Europatassen stehen auf dem Bundesparteitag der CDU im April in Berlin (Foto: Tobias Koch)

Unter Elefanten – Wir müssen und den Populisten entgegenstellen

Wer über Populisten und den richtigen Umgang mit ihnen sprechen will, muss über Elefanten reden. Zunächst über die „Elefanten im Raum“. Der Begriff steht im Englischen für ein nicht zu übersehendes Thema, über das aber nicht geredet wird, weil die Beschäftigung damit unangenehm sein könnte. Es gehört zum Wesen von Populisten und ihren Anhängern, dass sie lautstark auf solche „Elefanten“ hinweisen, die andere angeblich ignorieren oder schönfärben. Die „Anderen“ sind für sie „die da oben“: Politiker, Journalisten, Wirtschaftsführer. Ein elitäres „Kartell“, gegen das der „kleine Mann“ scheinbare Wahrheiten nicht mehr aussprechen darf. Es ist richtig, dass sich demokratische Parteien mit Populisten auseinandersetzen. Auch Sigmar Gabriel hat das mit seinem gut gemeinten Artikel in der vorigen Ausgabe der ZEIT getan. Dabei hat er sich leider selbst ein wenig wie ein Elefant verhalten – wie ein Elefant im Porzellanladen. Er hat eine „Allianz gegen Populismus“ gefordert. Das klingt gut, schadet allerdings der Auseinandersetzung mit Populisten am Ende mehr als es nutzt.

Gabriel macht einen großen Fehler: Er wirft die Anführer populistischer Parteien, ihre Funktionäre und ihre Anhänger in einen Topf. Es gibt aber Unterschiede – vor allem zwischen den brandstiftenden Biedermännern an der Spitze und ihren Anhängern. Bei der Bundestagswahl 2013 haben fast sechs Millionen Deutsche mit der AfD und der Linkspartei populistische Parteien gewählt. Ich bezweifle stark, dass alle diese Menschen intolerante Anti-Demokraten sind, so wie es Gabriel unterschwellig formuliert. Vielmehr wissen wir sogar, dass sich gerade bei der Linkspartei Menschen wiederfinden, die das Gefühl haben, „abgehängt“ zu sein. Andere sehnen sich nach der Übersichtlichkeit früherer Jahrzehnte zurück – mit klaren Strukturen und sortierten Feindbildern. Unsere Gesellschaft, die sich dramatisch verändert, überfordert sie.

Es sind Leute, wie die Rentnerin, die Zeit-Autor Stefan Willeke in seinem Artikel »Wir Dummschwätzer?« (ZEIT 18/14) über die Anhänger des umstrittenen Autors Akif Pirincci besucht hat. Sie sagte: „Ich fühle mich überrollt“ und meinte Globalisierung, Digitalisierung, Schuldenkrise oder Zuwanderung. Als demokratische Parteien tun wir gut daran, diese Menschen und ihre Sorgen nicht abzutun, sondern ernstzunehmen. Wenn wir uns verantwortungsvoll um die „Elefanten im Raum“ kümmern, haben Populisten keine Chance.

Stefan Willeke hat gezeigt, dass man diesen Bürgern zuhören und sie ernst nehmen kann, ohne sich mit ihren Gedanken gemein zu machen. Wer von oben herab Allianzen gegen Populisten fordert, grenzt diese Menschen aus und er lässt sie in ihrer Wagenburg mit ihren Anführern noch enger zusammenrücken.
Sigmar Gabriel macht noch einen Fehler: Er wirft alle Populisten in Europa in einen Topf. Dabei unterscheidet sich die britische UKIP deutlich vom französischen Front National und die österreichische FPÖ noch deutlicher von den Linkspopulisten der griechischen Syriza. Es muss uns zu denken geben, dass populistische Parteien ausgerechnet durch Kritik an dem Friedens- und Freiheitsprojekt Europa nicht mehr nur Zuspruch von den Rändern der Gesellschaft erhalten, sondern teils auch aus der Mitte.

Was also tun? Als erster Schritt wäre es schon mal gut, wenn die etablierten Parteien nicht den Job der Populisten machen würden. Der langjährige Wahlkampfberater der SPD, Frank Stauss, hat in der vergangenen Woche in einem wütenden Beitrag in seinem Blog dazu eine spannende Frage aufgeworfen: Wie kann es sein, dass laut ARD-Deutschlandtrend 68 Prozent der Deutschen sagen, die EU mische sich in zu viele Dinge ein – obwohl die tatsächlichen Einmischungen im Alltag kaum spürbar seien. Seine Antwort: Weil diesen Eindruck auch Politiker vermitteln, die eigentlich für Europa werben wollen.

Europatassen stehen auf dem Bundesparteitag der CDU im April in Berlin (Foto: Tobias Koch)
Europatassen stehen auf dem Bundesparteitag der CDU im April in Berlin (Foto: Tobias Koch)

Wir müssen zeigen, dass es uns ernst ist mit der Subsidiarität: Nicht jede Aufgabe in Europa ist eine Aufgabe für Europa. Wir brauchen eine europäische Regelung für den Datenschutz, aber keine europaweite Regelung, wie wir es mit dem Kruzifix im öffentlichen Raum halten. Europa braucht einheitliche Regeln für den Binnenmarkt und den Euro und muss zugleich kulturelle Vielfalt und Traditionen achten. Aber vielleicht müssen wir einmal selbstkritisch festhalten, dass auch hier der Ton die Musik macht.

Ich glaube im Gegensatz zu Sigmar Gabriel nicht, dass die Leute auf eine neue Vision für Europa warten. Vielmehr warten sie darauf, dass wir in der Europäischen Union das anpacken, was wir uns vorgenommen haben. Das bedeutet heute: Wir müssen offen Fehlentwicklungen benennen. So war der Bruch des Maastricht-Vertrags durch Deutschland unter Rot-Grün ein Fehler, für den ganz Europa einen hohen Preis bezahlt hat. Mühsam haben wir gemeinsam diesen Fehler in den letzten drei Jahren korrigiert, um Europa stabiler, stärker und wettbewerbsfähiger zu machen. Dazu gehören an erster Stelle solide Finanzen und ein stabiler Euro.

Sigmar Gabriel hat übrigens Recht, wenn er sagt, dass das Vertrauen in das europäische politische System auch an der Gerechtigkeitsfrage hängt. Zu dieser Frage gehört für die CDU aber auch, dass die Solidarität mit Krisenländern an Reformanstrengungen dort geknüpft ist. Und es ist auch eine Frage der Leistungsgerechtigkeit, dass jedes Land in der EU für seine Schulden selbst haftet. Deshalb darf es keine Schuldenvergemeinschaftung und Eurobonds geben, wie sie Martin Schulz fordert. Das wäre neue Munition für die Populisten.

In den kommenden fünf Jahren müssen wir beweisen, dass Europa wirklich aus der Schuldenkrise gelernt hat. Die Anführer der populistischen Parteien und ihre falschen Verheißungen müssen wir stellen. Vor allem aber müssen wir deren Wählerinnen und Wähler ernst nehmen. Ein solcher Blick auf populistische Parteien würde auch der alten Tante SPD gut tun.

Der Beitrag erschien am 22. Mai 2014 als Gastbeitrag in der Zeitung DIE ZEIT.

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