch Volksfeste in ihrer Stadt und trinken dann oft nicht nur Wasser. In den Kontext gesetzt wird so aber schnell ein Gerücht daraus. Der Mann könnte ein Problem haben. Es wird geraunt und gemutmaßt. Niemand weiß etwas, aber jeder redet darüber. Wehren kann sich der Bürgermeister nicht, denn natürlich geschieht dies nie in seiner Gegenwart. Und keiner stellt die Frage, ob der Mann, der sicherlich einen stressigen Job hat, wie viele andere die zur Bewältigung ihres Stresses Alkohol trinken, vielleicht Hilfe braucht, weil er das Maß verloren haben könnte. Es geht denen, die darüber reden gar nicht um den Menschen, es geht um die Verfehlung, den vermeintlichen Skandal und die Häme.

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Wer sich abhebt wird zurechtgestutzt

Alexander Görlach hat ein Buch darüber geschrieben, wie wir als Gesellschaft mit unseren Repräsentanten, er nennt sie etwas überzogen „Helden“, umgehen. Wie schaut unsere Gesellschaft auf Politiker, Künstler, Schauspieler, Sportler und Personen des öffentlichen Lebens? „Wir wollen euch scheitern sehen!“ heißt sein Buch. Er stellt nicht nur die Frage, inwieweit unser Blick auf öffentliche Personen und deren Fall(en) – von Uli Hoeneß bis Christian Wulff – ein Abbild für den Umgang miteinander in unserer Gesellschaft ist. Er stellt die Gretchenfrage: Wer will in einer solchen Gesellschaft noch Verantwortung übernehmen und sich öffentlich exponieren? Wahrscheinlich die wenigsten.

„Neid muss man sich verdienen.“ lautet ein geflügeltes Wort. Neid ist eine Todsünde. Und in der Tat neiden wir anderen den Erfolg. Wir unterstellen all zu oft, dass dieser nicht mit harter Arbeit erreicht wurde, sondern das Ergebnis von Zufällen, im schlimmsten Fall sogar von „Mauscheleien“ und Intrigen ist. Mindestens aber unverdient. Das hindert uns nicht daran, uns selbst gegenseitig stets zu versichern, wie tolerant und gerecht wir doch sind. Mindestens aber selbstgerecht.

Wenn also jemand fällt – egal ob der Grund das Fallen rechtfertigt wie beim Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy oder nicht – wie beim künstlichen Skandal um Rainer Brüderles „Herrenwitze“ -, dann kann derjenige in unserer Gesellschaft nicht mit Mitleid oder Barmherzigkeit rechnen. Er muss erst zerschmettert aufschlagen. Das ist das Mindeste. Dann ist aber meist trotzdem niemand da, der ihm aufhilft. Die zertrümmerten Gliedmaßen mag ein anderer auflesen. Görlach benennt nur den Fall von Margot Käßmann, der ihre Verfehlung (das Autofahren unter Alkoholeinfluss) öffentlich verziehen worden sei und die nach einer kurzen Buße heute wieder eine akzeptierte Autorität ist. Mir fällt auch kein anderes Beispiel ein, muss ich zugeben.

 So machen wir keine Lust auf Verantwortung

Görlachs These ist, dass wir bei Verfehlungen von Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, immer die Ursache in der Persönlichkeit des Betroffenen suchen, für uns aber stets in Anspruch nehmen, dass es äußere Umstände waren, die für unser eigenes Fehlverhalten ausschlaggebend waren. Ob das so ist, mag der geneigte Leser selbst beurteilen. So richtig widersprechen mag man Görlach aber wohl nicht. Das Messen mit zweierlei Maß ist weit verbreitet in unserer Gesellschaft. Den Splitter im Auge unseres gegenüber sehen wir gleich. Den Balken im eigenen Auge? Nicht der Rede wert.

Als ungute Mischung beschreibt Görlach die exorbitant hohen moralischen Ansprüche der Gesellschaft an öffentliche Personen verbunden mit der Aufkündigung der Unschuldsvermutung. Das ist nur folgerichtig, denn ich der Tat ist es kaum vorstellbar, dass es jemanden gibt, der diesen nicht nur moralisch hohen, sondern eher moralisierenden Ansprüchen gerechten werden könne. Wenn wir ehrlich sind, dann sind die formulierten Ansprüche so hoch, dass das Scheitern zwangsläufig ist. Die Frage ist nur wann und durch welchen Anlass. Aber kann das gut sein?

Für Görlach ist das nicht nur eine Frage der Empathie einer Gesellschaft, sondern damit verbunden fragt er, wer in einer solchen Gesellschaft noch bereit ist, sich zu exponieren und Verantwortung zu übernehmen. Denn – so Görlach weiter – nicht die Ideen und Themen stünden im Mittelpunkt von Debatten, sondern die Persönlichkeiten, die sie vortragen verbunden mit der Suche nach unvermeidlichen Brüchen und Widersprüchen zur vorgetragenen Idee. Görlachs Kritik zielt auch darauf ab, dass die sich entzündende Empörung keine echte Wirkung hat. Sie führt nicht zum Wandel, zum Anstoß von Veränderungen, sondern sie bedient die Lust am Scheitern, das Zurechtstutzen von Menschen, die oft von uns selbst zuerst auf ein Podest gestellt worden sind. Sie redet so dem Mittelmaß das Wort.

Die Gedanken des Autors springen manchmal. Von Augustinus bis Luther und aktuellen Fällen wirft es uns Sätze zu, die man schnell liest, aber nicht überlesen sollte. Manche kommen ganz unvermittelt und lohnen doch ein Verweilen und Nachdenken. Einer dieser Sätze lautet: „Der Mit-Mensch hat Mit-Leid verdient und den Respekt, also jenen Abstand, mit dem wir auf sein Leben schauen und uns ein vorschnelles Urteil verkneifen.“ Nicht nur aufgrund von Twitter und Facebook ist man mit dem vorschnellen Urteil in der Tat schnell bei der Hand. Mir geht das selbst so.

Sind die Analogien und Bilder des Autors so vielseitig, dass es mir manchmal etwas zu schnell geht und ich gerne noch bei einem Aspekt verweilen würde, so findet doch jeder Leser etwas, das ihn zum Nachdenken einlädt. Gut gefallen mir die Überlegungen Görlachs zum Verhältnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Denn in der Tat geht es bei der Gerechtigkeit darum, einen Ausgleich zu schaffen. Nicht von ungefähr verwendet Görlach dafür den Begriff des „Algorithmus“, der diesen Ausgleich herbeiführen soll. Der Barmherzigkeit ist dieses Denken fremd. Und sie ist die Grundlage für Empathie und den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Darin stimme ich mit Görlach überein.

Der Autor konfrontiert uns mit seiner These, dass aber genau das in unserer Gesellschaft wenn nicht verloren, so doch auf dem Rückzug sei. Der offene Diskurs sei ersetzt durch Vorurteile und Tabus. Das gegenseitige Belauern und die Suche nach Fehlern bei anderen stehe dem freien Denken und der Entwicklung neuer Ideen entgegen. Übersetzt: Wir sind eine Gesellschaft, die nicht nach dem Gelingen sucht, sondern darauf wartet, dass andere scheitern. Wenn das stimmt, dann müssen wir dagegen etwas tun.

Das Gegenmodell

Als Antwort wie man dem Befund Görlachs begegnen kann, gibt der Autor uns  zwei Tugenden an die Hand: die Solidarität und die Sympathie. Auch diese seien rational nicht fassbar, aber die passende Antwort auf eine um sich greifende Häme. Die „Liebe zur res publica“, Ungleichheit nicht nur akzeptieren, sondern als Chance zu sehen und  sowie „Milde gegen den Sünder“ walten zu lassen sind nur drei von mehreren Ratschlägen, die der Autor dem Leser mit auf den Weg gibt. Gerade dieser Teil gefällt mir besonders gut.

Das Gegenmodell ist eine Gesellschaft, in der man etwas erreichen kann, wenn man sich anstrengt. Und in der wir akzeptieren und es sogar als richtig empfinden, das Können und Glück in einer freien Gesellschaft Unterschiede hervorbringen, wie es Alexander Görlach richtig formuliert. Er erinnert uns an Martin Luther, der uns vor Augen geführt hat, dass der Mensch immer zugleich ein Sünder und ein Gerechter ist. Heißt das, dass es keine Helden geben kann? Nein. Es heißt, dass auch Helden Fehler machen. Und es heißt, dass jeder von uns ein Held sein kann. Und das ist ein schöner Gedanke.

Das Lesen des Buches und vor allem das Nachdenken darüber ist lohnenswert.

3 Kommentare zu “„Wir wollen euch scheitern sehen“ von Alexander Görlach (Buchbesprechung)

  1. Erfolg erzeugt Feinde.
    Welche erfolgreiche Persönlichkeit in der deutschen Gesellschaft kennt diese Formel nicht? Selbst Mario Götze, 21jähriger Fußballspieler, der das entscheidende Siegestor gegen Argentinien schoß, damit Deutschland die Weltmeisterschaft gewann, ist nicht vor Neid und Mißgunst gefeit gewesen. Jede erfolgreiche Persönlichkeit weiss, wovon Alexander Görlach in seinem Buch schreibt. Wir empfehlen sein Gegenmodell, wie im Buch beschrieben, für Deutschland. Wir müssen zu einer Gesellschaft von gegenseitigen Förderern hinkommen und freuen uns über den Erfolg des anderen. Ihre Elke Hoppe Dolan und Paul Dolan, Economic Forum Deutschland gem. e.V.

  2. Erfolg erzeugt Feinde.
    Welche erfolgreiche Persönlichkeit in der deutschen Gesellschaft kennt diese Formel nicht? Selbst Mario Götze, 21jähriger Fußballspieler, der das entscheidende Siegestor gegen Argentinien schoß, damit Deutschland die Weltmeisterschaft gewann, ist nicht vor Neid und Mißgunst gefeit gewesen. Jede erfolgreiche Persönlichkeit weiss, wovon Alexander Görlach in seinem Buch schreibt. Wir empfehlen sein Gegenmodell, wie im Buch beschrieben, für Deutschland. Wir müssen zu einer Gesellschaft von gegenseitigen Förderern hinkommen und freuen uns über den Erfolg des anderen. Ihre Elke Hoppe Dolan und Paul Dolan, Economic Forum Deutschland gem. e.V.

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